Mut zur Fuge

Der diesjährige Aprilscherz der Berliner Zeitung mochte so manchem Schlossfan Bauchschmerzen bereitet haben. Fassadenteile würden „an den Betonklotz geschraubt“, war da zu lesen. Und überhaupt: Es war von Fassadenfragmenten des Palasts der Republik die Rede. So weit geht der Spott beim Wiederaufbau des Berliner Schlosses als Humboldtforum, der sicherlich nachvollziehbar ist. Andererseits  sind die künstlerische Dimension des Rekonstruktionsprojekts auch beachtenswert, nämlich bei den Barockfassaden.

Restauratoren, Bildhauer und Steinmetze produzieren den Fassadenschmuck in der Schlossbauhütte in Spandau. In den letzten zwei Jahren haben 25 Künstler in den Hallen gearbeitet. Ihr Material sind etwa 250 Originalfragmente des 1950 abgerissenen Berliner Schlosses, sie schaffen Ton- und Gipsmodelle als Vorlage für die Arbeit am Sandstein. Insgesamt 9 000 Kubikmeter Sandstein werden am Humboldtforum verbaut.

Die Künstlerarbeit bedarf einer aufwendigen Vorarbeit. Fragmente, Pläne und Fotos zusammentragen, alles auswerten, die Planung erstellen, in Ausschreibungsverfahren die Auftragsarbeiten vergeben – das alles bildet das Fundament für die Fassendenrekonstruktion: „Der Künstler muss die ganze Vorleistung, die man nicht sieht, Gestalt werden lassen“, so fasst es Bertold Just zusammen, der die Schlossbauhütte leitet. 

Die Bildhauer fertigen in der Regel zuerst ein Bozzetto aus Ton an, eine dreidimensionale Figurenskizze im Maßstab 1:6. Nach Abnahme durch die Expertenkommission vergrößert der Bildhauer dann auf den Maßstab 1:1 und macht einen Abguss aus Gips davon. Das Gipsmodell wiederum ist die Grundlage für die Steinmetze, die die Figuren in den Sandstein hauen. So ergibt sich für die Bildhauer eine Arbeitsstrecke, die länger ist, als sie es zu des Schlossbaumeisters Andreas Schlüters Zeiten vor 300 Jahren war. Just sagt, Schlüter habe ausgehend vom Bozzetto gleich in Stein gearbeitet. „Das können wir heute natürlich nicht so machen, weil wir uns über das Gipsmodell an das Original herantasten müssen.“ Auch die Technik war eine andere, es sei damals mehr aus der Geometrie gearbeitet worden, auf einem Raster, das auf der Fassade liegt und auf den Bildwerken. Einer der Künstler ist der Bildhauer Frank Kösler. Die Rekonstruktion der Schlossfassaden sei die Krone der deutschen Bildhauerei, und er lebe und sterbe für diese Aufgabe, sagt er. Aber Kösler steht für die interne Kunstkritik. Er fordert mehr Präzision und Authentizität. Während bei Schlüter ein Bogen gesetzmäßig aus fünf Steinen zusammengesetzt war (aus zwei Kämpfersteinen, zwei Wölbsteinen und dem Schlusstein), geht das heutzutage einfacher. Bei Köslers modellierter Portalkrönung des Innenportals II fallen die Wölbsteine weg, die die Horizontalkräfte in die Vertikale umleiten würden. Und der Schlussstein erreicht ein Rekordgewicht von 22 Tonnen. Kösler prophezeit am Gipsmodell, dass der Stein später brechen wird. „Damals machte man das Menschenmögliche, heute macht man das technisch Machbare.“ Das unterscheide uns von den alten Meistern.

Kösler benutzt spezielle Barockwerkzeuge, hat sogar einen Spezialschmied nur für Cottaer Sandstein. Das ist der Stein, aus dem Schlüters Barock gemacht war. Er ist sehr weich und verwittert hell, wohingegen der heute auch verwendete Reinhardtsdorfer Sandstein sehr hart und grobkörnig ist. Nicht nur, dass sich die Kollegen die Werkzeuge kaputt machten, der harte Sandstein, wie auch der aus Wartau stammende schlesische, zwingt den Bildhauern auch eine ganz andere Arbeitsweise auf, beklagt Kösler. Wie hoch ist also die Materialauthentizität?

Bertold Just sagt, die härteren Sandsteine dienten am Schloss im 19. Jahrhundert als Reparatursteine. „Man hatte damals schon die Idee, die weicheren Steine gegen festere zu ersetzen, weil man langlebiger bauen wollte.“ Da das heutige Schloss ein Neubau sei, müssten auch Europa-Normen berücksichtigt werden, also die Steinarten technische Werte, wie eine bestimmte Bruchfestigkeit aufweisen. 

Seit dem 1. April werden die ersten Sandsteine an den Rohbau gebaut. Der Aprilscherz hatte einen Anlass. Doch „angeschraubt“ wird gar nichts. Die Barockfiguren liegen auf einem selbsttragenden Mauerwerk aus Ziegelsteinen auf, von 80 Zentimeter bis zwei Meter Dicke. An zwei Tagen der offenen Baustelle Mitte Juni, direkt nach dem Richtfest, will die Schlossstiftung das Erdgeschoss komplett barockisiert haben. 

Frank Kösler wird zuvor in der Humboldt-Box eine Ausstellung zu seinen vergleichenden Kompositionsstudien machen, einem Nebenprodukt seiner Modellierarbeiten. Zu sehen sein werden dabei auch seine Adler-Bozzetti aus Ton.

Der Spendenstand für die Barockfassaden beläuft sich nach Angaben der Stiftung auf derzeit mehr als 30 Millionen Euro, plus 10 Millionen Euro Sachspenden (Wertangabe Förderverein Berliner Schloss). Wilhelm von Boddien, der Vorsitzende des Fördervereins, kündigte kürzlich an, das Spendenziel von bisher 80 auf 105 Millionen Euro zu erhöhen.

André Franke

 

62 - Frühjahr 2015