Wachsende Gesundheitsbranche

In den vergangenen 15 Jahren kam es in Berlin zu einem steten Anstieg der Wertschöpfung und der Erwerbstätigen in der Gesundheitswirtschaft. Damit ist die Stadt auf dem besten Weg, auch Gesundheitshauptstadt zu werden.

Wirtschaftswachstum und die Schaffung neuer Arbeitsplätze sind zwar Garanten für eine prosperierende Wirtschaft, doch geraten die zunehmend an ihre Grenzen. Derzeit werden Wachstumserwartungen nur allzu oft gedämpft. Für Kritiker ist wirtschaftliches Wachstum gar ein Reizwort, verbinden sie damit beispielsweise die rücksichtslose Ausbeutung der Naturressourcen oder die Belastung der Umwelt.

Für einen Bereich und eine besondere Region gilt dies mitnichten. Werden im Allgemeinen nur noch geringe Wachstumsraten angegeben, geht es in der Gesundheitswirtschaft der Hauptstadt stetig bergauf. Die Bruttowertschöpfung betrug im Jahr 2009 bereits rund 10,7 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von über 13 Prozent an der Gesamtwirtschaft in Berlin. Daran hat den mit Abstand größten Anteil von 66 Prozent das Gesundheits- und Sozialwesen, gefolgt vom verarbeitenden Gewerbe, also hauptsächlich der pharmazeutischen Industrie und der Medizintechnik, mit einem Anteil von knapp 18 Prozent. Zwei Bereiche, die laut einem Gutachten des unabhängigen Wirt­schaftsinst-ituts WifOR inzwischen eine Bruttowertschöpfung erwirtschaften, von der andere Regionen nur träumen können. So betrug der Anstieg beispielsweise von 1996 bis 2008 127,6 Prozent von 0,83 Milliarden auf 1,89 Milliarden. Euro. Allein die Medizintechnik konnte ihre Bruttowertschöpfung sogar um mehr als 140 Prozent von 0,14 Milliarden auf 0,34 Milliarden Euro steigern.

Diese Entwicklung ist natürlich mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze verbunden. Im Jahr 2004 waren beispielsweise 207 000 Berliner im Gesundheitswesen tätig, heute sind es rund 225 000 und für das Jahr 2030 werden etwa 248 000 Jobs prognostiziert. Gesundheitsexperten sehen bereits in wenigen Jahren die Gesundheitswirtschaft als wichtigsten Berliner Arbeitgeber mit den meisten Stellen und dem größten Umsatz.

Für die Großregion Berlin-Brandenburg sind die Zahlen ähnlich beeindruckend. Rund jeder achte Beschäftigte arbeitet derzeit in einem Krankenhaus, in der medizinischen Forschung, der Pharmaindustrie, Medizintechnik, als Arzt, im Wellnessbereich oder Gesundheitstourismus. Das sind etwa 360 000 Beschäftigte, die rund 16 Milliarden Euro jährlich erwirtschaften. Ohne Ausbau und Ansiedlung von Krankenhäusern, Reha-Einrichtungen, Pharma-
Firmen und Startups war und ist dieses über­durchschnittliche Wachstum kaum möglich. Trugen Großfirmen wie Pfizer und Sanofi-Aventis oder die Helios Kliniken GmbH mit der Verlegung ihrer Firmensitze in der Vergangenheit dazu bei, setzt man bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze zukünftig vor allem auf privatwirtschaftliches Engagement. Die Bayer Schering Pharma AG zum Beispiel – mit rund 4 500 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber der Stadt – hat bereits den Ausbau seines Stammsitzes in Wedding geplant. Ein 18 Hektar großes Gelände soll schrittweise zum „Pharmacampus“ ausgebaut werden. Besonders wachstumsfördernd präsentieren sich die mittelständischen Medizintech­nik-Unternehmen mit ihren innovativen Entwicklungen für die immer älter werdenden Patienten. Die Nachfrage nach medizintechnischen Produkten und Dienstleistungen wird künftig weitere Firmen nach Berlin ziehen. Otto Bock Healthcare, Weltmarktführer für orthopädische Medizintechnik, wird beispielsweise seine gesamte Kreativabteilung auf das Areal der ehemaligen Bötzow-Brauerei in Prenzlauer Berg verlagern. Mit dem Science Center für Medizintechnik, zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor gelegen, hat sich das Unternehmen bereits in Berlin etabliert. Der größte Teil der Wertschöpfung kommt natürlicherweise aus dem Gesundheitswesen mit seiner ambulanten und stationären Versorgung. Mit rund 80 Kliniken hat die Hauptstadt eine hohe Versorgungsdichte. An erster Stelle steht die traditionsreiche renommierte Charité. Mit 14 500 Mitarbeitern an vier Standorten erwirtschaftet das größte Klinikum Europas rund eine Milliarde Euro Umsatz pro Jahr. Der zweite landeseigene Krankenhauskonzern ist Vivantes mit 13 000 Mitarbeitern und neun Krankenhäusern. Bis 2014 plant das Unternehmen unter anderem Investitionen in den konzernweiten Aufbau von Komfortkliniken, verteilt auf sechs Standorte. Beide Gesundheitsunternehmen gelten als „Leuchttürme in Forschung, Lehre und Gesundheitsversorgung“. Zusammen mit allen anderen Kliniken in privater und freigemeinnütziger Trägerschaft reichen die „Angebote von der Grundversorgung bis zur High-End-Medizin, von der Prävention bis zur hochspezialisierten Rehabilitation“. Kein Wunder, wenn es mehr und mehr potenzielle Patienten in die Hauptstadtregion zieht. In diesem Zusammenhang gewinnt auch der Gesundheitstourismus zunehmend an Bedeutung, zumal mehr und mehr wirtschaftliche Erwägungen im Gesundheitswesen eine Rolle spielen.

In der Charité wurden 2011 eintausend Berlin-Besucher aus dem Ausland medizinisch betreut, ein Wachstum von 20 Prozent gegenüber 2010. Auch Vivantes stellt sich auf die Nachfrage aus dem Ausland ein und hat bereits in Luxuskliniken investiert. Für 2011 gab der Konzern sogar 1600 ausländische Patienten an, vor allem aus den Arabischen Emiraten. Jetzt sollen bereits Wartelisten existieren. Der Berliner Senat sieht die „Gesundheitsstadt Berlin“ überdies als einen „wissenschaftsgetriebenen Standort“: Medizin vereint mit Spitzenforschung. Beispielsweise sind in Berlin-Buch auf einer Fläche von mehr als 30 Hektar medizinische Forschungseinrichtung-en, Kliniken sowie zahlreiche Biotechnologie-Unternehmen angesiedelt. Allein die Biotechnologie vereint nahezu 50 Firmen mit 750 Arbeitsplätzen. Der renommierte Campus mit 4700 Beschäftigten ist ein herausragendes Beispiel für das Zusammenspiel von klassischer Gesundheitsversorgung und zukunftsweisender Forschung und Entwicklung. Dazu gehören zunehmend auch Forschungskooperationen. Jüngstes Beispiel ist die Einrichtung des „Berliner Instituts für Gesundheitsforschung“, ein bundesweit beispielhaftes Zentrum, in dem ab 2013 die Charité und das Max-Delbrück-Centrum in Buch gemeinsam zahlreiche Krankheiten erforschen werden.

So ist die Gesundheitswirtschaft in Berlin und seinem Umland in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich gewachsen, und Experten sehen sie inzwischen als wirtschaftlich zentrale Branche mit dem Potenzial, erheblich zur Wertschöpfung der Region beizutragen.

R. W.

 

54 - Frühjahr 2013