Schinkel als Chance

Seit 2004 existiert von der Schinkel’sche Bauakademie nur eine Plastikhülle. Sie war 1961/62 abgerissen worden, da sie dem Außenministeriums-Neubau der DDR im Wege stand. Nun soll sie an ihren Platz zurückkehren [Foto: Berlin vis-à-vis]

Mit der neuen Bauakademie gelangt in absehbarer Zeit ein wichtiges historisches Bauwerk wieder an seinen angestammten Platz. Je kühner der Entwurf, desto größer ist die Chance, das Spätwerk Karl Friedrich Schinkels in seinem Sinne wiederzuentdecken.

Karl Friedrich Schinkel, der geniale Baumeister des deutschen Klassizismus, dachte in großen städtebaulichen Zusammenhängen, fügte seine Gebäude harmonisch in die bestehende Stadtlandschaft ein. So entstand in Nachbarschaft von Schloss und Zeughaus mit Neuer Wache, Altem Museum, Lustgarten, Schlossbrücke, Friedrichswerderscher Kirche, Schinkelplatz und Bauakademie die einzigartige Stadtlandschaft der Berliner Mitte. Allein die 1836 errichtete Bauakademie, 1962 gänzlich abgerissen für das DDR-Außenministerium, existiert noch immer nur als Attrappe. Mit einem Mustersaal im Inneren versuchte der Verein „Internationale Bauakademie Berlin“ seit 2005 dort mit Veranstaltungen und Vorträgen für den Wiederaufbau der berühmten Schinkel’schen Bauakademie zu werben. Damals mit dem erklärten Ziel, bis 2010 das historische Bauwerk als Architekturzentrum zu rekonstruieren. Doch die entsprechenden Mittel privat aufbringen zu wollen, erwies sich als zu optimistisch und weiterführende Diskussionen über eine zukünftige Nutzung waren daher eher nebensächlich.

Das hat sich nun grundlegend geändert: Der Bund stellte für den Wiederaufbau 62 Millionen Euro zur Verfügung und schrieb bereits einen Architekturwettbewerb aus.  Architekten, Stadtplaner, Museumsleute und Kunsthistoriker sind einerseits froh über die plötzliche Finanzierung, andererseits aber fast alarmiert ob der Eile. Zu sehr erinnere ein solcher Schnellschuss an Fassadenrekonstruktion, wie im Falle des Stadtschlosses, ohne von Beginn an einem durchdachten Konzept zu folgen bzw. über Zweck und Nutzung Klarheit zu haben.

Ganz im Gegensatz zur historischen Lesart. Karl Friedrich Schinkel, ab 1830 Chef der obersten Baubehörde Preußens und zudem Hofarchitekt, wusste genau, was er wollte: ein zentrales Gebäude für die seit ihrer Gründung 1799 an verschiedenen Orten untergebrachte Bauakademie samt Baubehörde, das bessere Arbeits- und Unterrichtsbedingungen bot, einschließlich Wohnung für sich und seine Familie. 

Eine Skizze Schinkels von 1831 zeigt die neue Bauakademie auf dem Friedrichswerder. An der Stelle befand sich zu der Zeit noch der Alte Packhof der Hauptzollstelle für den Schiffsverkehr, doch der von Schinkel entworfene Neue Packhof auf der heutigen Museumsinsel war bereits fertig, sodass die alten Packhofanlagen abgerissen werden konnten. So war zwar das Grundstück gefunden, doch die Mittel für den Neubau bedurften natürlich einer Kabinettsorder des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. Obwohl Schinkel dem Hof sehr nahestand, hätte er allein den König nicht überzeugen können. Es bedurfte der Zuarbeit seines Freundes Christian Peter Wilhelm Beuth, Geheimer Oberfinanzrat und Direktor der alten Bauakademie, unterdessen in „Allgemeine Bauschule“ umbenannt. Beuth hatte die besten Verbindungen zu den entscheidenden Ministerien und Argumente, die den König überzeugten. Der verfügte schließlich den Neubau mit den von Schinkel errechneten Baukosten in Höhe von 165 870 Thaler Courant. Das entsprach einem Wert von rund 500 000 Mark. Die Finanzierung des Grundstücks war kein Problem, so konnten die eigentlichen Bauarbeiten bereits 1831 beginnen. In deren Verlauf stellte sich allerdings heraus, dass die Bausumme nicht ausreichen würde. Heute ist das bei größeren Bauvorhaben nicht anders. Da der König aber keine weiteren Mittel befürworten konnte, finanzierten Schinkel und Beuth die noch ausstehenden Arbeiten mit dem Hypothekendarlehen einer Stiftung, der Beuth selbst vorstand.

