Der Handball-Wikinger

Die Füchse wollen in der Handball-Bundesliga hoch hinaus. Dafür haben sie sich einen ehrgeizigen Trainer geholt: Dagur Sigurdsson. Der 36-jährige Isländer verkörpert alle Tugenden eines echten Wikingers.

 

„Irgendwann“, sagt Dagur Sigurdsson, „kehrt jeder Isländer einmal in seine Heimat zurück. Und dann wird er dort alt.“ Dafür fühlt sich der 36-Jährige derzeit aber noch zu jung, obwohl er diesen Status schon geprobt hatte. „Ich bin nicht nach Berlin gekommen, weil ich diesen Job brauche. Ich wollte ihn“, versichert er. Kein Wunder: Als Geschäftsführer von Valur Reykjavik stand Sigurdsson dem prominentesten Sportverein des Landes vor. Hier hatte er die Oberhoheit sowohl über die Finanzen als auch über die Athleten des Clubs. „Ich war für Fußballer, Handballer und Basketballer verantwortlich“, erklärt er.

Doch dann kam die Offerte der Füchse, und Dagur, Isländer nennen sich nur beim Vornamen, kehrte noch einmal auf den Kontinent zurück. „Das war keine Entscheidung von mir. Da hat die ganze Familie mitgewirkt“, versichert der Mann aus Reykjavik. Schließlich hieß das im Hochsommer, das schöne Eigenheim am Rande der nordischen Hauptstadt zu verlassen, das Dagurs Großvater selbst gebaut hat. Mit einem riesigen Container transportierte die Familie sämtliche Habe nach Berlin und folgte dem Stückgut einzeln. „Ich musste ja als Erster hier sein, weil Mitte Juli Trainingsauftakt für die neue Saison war. Eine Woche später traf Dagurs gleichaltrige Frau Ingibjörg Palmadottir ein. Die Lehrerin mit Deutsch-Studium verspürt keinerlei Berührungsängste mit der vorübergehenden neuen Heimat. Zumal ein Auslandsaufenthalt  für die fünfköpfige Famile nichts Neues ist. Dagur Sigurdsson, einer der bekanntesten und besten Handballer der Insel, hat nach seiner Karriere bei Valur schon in der Bundesliga in Wuppertal gespielt. „Hier sind auch meine beiden Töchter geboren. Siggi nicht, der kam während eines Urlaubs zu Hause in Island auf die Welt“, erklärt der Vater dreier Kinder im Alter von sechs, neun und elf Jahren. Nach der Station Wuppertal, wo der Isländer viel Pech mit Verletzungen hatte, zog es ihn in die japanische Liga. Drei Jahre warf er Tore für Hiroshima. Auch hier war die Familie immer dabei. „Mein Japanisch reicht heute noch, um mir im Restaurant ein Essen zu bestellen und ein bisschen Konversation zu betreiben“, sagt Dagur in perfektem Deutsch. Das konnte er nach seiner fernöstlichen Karriere in Bregenz vervollständigen, wo er als Spielertrainer gearbeitet hat. So gut, dass er trotz seiner jungen Jahre gleichzeitig als Nationaltrainer Österreichs verpflichtet wurde. „Es macht mir Spaß, etwas zu entwickeln“, sagt er mit Blick auf den nicht gerade erstklassigen Handball im Alpenland. Dass aber nun im Winter die Europameisterschaft zwischen Wien und Innsbruck stattfindet und er mit seiner Auswahl praktisch Gastgeber für die besten Mannschaften des Kontinents ist, macht die Angelegenheit umso schmackhafter.

Doch jetzt steht erst einmal Berlin im Vordergrund, und Dagur ist mit seiner Familie noch in der Eingewöhnungsphase. Die Sprache ist nicht das Problem. „Wir sprechen alle sehr gut Deutsch. Zu Hause wird aber nur Isländisch geredet, das hat bei unseren Auslands-Stationen schon Tradition. Wir haben uns aber extra eine Wohnung etwas am Rand gesucht, nicht mitten in der Stadt. Dafür im Grünen.“ Bäume sind für das holzarme Island fast exotisch, und den Rummel der Stadt findet der Trainer nur halb so schlimm. „Es ist phantastisch, einfach so durch die Stadt zu spazieren und nicht dauernd begrüßt zu werden, in Island ist das anders. Da kennen mich, denke ich mal, 90 Prozent all unserer Einwohner, wenn ich durch Reykjavik laufe“, schätzt der ehemalige Kapitän der Nationalmannschaft und schiebt erklärend nach: „Handball ist bei uns die Sportart Nummer eins. Vor Fußball.“

Das hält die Töchter Sunna und Birta aber nicht davon ab, trotzdem dem größeren Ball hinterher zu laufen. „Frauen-Fußball ist bei uns groß im Kommen. Die beiden werden auch in Deutschland trainieren und in einem Verein spielen.“ Schließlich war Dagur vor und auch während seiner Handball-Karriere ebenfalls Fußballer und spielte sogar für die Junioren-Nationalmannschaft. Angst vor dem teilweise chaotischen Verkehr im Gegensatz zum beschaulichen Reykjavik hat der Isländer nicht. „Wer in Hiroshima ein Auto heil von einer Stelle an die andere bringt, der schafft das in Berlin mit Sicherheit auch.“ Seine geliebte Heimat Island muss Dagur Sigurdsson in den nächsten Wochen und Monaten entbehren. „Ich bin nicht nach Deutschland gekommen, um die Bundesliga kennenzulernen. Ich weiß, wie die funktioniert. Wir werden mit den Füchsen eine gute Mannschaft stellen und ein wichtiges Wort mitsprechen“, erklärt er. Das gesteckte Vereinsziel von einem Platz im Europapokal bestätigt der Trainer rückhaltlos.
Auch wenn die Konzentration derzeit ganz dem Handball in der deutschen Metropole gilt: Island ist nie aus dem Blick. So verfolgt Dagur aufmerksam die Entwicklung in seiner Heimat. „Ich würde es nicht gut finden, wenn wir jetzt Mitglied der EU werden. Im vergangenen Jahr hat uns die Wirtschaftskrise geschüttelt, und jeder glaubt, Island sei jetzt schwach. Aber es hat starke Menschen. Fischfang und Tourismus boomen. Wenn wir in die EU eintreten, dann als starker und gleichberechtigter Partner. Das wird bald wieder so weit sein. Aber als Bittsteller, nein, das möchte ich nicht.“

Diese Auffassung vertritt Dagur Sigurdsson nicht nur für die politische und wirtschaftliche Zukunft seines Landes. „Ich möchte nichts geschenkt haben. Ich möchte später stolz auf das sein, was ich durch eigene Arbeit erreicht habe.“ Diese Einstellung will er nicht nur seinen drei Kindern vermitteln. Das werden auch die Handballer der Füchse verinnerlichen müssen, wenn sie mit ihrem Trainer ganz nach oben wollen. Wenn Dagur Sigurdsson eines Tages wieder in seine Heimat zurückkehrt, dann sollen die Füchse noch lange voller Hochachtung von dem Wikinger sprechen.

Hans-Christian Moritz

 

40 - Herbst 2009