Schönheit ist das, was man sieht

Lignum ist lateinisch und heißt Holz. Wer die Vasen und Schalen der neuen Design-Linie des Gestalter-Duos Bernadotte & Kylberg anschaut, denkt darum vielleicht an Baumrinde, an vertrocknetes Gras am Ende eines Sommers oder auch an Reet genanntes Schilfrohr, das die vielen Schäreninseln Stockholms umgibt. Schraffuren in schwarz, braun, sand und ocker sowie Reste von tiefblau und dunkelgrün überziehen das kaltkeramische Weiß der großen und kleineren Vasen, deren poliertes Aluminium drinnen silbern schimmert wie das Äußere der sich weit öffnenden Schalen.

Ein breiter Pinselwisch wie aus vielen Farbtöpfen zieht sich durch deren Tiefe und gemahnt an die Vergänglichkeit der Natur. Der Herbst ist da! Auch in der nun dritten Kollektion von Bernadotte & Kylberg, die sie für das dänische Unternehmen Stelton entworfen haben. Bernadotte & Kylberg, hinter dem stehen Prinz Carl Philip von Schweden und sein Designpartner Oscar Kylberg. Es ist ihr Label seit Jahren schon, unter dem die beiden erfolgreich Porzellan, Besteck und Daunenjacken für verschiedene Formen entwerfen.

Bernadotte lautet der Name der seit 1818 regierenden Dynastie des Königreichs Schweden, aus der so mancher Gestalter hervorging. Carl Philip, selbst schon Vater, gehört der vorletzten Generation an. Sein Teampartner Oscar Kylberg stammt aus einer weit verzweigten Künstlerfamilie. Carl Kylberg, einer seiner Ahnen, schaffte es mit seinem Gemälde „Homecoming“ sogar auf eine schwedische Briefmarke. Das Bild hängt heute im Nationalmuseum von Stockholm. In der Familie Kylbergs wird ebenso heute noch gemalt, wenn auch nebenberuflich.

Der Prinz kann ebenfalls auf eine sehr kreative Verwandtschaft zurück blicken. König Carl Gustav III (1771 – 1792) war ein großer Förderer der Schönen Künste. Ihm ist der Gustavianische Stil zugeschrieben, ein Einrichtungsstil von kühlem Klassizismus in einer Mischung aus Licht und Anmut. Auch Sigvart Bernadotte (1907 – 2002) wurde als Gestalter berühmt. „Form follows function“ war seine Devise, er war ganz dem Bauhaus verpflichtet. Er arbeitete als Silberdesigner für Georg Jensen. Seinen Satz „Margarethe“- Plastikrührschüsseln kann man noch heute in jedem schwedischen Haushalt finden.

Prinz Carl Philip und Oscar Kylberg studierten beide (einer früher, der andere später) an der Stockholmer Forsberg Skola Grafikdesign. Carl Philip ist außerdem auch als Fotograf sehr anerkannt. Zudem studierte er – was die meisten Menschen nicht wissen – Agrarwissenschaften und darüber hinaus Design in Rhode Island/USA, und zwar unter einem Pseudonym, weil er sich keine Vorteile verschaffen wollte. Oscar Kylberg und er trafen sich bei Freunden in Stockholm. Sie waren sofort auf einer Wellenlänge und beschlossen, etwas Gemeinsames zu machen. 2012 gründeten sie das Label Bernadotte & Kylberg. 2015 starteten sie mit der Serie „Aquatic“ für Stelton.

Das Unternehmen Stelton gibt es seit mehr als 50 Jahren. Aus dem einstigen „Danish Stainless“, das Edelstahlgeschirr herstellte, entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte eine Ikone des guten Geschmacks, in dem Arne Jacobsen der berühmteste Designer war, gefolgt von Erik Magnussen. Wer einmal die Liebe zu ihren form- und farbschönen Produkten entdeckt hat, räumt zuhause seine Küche aus. „Acquatic“, die Kollektion aus Vasen und Schalen von B&K, symbolisiert die Wasserwelt Stockholms in tiefen Blautönen, die abstrakt auf die von Kaltkeramik überzogenen Gefäße aufgebracht ist. Der Prinz und Oscar Kylberg sind beide in Stockholm zuhause. Dort ist auch ihr Atelier, in dem sie sich regelmäßig treffen, um neuen Ideen zu entwickeln.

Nach der Serie „Aquatic“ kam „Stockholm Horizon“ auf den Markt. Das spiegelt ganzflächig den großen Himmel Skandinaviens auf allen Gefäßen wider. „Lignum“ ist die dritte und bisher letzte der nordischen Natur entnommene Inspiration, die beide Designer umsetzten. Den bei Stelton gern verwendeten zylindrischen Formen wollten sie etwas Organisches dazugeben. Weiche Formen, kühl und glänzend und je nach Exponat außen oder innen mit hauchdünner cremeweißer Emaille beschichtet, worauf sich Himmel, Wasser und Pflanzliches künstlerisch verfremdet spiegeln. Beide knüpfen damit an die fünfziger Jahre an, als emaillierter Edelstahl in Dänemark und Schweden schon einmal sehr en vogue war.

„Schönheit ist das, was man sieht“, findet der Prinz. „Das kann auch einmal ein Detail sein.“ Das von Bernadotte & Kylberg Geschaffene solle beides sein: schön und nützlich. Die Exponate der Freunde und Arbeitspartner sind auf ihre Art modern und schnörkellos. Wenn es ornamental wird, schrillen ihre Alarmglocken. Die Entwürfe für ihre Vasen und Schalen werden bei Stelton von Hand umgesetzt. Stück für Stück. Trotz der offiziellen Verpflichtungen, denen Prinz Carl Philip von Schweden nachkommen muss, bleibt den beiden immer noch genügend Zeit, sich ihrer Arbeit als Designer zu widmen. Bei Stelton stehen sie längst in einer Reihe mit dem großen Gestalter Arne Jacobsen.

Inge Ahrens

 

80 - Herbst 2019