Phänomen SUV

Mit einem Auto wird bekanntermaßen nicht nur ein Fortbewegungsmittel von A nach B verkauft. Immer entscheidender ist sein emotionaler Mehrwert in Form von Sex-Appeal und Verführungskraft. Und ein Auto kann durchaus Wunschvorstellungen und Machtwünsche befriedigen, eigene Defizite kompensieren und Phantasien sublimieren. Was schließlich ausschlaggebend für eine bestimmte Kaufentscheidung ist, spielt sich auf mannigfaltige Weise in unseren Köpfen ab.

Nun hat sich die Autowelt entscheidend verändert. Spritverbrauch und Abgaswerte entscheiden heutzutage wesentlich mit oder sind sogar ausschlaggebend. Da scheint ein Trend nicht ins Bild zu passen, nämlich die steigende Nachfrage nach den sogenannten SUVs, den Sport Utility Vehicles, den sportlich gestylten Geländewagen. Die haben zwar das Image Benzinschleuder abgelegt, dennoch zählen sie nicht gerade zu den umweltfreundlichen und zukunftsverheißenden Modellen. Was ist aber ihr Geheimnis, das den Markt der SUVs derzeit so boomen lässt? Wo ist der human spirit, der emotionale Kern, der in diesem Kürzel steckt?

Beispiel 1: der Mercedes ML 350 Blue Efficiency. Von diesem Modell hat Mercedes seit Einführung der Baureihe mehr als 1,2 Millionen verkauft. Trotz der respektablen Preisspanne sie liegt zwischen 57.000 und 86.000 Euro – und eines Spritverbrauchs von immerhin früher rund 11 Litern auf jetzt angegebenen 8,8 Litern pro 100 Kilometer. Ansonsten allerdings ist dieses Auto, innen wie außen, eine Augenweide. Mit 306 PS ist man damit auf der Straße und nahezu in fast jedem Gelände nicht nur schnell, sportlich und sicher unterwegs, sondern auch elegant und muss auf keinerlei Komfort verzichten, im Gegenteil. Die vielen Extras machen aus diesem Mercedes auch noch einen exklusiven Geländegänger.

Beispiel 2: Mit etwas weniger Komfort-Attitüde kommt noch im Juni der Mercedes GLK in den Handel. Vom Hersteller denn auch als „Lifestyle-SUV im Midsize-Segment“ vorgestellt, ist er mehr auf Off-road-Optik getrimmt als sein Vorgänger. Sieht zwar nicht so vollendet aus wie der ML 350 Blue Efficiency – einige konstruktive Details erinnern an andere Mercedes-Baureihen –, nichtsdestotrotz ist die Nachfrage nach dem GLK weltweit relativ groß. Das liegt sicher auch an der interessanten Motorisierung. Sie reicht vom Einstiegsdiesel 200 CDI BlueEfficiency über den GLK 250 Bluetec mit abgasreinigender Harnstoff-Einspritzung bis hin zum GLK 350 CDI mit immerhin 265 PS.

Beispiel 3: VW liegt mit seinem ­Tiguan gut im SUV-Markt, der Passat mit seiner Offroad-Variante Alltrack für leichtes Gelände bedient jetzt auch das SUV-Klientel, sogar Mazda hat mit dem CX-5 ein kompaktes SUV-Modell auf den Markt gebracht, nur Citroën und Peugeot legten in der Vergangenheit keinen Wert auf Modellpflege ihrer Allradmodelle. Daher wurden sie in Frankreich in kaum nennenswerter Zahl verkauft. Ganz im Gegensatz zum Tiguan eben, den die Franzosen inzwischen lieben. Natürlich zum Leidwesen ihrer Traditionsmarken, die aber längst die Zeichen der Zeit verstanden haben und mit zwei neuen attraktiven Modellen auf den schnell wachsenden Markt der Lifestyle-Allradler drängen. Das versucht der PSA-Konzern mit einem raffinierten Schachzug. Mit der Technik von Kooperationspartner Mitsubishi partizipieren Citroën und Peugeot gleichermaßen, denn nur in Motorisierung und Ausstattung unterscheiden sich die beiden Modelle. So wird der Citroën C4 Aircross auch mit Benzinmotoren angeboten, wogegen der Peugeot 4008 ausschließlich als Diesel auf den Markt kommt und luxuriöser ausgestattet ist. Beim C4 Aircross gibt es allerdings auch die Möglichkeit, zwischen drei verschiedenen Antriebsmodi zu wählen. Im Zweirad-Modus zum Beispiel ist mit einem geringeren Treibstoffverbrauch zu rechnen.