1836 wurde schließlich die neue Bauakademie, Schinkels Spätwerk, auf dem Werderschen Markt fertiggestellt. Damit hatten Schinkel und Beuth gemeinsam eine Ikone der Architektur geschaffen, denn die Schinkel’sche Bauakademie war mehr als ein Dienst- und Ausbildungsgebäude. Ihre Architektur wies in eine neue Zeit, nahm die Moderne ein wenig vorweg. Beeinflusst von der englischen Industriearchitektur, die Schinkel auf einer gemeinsamen Reise zusammen mit Beuth 1826 kennengelernt hatte, stand nun ein unverputzter, nur mit kleinen Relieftafeln an Fenstern und Türen verzierter Ziegelbau in Form eines Kubus in Nachbarschaft von Friedrichswerderscher Kirche und im krassen Gegensatz zum barocken Stadtschloss. 

So erscheint aus heutiger Sicht Schinkels Architekturauffassung scheinbar gegensätzlich. Einerseits  steht das Schauspielhaus für eine klassizistische Bauweise, wie die meisten seiner Bauten, andererseits markiert beispielsweise die berühmte Bauakademie von 1836 den Beginn eines modernen, zweckorientierten Bauens, wie bei späteren Industriebauten. Doch Schinkel fühlte sich nie einem ganz bestimmten Stil verpflichtet. Bei ihm existieren gotische Formen, wie bei der Friedrichswerderschen Kirche und dem Kreuzberg-Denkmal, klassizistische, wie beim Alten Museum, oder eben eher zweckorientierte, wie bei der Bauakademie, nebeneinander. Vielmehr versuchte er, jede Bauaufgabe zeitbezogen und dem erklärten Zweck verpflichtet zu lösen, nicht jedoch, historische Formen eins zu eins zu übertragen. So war die nutzungsoffene Bauakademie nach heutigem Verständnis ein wahrhaft revolutionärer Bau. Sie fungierte nicht nur als Bau- und Unterrichtsanstalt, sondern beherbergte auch die oberste Baubehörde; im Obergeschoss befanden sich Schinkels Arbeits- und Wohnräume, im Erdgeschoss zwölf Verkaufsläden, u. a. die Gropius’sche Kunsthandlung, in der die Berliner die ersten Fotografien bestaunen konnten. 

Wenn nun vor einer Rekonstruktion oder einem Neubau die Debatte über Zweck und zukünftige Nutzung das Ziel hätte, vom Original auszugehen, wäre das zumindest ein guter Ausgangspunkt, fern vom „Zwang zur Fassadenrekonstruktion“, wie von Kritikern befürchtet, und auch fern von institutioneller Vereinnahmung. Ein Architekturmuseum beispielsweise, wie es die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gern hätte, wäre sicher nicht in Schinkel’schem Sinne. Selbstgefällige oder ausschließlich dem Repräsentationsbedürfnis verpflichtete Architektur war Schinkel zuwider. Vielmehr eröffnet sich jetzt die großartige Chance, einen Entwurf zu verwirklichen, der für kühne, beispielgebende Zukunftsarchitektur stehen könnte, fantasievoll, unverkrampft, nutzungsoffen – und sich so auf den wahrhaft modernen Schinkel einzulassen: „Überall, wo man sich ganz sicher fühlt, hat der Zustand schon etwas Verdächtiges …“ Dieses Vermächtnis Schinkels sollte dem Architekturwettbewerb voranstehen.

Reinhard Wahren

 

70 - Frühjahr 2017
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