Metropole unter Strom

In keiner anderen Stadt Deutschlands existieren so viele und bedeutsame Zeugnisse des Industriezeitalters wie in Berlin. Dabei spielten die Nachrichtentechnik und Elektroindustrie eine besondere Rolle. Die wiedereröffnete und neu konzipierte Dauerausstellung „Elektropolis Berlin“ im Deutschen Technikmuseum führt durch deren eindrucksvolle Geschichte.

Dass Berlin einst die größte Industriemetropole Europas war, ist heute ohne Weiteres nicht mehr nachzuvollziehen. Die großen Firmen mit Weltruf agieren längst anderenorts. Nur mit einem entsprechenden Führer ließe sich das reiche industrielle Erbe erschließen. Zum Glück gibt es das Deutsche Technikmuseum am Gleisdreieck, das seit Februar mit seiner neu konzipierten Dauerausstellung „Elektropolis Berlin“ die Metropole auch als einstige Stadt der Kreativen wieder in den Fokus rückt. Denn im ausgehenden 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert geriet sie zum Zentrum der Elektroindustrie, war wichtigster Industriestandort der Branche in Europa. Mit technischen Errungenschaften und Bauwerken, die für die sich rasch ausbreitende Metropole unerlässlich waren. Ohne die innovative Kraft der Elektrizität war damals und ist heute weltstädtische Urbanität nicht möglich. 

In Anlehnung an Fritz Langs Film „Metropolis“ kam der Begriff der „Elektropolis“ auf. Hatte Berlin während des Ersten Weltkrieges und danach noch auf Fernstrom zurückgreifen müssen, ging 1928 nach nur zwei Jahren Bauzeit ein wahrer Stromgigant ans Netz: das Kraftwerk Klingenberg. Es war damals das größte und modernste Großkraftwerk Europas. Noch heute beeindruckt seine Stilis-
tik: eine Mischung aus funktionellem Industriebau und amerikanischer Wolkenkratzer-Architektur. So konzentriert sich die Ausstellung im Deutschen Technikmuseum besonders auf die noch bestehenden Bauten der Elektrokonzerne AEG, Siemens und der ehemaligen Berliner Elektricitätswerke. Durch sie wurde Berlin zur Hauptstadt der Elektroindustrie. Ihr Architekt Peter Behrens entwarf dafür die Produktionshallen, Verwaltungsgebäude und Werkssiedlungen, die zum Teil noch heute bestehen, wie die AEG-Turbinenhalle in Moabit, die NAG-Fabrik in Oberschöneweide oder die Zinshäuser für die AEG-Arbeiter in Hennigsdorf. 

Die eigentliche Geburtsstunde der Elektroindustrie in Berlin markiert aber bereits die 1847 von Werner Siemens und Georg Halske gegründete „Telegraphen-Bau-Anstalt“. Entlang der bestehenden Eisenbahnlinien wurden die ersten Telegraphenmasten aufgestellt. 1866 ließ Werner von Siemens seine Dynamomaschine patentieren, die erstmals eine Erzeugung elektrischer Energie in größerem Umfang zuließ. Dies verhalf dem Elektromotor zum Durchbruch. Ende der 19. Jahrhunderts wurden die ersten Elektrizitätswerke gegründet, und es siedelten sich viele Unternehmen in Berlin an. Die neue „Wunderkraft“ Elektrizität zog Techniker und Ingenieure in ihren Bann und der Slogan „Alles elektrisch“ gebar eine wahre Produktrevolution: Die meisten der heute gebräuchlichen elektrischen Haushaltgeräte kamen bereits um die Wende zum 20. Jahrhundert zur Welt. So eröffnete sich durch die flächendeckende Stromversorgung ein gigantischer Markt für neue Produkte. 70 Prozent der deutschen Elektroindustrie waren um 1930 in Berlin angesiedelt. Diese netzartige Konzentration von Unternehmen, Ingenieuren und Politikern war Grundlage für die „Elektropolis Berlin“.

Der Weg dorthin wird in der neu konzipierten Ausstellung des Deutschen Technikmuseums anhand von zahlreichen repräsentativen Objekten aufgezeigt: vom ersten Zeigertelegraphen, den ersten Experimenten zur drahtlosen Telegraphie, dem ersten Mittelwellen-Sender und der RIAS-Sendeanlage von 1948 über frühe Tonaufzeichnungen bis zu den Anfängen des Fernsehens mit einem Schwarzweiß-Fernsehstudio aus dem Jahr 1958. Sie verdeutlichen das große Entwicklungspotenzial, welches Elektro- und Rundfunkindustrie in Berlin erzeugt hat, wobei sich die einzelnen Innovationen stets gegenseitig beeinflusst und befördert haben. Ausgelöst und vorangetrieben durch die Erfinder und Visionäre der Anfangszeit, wie Emil Rathenau, dem Gründer der AEG, der damaligen Skeptikern gegenüber äußerte: „Sie verkennen den unersättlichen Elektrizitätshunger, der in wenigen Jahren sich einstellen wird. Ich sehe hohe, luftige Riesenhallen mit vieltausendpferdigen Maschinen, die automatisch und geräuschlos Millionenstädte mit Licht und Kraft versorgen.“

Reinhard Wahren

 

Information

Dauerausstellung
Elektropolis Berlin – Eine Geschichte der Nachrichtentechnik und der Elektroindustrie

Deutsches Technikmuseum
Trebbiner Straße 9, 10963 Berlin

 

62 - Frühjahr 2015
Kultur