Beispiel 4: Sogar auf extravagante Automarken hat sich der SUV-Bazillus längst nachhaltig übertragen. Wie anders ist die neuerliche Modellpflege bei Infiniti zu sehen. Die Luxusmarke von Nissan bietet jetzt auch eine Dieselvariante ihres SUV-Erfolgsmodells FX. Bullig, aber auch stilsicher und mit exzellenter Ausstattung verkörpert dieser SUV vielleicht am ehesten die Exotik, die einem SUV ­offenbar innewohnt und so schwer zu beschreiben denn zu verstehen ist. Die der Mischung aus Geländewagen und den Bequemlichkeiten einer Limousine entspringt. Vielleicht auch die Erinnerung an Abenteuer und fast vergessene Backpacker-Erlebnisse wieder aufleben lässt. Viel zu robust für das, wofür man ein Auto gewöhnlich braucht, könnte ein SUV auch die Illusion nähren, ewig jung und dynamisch bleiben zu können oder nicht spießig zu sein. Oder aber, die hochbockigen Kraftpakete kommen versteckten Wünschen entgegen, mit einer Art Erhabenheit auf andere Verkehrsteilnehmer herabblicken zu wollen. Mann oder Frau sitzt einfach höher, was zudem einen besseren Ausblick verschafft. Es gibt sicher auch Gründe, warum die modernen Geländewagen auch von Hausfrauen für den Einkauf benutzt werden. Rational zu verstehen ist das sicher nicht. Doch was haben Emotionen und Lifestyle-Verhalten schon mit Vernunft zu tun!

 

Vom Winde verwöhnt


Jaguar XKR-S Cabrio [Foto: © 2012 Jaguar Land Rover]

Im Sommer offen zu fahren, ist reizvoller als geschlossen mit aufgedrehter Klimaanlage. Offen schnell zu fahren, bedeutet allerdings weitaus mehr Fahrspaß, auch mehr Fahrtwind und ist im Allgemeinen nur den Premiummarken vorbehalten. Das beweist jetzt auch eindrucksvoll Jaguar mit dem XKR-S Cabrio, das tatsächlich in 4,4 Sekunden eine Geschwindigkeit von 300 Kilometern pro Stunde erreichen kann. So schnell geht es nur auf der Rennstrecke, doch dass der Wagen einen superstarken V8-Motor unter seiner schicken Karosserie hat, merkt der Fahrer praktisch bei jeder Geschwindigkeit – ob im Windsturm oder bei moderater Fahrt. Der XKR-S Cabrio hat also nicht nur Rennqualitäten, was den Sportwagen zum schnellsten Cabrio der Firmengeschichte macht, er kann dank einzigartiger Straßenlage auch ganz anders. Verbrauch und Preis mit 12,3 Litern und 138.000 Euro sollten angesichts solch exklusiver Autoreferenz keine Rolle spielen.

Weniger für die Galerie, eher durchaus alltagstauglich und sehr agil, allerdings als eine Art Auslaufmodell mit Seltenheitswert, präsentiert VW noch im Juni das Golf GTI Cabrio. Der erste offene GTI der Firmengeschichte kommt also noch vor der nächsten Golf-Generation im Herbst. So wie Porsche kurz vor der neuen 911er-Baureihe noch mit einem superschnellen GT3 RS 4.0 einen würdigen Schlusspunkt unter seine legendäre Sportwagengeneration setzte, zelebriert VW ein „Sahnestückchen“ in Form der offenen GTI-Variante. Es ist tatsächlich das erste Cabrio in der GTI-Reihe und mit 237 Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit das schnellste. Bei jeder Geschwindigkeit ist dank des 210 PS starken Vierzylinders die Dynamik des Wagens zu spüren, die permanent Lust auf mehr Drive – und mehr Wind macht. In weniger als zehn Sekunden lässt sich vollelektrisch das Dach öffnen, bis Tempo 30. Serienmäßig sind Sportsitze, Alufelgen, Klimaanlage und selbstverständlich ein Sicherheitspaket mit Überschlagschutz. Die Preise: rund 31.000 Euro, mit Automatik rund zweitausend Euro mehr.

