Zeitgeschichte in Schwarzweiß

Mit einer großen retrospektiven Werkschau würdigt der Martin-Gropius-Bau Barbara Klemm, eine der renommiertesten und wichtigsten Fotoreporterinnen der Bundesrepublik.

Mit seinem Anspruch, für eine Reportage oder ein Titelbild besonders treffende Bilder abzuliefern, ist für den klassischen Bildreporter auch stets die sogenannte Jagd nach dem richtigen Augenblick verbunden. Das war so in der Ära der analogen Fotografie – und ist es jetzt mit digitaler Technik nicht minder, obwohl sie technisch weitaus mehr Möglichkeiten bietet. Es kommt eben immer und zuallererst auf den Blick des Fotografen oder der Fotografin an. 

Eingedenk dieser fotografischen Binsenweisheit steht das herausragende Œuvre von Barbara Klemm aber für weit mehr, als nur für einen unverzichtbaren fotografischen Blick. Ihre zum Teil ikonischen Bilder haben sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt, haben sie als einzigartige Fotoreporterin berühmt gemacht. Von 1970 bis 2004 fotografierte Barbara Klemm für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, und dort „waren keine Bildserien gefragt, sondern Ein-Bild-Erzählungen. Aufnahmen, die Positionen durchschauen, die Situationen auf den Punkt bringen …“ Insofern sah sie sich immer als Dokumentaristin. 

Als eine Fotografin, die stets mit der Geschichte hinter dem Bild im Kopf auf den Auslöser drückte. Und so erzählt auch jedes ihrer legendären Bilder eine ganz bestimmte Situation, ob 1973 beim Treffen Leonid Breschnews mit Willy Brandt in Bonn, welches die Ostpolitik einleitete, als Heinrich Böll 1983 in Mutlangen mit Sitzblockade vor dem US-Raketenstützpunkt protestierte, Michail Gorbatschow 1989 in Ostberlin seine berühmte Rede hielt, kurze Zeit später die Berliner Mauer fiel oder Helmut Kohl in Dresden sprach. Sie dokumentierte Zeitgeschichte, und zwar ausschließlich in Schwarz-Weiß, „Schlüsselbilder“, die längst zum „fotografischen Gedächtnis der Bundesrepublik“ gehören. Ihr viel zitiertes Credo: Verdichtung und Komposition. Ästhetisch folgte sie damit dem Begriff der „dichten Beschreibung“ in jener Zeit, der sich in jedem ihrer Bilder nachweisen lässt. Insofern war sie auch keineswegs „nur“ die Dokumentaristin des politischen Zeitgeistes. Das zeigt sich besonders in ihren Porträts berühmter Zeitgenossen: Alfred Hitchcock auf seinem Regiestuhl, Andy Warhol vor einem Goethe-Gemälde, Joseph Beuys in seiner eigenen Ausstellung, Herta Müller, Peter Handke, Botho Strauß, Golo Mann, Ernst Jünger, Thomas Bernhard, Friedrich Dürrenmatt, Friederike Mayröcker oder eben auch Gerhard Schröder, Helmut Kohl, Joschka Fischer, Erich Honecker. Sie lässt ihren Protagonisten Raum und Zeit und findet genau den Augenblick, wo sie ein wenig von sich selbst preisgeben. Bevor die Aufnahme entstand, schlüpfte die Fotografin in die Rolle einer Regieseurin, Psychologin oder Improvisateurin. So entwickelte sie aus dem Fotojournalismus, der für das Tagesgeschäft steht, vor allem in ihren Künstlerporträts eine zeitlose, eigene Bildsprache. Barbara Klemms Fotografie ist „eine leise Kunst“, so der Autor Wilfried Wiegand in seinen „Künstlerporträts“. 

Davon kann man sich bis Anfang März im Martin-Gropius-Bau überzeugen. Rund dreihundert Arbeiten von Barbara Klemm sind in einer großen Werkschau zu sehen, sämtlichst analog und ohne Blitzlicht aufgenommen und selbstverständlich in SchwarzWeiß, von ihr selbst eigens für die Ausstellung entwickelt. Die Retrospektive umfasst fünf Jahrzehnte und gibt einen Einblick in das gesamte Spektrum ihres Schaffens seit 1968. Barbara Klemm begann bereits 1958 für die FAZ zu arbeiten, ab 1970 als fest angestellte Redaktionsfotografin. „Die heutige Zeit der Presse-Fotografie wäre nichts für mich. Ich bin glücklich, dass ich noch die langsamere Zeit erleben durfte“, sagt sie heute. Auch liege ihr die digitale Fotografie nicht, das ständige Schauen auf das Display, ob die Aufnahme gut ist und dabei vielleicht den wichtigsten Augenblick zu verpassen. „Ereignisse in einem besonderen Moment einzufrieren und sie für andere lesbar zu machen.“ Diesem Grundsatz ist sie in konsequenter Weise in ihrer Arbeit von Beginn an gefolgt. „Die Zauberformel für ihre Arbeiten könnte lauten: Sie hat uns das Private im Öffentlichen gezeigt und im Privaten das Öffentliche …“, so der Dichter Durs Grünbein in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Max-Beckmann-Preises an Barbara Klemm 2010. Öffentlichkeit hatte Barbara Klemm früh erlangt. Bereits 1969 richtete das Amerikanische Handelszentrum in Frankfurt am Main ihre erste Werkschau aus. Seitdem folgten viele Ausstellungen im In- und Ausland und ihre Arbeiten fanden Einzug in bedeutende Museen und Sammlungen. Ihre große Fangemeinde allerdings rekrutierte sich hauptsächlich aus den Lesern des 2001 eingestellten Magazins „Bilder und Zeiten“ der FAZ, ihrer Hauszeitung, der sie ihre außergewöhnliche Karriere als Fotografin verdankte.

Reinhard Wahren 

 

Ausstellung

Barbara Klemm.
Fotografien 1968 – 2013
Bis 9. März 2014
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstr. 7, 10963 Berlin

 

57 - Winter 2013/14