Es kann wieder gebadet werden

An der Unteren Havel werden in den kommenden Jahren auf 90 Kilometern Flusslänge 15 Altarme wieder zum Fließen gebracht. Ende der 1990er-Jahre fiel die Entscheidung, dass ein Teil der Unteren Havel nicht mehr von Frachtschiffen befahren werden soll. Damit war der Weg frei für die Planungen, diesen Flussabschnitt zu renaturieren. Insgesamt 47 Millionen Euro wurden inzwischen über die Jahre für das vom NABU (Naturschutzbund Deutschland) geleitete Projekt veranschlagt. Fördermittel kamen von den beteiligten Ländern Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie vom Bund.

„Die Havel ist ein aparter Fluss“. So erlebte sie Theodor Fontane und pries das „Blau des Wassers“ und die „zahlreichen Buchten“. Mittlerweile wird in der Unteren Havel wieder gebadet, und kleine Buchten haben sich auch schon gebildet. Die Wasserqualität ist erstaunlich gut. NABU-Projektleiter Rocco Buchta ist an der Havel aufgewachsen. „Ich habe mit meinem Großvater im Angelkahn gesessen und aufs Wasser geschaut. Natürlich haben wir Kinder auch gebadet“, erinnert er sich. Sein Opa habe ihm damals erzählt, dass es in der Havel einst Störe und Lachse gab. „Das hat mich damals sehr geprägt.“

Noch Mitte der 1990er-Jahre war die Untere Havel alles andere als apart, eher nüchtern wie ein breiter Kanal, begradigt und eingezwängt in ein Schotterbett. Auf der Havel wurde seit dem 19. Jahrhundert alles transportiert, was vor allem die Großstädte Hamburg und Berlin brauchten, darunter Ziegel, Kohle und Getreide. Zu DDR-Zeiten ist dem Fluss in diesem Abschnitt endgültig seine Natürlichkeit genommen worden. Als Transitstrecke von West-Berlin ins Bundesgebiet wurde er zur viel befahrenen Wasserstraße. Nach der Wiedervereinigung gab es in dem Umfang nicht mehr den Bedarf für die Güterschifffahrt. Nur noch etwa 15 Frachtschiffe jährlich fuhren zuletzt. Heute sind Ausflugs- und einige Hotelschiffe sowie Sportboote auf der Havel unterwegs. Der naturgerechte Umbau des Flusses ist in vollem Gan-ge. In etwa fünf Jahren soll er abgeschlossen sein.

Die Havel entspringt in Mecklenburg-Vorpommern, fließt auch durch Berlin und vor der Mündung in die Elbe durch Sachsen-Anhalt. Zuallererst aber ist sie ein Brandenburger Fluss. 285 der 334 Flusskilometer verlaufen durch die Mark. „Es geht um etwa 90 Kilometer zwischen Pritzerbe nördlich der Stadt Brandenburg und Gnevsdorf an der Elbmündung, die wieder zu einem naturnahen Fluss gemacht werden sollen“, sagt Rocco Buchta. Die Havel soll in diesem Abschnitt wieder naturnahe Ufer bekommen, Raum für Wildnis und Überschwemmungen. „Wichtig war in diesem Prozess, die Menschen mitzunehmen“, so Buchta. Dass er aus der Gegend stammt, war ein Vorteil. Ganz am Anfang standen Voruntersuchungen und im Jahr 2005 eine Auftaktkonferenz in Rathenow, auf der der NABU sein Projekt vorstellte. Da habe es natürlich Bedenken und Einwände seitens der Landwirte und Gewerbetreibenden gegeben. Die habe man aber weitgehend ausräumen können, durch beharrliches Argumentieren. Von Fall zu Fall seien aber immer wieder auch Kompromisse nötig gewesen, was die Ausbautiefe und den Hochwasserschutz angehe. Auch die Bevölkerung in den Havelorten wurde früh eingebunden. Die Gemeinden konnten zum Beispiel mitentscheiden, wo genau sie sich einen Badestrand wünschen.

Mittlerweile sind die Arbeiten in vollem Gange. Die Renaturierung umfasst ein ganzes Maßnahmenbündel, angefangen von der Entfernung des Deckwerks, wie die Schotterbefestigungen in der Fachsprache heißen. Auf 14 Kilometern ist der Fluss mittlerweile von seinen Randbefestigungen befreit. Darüber hinaus sollen Altarme wieder mit dem Hauptfluss verbunden werden, auch hier liegt der Nabu gut im Plan. Alte Flutrinnen werden wieder reaktiviert und Fischwanderhilfen geschaffen. Es werden Schilf gepflanzt und ein Auenwald angelegt. Sandbänke dürfen sich bilden. Bestehende Uferwallungen und Deiche werden teilweise rückgebaut, sodass die riesigen Feuchtgebiete entlang der Unteren Havel wieder besser mit dem Fluss vernetzt sind. „In dem Gebiet leben über 1 100 vom Aussterben bedrohte oder stark gefährdete Tier- oder Pflanzenarten“, sagt Rocco Buchta. Es gibt wieder Biberburgen und Nistplätze für seltene Wasservögel wie die Rohrdommel, den Rotschenkel und das Tüpfelsumpfhuhn.

Wie lebendig der Fluss im Zuge der Renaturierung wieder geworden ist, ist auf Luftbildern besonders gut zu erkennen. Die Havel darf sich schlängeln und ausbreiten. 18 700 Hektar umfasst das Areal insgesamt. Es ist das letzte große zusammenhängende Feuchtgebiet im westlichen Europa. Eine Fläche, die auch auf Exkursionen, ob zu Fuß oder per Rad, erkundet werden kann. Einen besonderen Reiz haben Schiffsausflüge. Von Rathenow und Havelberg aus werden sie angeboten. Wer mehr über die Renaturierung erfahren möchte, kann einen Schiffsausflug mit dem NABU unternehmen, einschließlich einer Führung mit Rocco Buchta.

Karen Schröder

 

80 - Herbst 2019