 

Porsche für Einsteiger


Porsche Boxter S Cabrio [Foto: Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, Deutschland]

Wer extravagant und sportlich unterwegs sein will, fährt beispielsweise einen Mercedes SLK oder einen Audi TT. Derart ambitionierte Fahrer sind zwar meist auch Porsche-affin, doch wegen des großen Preisunterschieds kaum ernsthaft. Mit dem neuen Porsche Boxter hat sich das seit Mai grundsätzlich geändert. Der ist bereits für knapp 50.000 Euro zu haben und es ist ein echter Porsche, obwohl das Spötter nicht wahrhaben wollen und ausschließlich auf den 911er verweisen. Vielleicht ist er sogar das Zukunftsmodell, sozusagen der kompletteste und kundenfreundlichste Porsche, den es je gab. Superflach auf der Straße, 18-Zoll-Räder, extreme Spurbreite, senkrecht stehende Scheinwerfer vorn, hinten ein ausfahrbarer Heckflügel, hinter den Türen Lufteinlässe, ein Stoffverdeck, das sich bis 50 Stundenkilometer in neun Sekunden öffnet und schließt, neue sparsame Sechszylindermotoren mit 265 PS bzw. 315 PS für den Boxter S, neue Ansauganlage, neues 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, Höchstgeschwindigkeiten von 264 und 279 Kilometer pro Stunde – das sind nur die nüchternen neuen Fahrzeugdetails. Damit sieht der neue Boxter gegenüber seinem Vorgänger nicht nur wie der mehr oder weniger facegeliftete neue 911er aus, er verkörpert durchaus einen neuen Porschetyp. Den kann die Sportwagenfirma sehr gut gebrauchen, wird er mit Sicherheit Käuferschichten ansprechen, die mit einem Porsche bislang wegen des finanziellen Aufwandes nur liebäugelten.

 

Elektroauto in spe


Fisker Atlantic [Foto: © 2011 Fisker Automotive, Inc.]

Einem Elektroauto Zukunftspotential zu bescheinigen, ist derzeit schon deshalb schwierig, weil eine gewisse Elektromüdigkeit vorherrscht, Elektroautos mitunter als „Spaßbremsen“ abqualifiziert werden oder in Ermangelung ausgereifter Technik und unterentwickelter Infrastruktur kaum nennenswerte Verbreitung finden. Dennoch werden von den Herstellern ständig neue Modelle vorgestellt, um einerseits technisch nicht den Anschluss zu verpassen und andererseits die eigene Marke rechtzeitig für den Zukunftsmarkt zu positionieren. So versucht auch beispielsweise die amerikanische Start-up-Marke Fisker in puncto Elektromobilität eine Vorreiterrolle zu übernehmen, indem sie mit ihrem neuen Fisker Atlantic ein massentaugliches Modell ankündigte, das in etwa zwei Jahren serienreif sein soll. Es ist nach dem exklusiven Fisker Karma erst das zweite Elektrofahrzeug, zielt aber auf einen Markt ab, den man nicht anderen Premiummarken überlassen will. Das Zukunftsrezept von Fisker heißt Range Extender. Wenn also die Energie des Akkus nach etwa 50 Kilometern aufgebraucht ist, übernimmt der Benzinmotor und treibt einen Generator an, der den nötigen Strom zum Weiterfahren erzeugt. Mit dieser Art der Reichweitenverlängerung will Fisker der Welt den sparsamsten, sportlichsten und schönsten Zukunftswagen präsentieren.

Reinhard Wahren

 

51 - Sommer 2012