Stilist der Gewalt

Anlässlich seines 70. Geburtstages zeigt die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen die weltweit erste Ausstellung über Martin Scorsese.

Im Jahr 1978 wurde auf dem JFK-Airport von New York eine Lufthansamaschine überfallen und aus dem Frachtraum acht Millionen Dollar geraubt. Die Beute war Drogengeld und stammte aus Kabul. Diese damals spektakuläre Kriminalgeschichte diente Martin Scorsese als Vorlage zu seinem wohl besten Genrefilm über die New Yorker Unterwelt: „Goodfellas“. Ein Film aus dem Jahr 1990, der wie kein anderer die erschreckende, ans Pathologische grenzende Skrupel- und Morallosigkeit der Mafia zeigt. Für Martin Scorsese, einer der bedeutendsten amerikanischen Regisseure, dem die Deutsche Kinemathek aus Anlass seines 70. Geburtstages jetzt eine Ausstellung widmet, spielt die Inszenierung von Gewalt von Beginn seines Schaffens an eine zentrale Rolle. In Little Italy, Downtown Manhattan, aufgewachsen, studierte er in New York Filmkunst, und bereits seine ersten Filme spielten in dem Umfeld, das er von klein auf kannte, geprägt durch die italo-amerikanischen Einwandererfamilien, Kriminalität und mafiöse Strukturen. Mit „Taxi Driver“ kam schließlich 1976 der weltweite Erfolg. Darin entfremdet sich ein Vietnam-Veteran, verkörpert von Robert De Niro, mehr und mehr den Realitäten, Unwägbarkeiten und Abgründen der Großstadt und will am Ende New York mit Gewalt vom Abschaum säubern. Der Film gilt als Meisterwerk der filmischen Charakterzeichnung und gehört zu den Klassikern der Filmgeschichte. Neben der Inszenierung von Gewalt faszinieren die Filme von Scorsese auch immer durch die sie prägenden Protagonisten.

An erster Stelle: Robert De Niro und Nicolas Cage. Diese herausragenden Darsteller zeigen mit überwältigender Glaubwürdigkeit und zielgerichteter Dramaturgie das Scheitern der Hauptfigur, wie im Boxerdrama „Raging Bull“ von 1980 oder „Bringing Out the Dead“ aus dem Jahr 1999. Im schockierendsten Mafiathriller „Goodfellas“ brilliert De Niro gar als grausiger Gangster einer menschenverachtenden, scheinheiligen und rücksichtslos agierenden Parallelgesellschaft, der am Ende zwangsläufig scheitert und zum Opfer wird.

Die weltweit erste Ausstellung über den Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzenten Martin Scorsese in Berlin widmet sich seinem Gesamtwerk, das maßgeblich die Filmsprache des amerikanischen Kinos geprägt hat. Um der Faszination seiner Filme nahe zu kommen, Inspirationsquellen und Inszenierungskunst kennenzulernen, haben die Kuratoren eine Art Chronologie in drei Kapiteln gewählt. Im ersten Kapitel stehen die Figurenkonstellationen und Schauplätze der meisten Filme im Mittelpunkt. Ein Stadtmodell zeigt die New Yorker Drehorte. Das zweite Kapitel wirft einen Blick in die Filmarchäologie, stellt Scorsese als Filmkenner vor. Schließlich wird im dritten Kapitel die Stilistik seiner Filme deutlich, die – im Zusammenwirken mit Kameraführung, Musik und Schnitt – für die unterschiedlichen Filmstoffe stets die gleiche magische Wirkung liefert, ob Gangster-, Musikfilm oder Psychothriller. Freilich ist bei Scorsese fast immer Gewalt im Spiel, und die Figurenkonstellationen gleichen sich. Aber es gibt im Œuvre des Ausnahmeregisseurs auch Filme wie „The Age of Innocence“, ein „Drama um den Konflikt von Sehnsucht und Verantwortung in einer von starren gesellschaftlichen Konventionen und engen Moralvorstellungen geprägten Welt“, oder das Filmdrama „Aviator“ aus dem Jahr 2004 über den Flugpionier Howard Hughes mit Leonardo DiCaprio und Cate Blanchett in den Hauptrollen. Großformatige Videoinstallationen machen Lust, den einen oder anderen Film wieder einmal in Gänze zu sehen. Dazu zeigt parallel zur Ausstellung das Kino Arsenal im Januar eine Retrospektive mit über zwanzig Filmen Martin Scorseses. Ergänzt wird die Ausstellung im Übrigen durch historische Filmplakate, die aus der Privatsammlung Scorseses stammen, Szenenbücher des Regisseurs, Originalkostüme und Fotografien.

Reinhard Wahren

 

Information
Ausstellung: Martin Scorsese
10. Januar bis 12. Mai 2013
Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen
Potsdamer Straße 2, 10785 Berlin
www.deutsche-kinemathek.de

53 - Winter 2012/13