Treten mit Stil

Noch jemand ohne E-Bike? Dann haben Sie für die neue Saison aber doch zumindest einen Drahtesel, dessen Rahmen nachts leuchtet? Fahrradfahren ist längst mehr als Fortbewegung. Und mit dem Frühling kommen die neuen Trends. 

Putzen und ein kleiner Service reichen diesmal nicht. Es gibt so viele neue Erfindungen, die nicht nur cool, sondern auch sinnvoll sind. Zum Beispiel ein Fahrradhelm aus beweglichen Plastik-ringen, die sich zusammenschieben lassen, sodass die schmale Scheibe in den Rucksack oder in die Handtasche passt. Schick und schlau sind auch die neuen Lacke, die die Rahmen der Fahrräder nachts leuchten lassen, um besser gesehen zu werden. 

Wo, bitte, geht’s zum Strand? Die Cruiser-Bikes der amerikanischen Lifestyle-Marke Electra machen Lust, sofort an den nächsten Beach zu fahren. Die schicken Drahtesel sind nämlich die Models unter den Fahrrädern. Den Schlamm der Wälder und Berge fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser. Sie haben es gern elegant. Erfunden hat sie ein Schweizer in Berlin, der nach Kalifornien auswanderte und dort feststellte, dass kaum jemand zum Vergnügen Rad fuhr und es immer weniger der schönen alten Cruiser gab. Also baute er neue. Geeignet für die Stadt gibt es von Electra auch Räder im Hollandradstil, mit dem Modell „Sans Soucis“ geht’s flott nach Potsdam. Getreten werden muss selbst. Jahrelang wurden E-Bike-Fahrer ein bisschen belächelt und mit mitleidigen Wer-fit-ist-tritt-selbst-Blicken bedacht. Das hat sich grundlegend geändert, die geriatrisch anmutenden Bikes mit auffälligem Akku wurden in den vergangenen Jahren durch zum Teil wirklich beeindruckende Designräder ersetzt, die manchen Autofahrer an der Ampel bewundernd staunen lassen. Für Wagemutige gibt es auch E-Reiseräder mit großen Vorder- und Hinter-Gepäckträgern und besonders langlebigen Akkus. Auf nach Italien oder Spanien! Ist ja fast eine Spazierfahrt.

Auch schwere Lasten lassen sich mit E-Bike-Sondermodellen transportieren, das neue „Musketier“ zum Beispiel ist ein Trike mit Motor und kann wahlweise einen Lastenwagen, einen Pritschenwagen oder eine Kutsche für Kinder ziehen. Nie wieder Großeinkauf mit wackelndem Lenker, weil die schweren Tüten links und rechts hängen!

Wer selbst tritt und sein Rad immer gern bei sich hat, ist mit Falträdern gut beraten, auch die liegen wieder im Trend. Ein weiteres Highlight der Saison sind Fatbikes. Früher nur für Spezialisten, sollen sie jetzt die Straßen erobern. Die Botschaft: Mein anderes Fortbewegungsmittel ist ein SUV. Oder vielleicht sogar ein Traktor. Die Vorteile der Fahrräder mit den extra breiten Reifen: wenn sie einmal rollen, dann rollen sie, schnell wie der Wind. Vielleicht heißen sie auch deshalb Mons-terbikes. Wie geschaffen für Berlin. Lassen Sie mich durch, ich bin ein Monster. Wer im hauptstädtischen Straßenverkehr Angst zeigt, hat schon verloren. Wer hier Rad fährt, sollte einen Preis  für besonderen Mut bekommen. Die Radwege sind entweder nicht vorhanden oder marode, große Projekte verpuffen häufig in der Luft und jedes Jahr beweist der Senat mit Nachdruck, dass ihm vieles mehr am Herzen liegt als die Radler. Trotzdem schwingen sich  viele Unverzagte jeden Tag aufs Rad. Ihre Beweggründe: fit bleiben und die Umwelt schonen, für kurze Wege braucht der Mensch kein Auto. 

Sehnsüchtig seufzen Berliner Radfahrer, wenn das Gespräch auf Kopenhagen kommt, die Stadt, die sich stolz „City of Cyclists“, Stadt der Radfahrer, nennt. Toll ausgebaute Radwege, und ausgeklügelte Ampelschaltungen führen dazu, dass 36 Prozent der Kopenhagener jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit fahren. Weil das Radeln Spaß macht. Mittlerweile reisen viele Touristen nur an, um sich das Radkonzept anzusehen und die tollen Wege auszuprobieren. In Berlin würde leider niemand auf diese Idee kommen. 

Silvia Meixner

 

66 - Frühjahr 2016