Aus einem Guss

Die Bildgießerei Noack hat am stillen Charlottenburger Spreeufer einen Kulturstandort geschaffen, der entdeckt werden will.

Der „Spreekieker“ schaut bald 40 Jahre übern Fluss. Die von Gertrud Bergmann (1920–1985) entworfene männliche Bronzeskulptur mit Latzhose und Schiebermütze wurde von der damals noch in Friedenau ansässigen Bildgießerei Noack geschaffen, die nun ihren Standort als Skulpturenzentrum am Charlottenburger Spreeufer hat: Auge in Auge mit dem gewitzten Spreekieker.

Die Bildgießerei ist ein bedeutender Berliner Ort, wo Künstler, Handwerker und Kunsthandwerker Geschichte machen. Sie wurde vor 123 Jahren von Hermann Noack I. gegründet. Wer offenen Auges durch die Stadt geht, kann ihre so kunstvollen Arbeiten, wie die geflügelte Siegesgöttin Victoria („Goldelse“) oder die Quadriga auf dem Brandenburger Tor, im öffentlichen Raum finden. Auch der von Renée Sintenis (1888–1965) entworfene Berlinale-Bär wird seit 1955 bei Noack gegossen.

Wie ein Schiff mit dickem Bauch ragt das Restaurant „Bar Brass“ gen Westen in Richtung Caprivibrücke. Wer dort steht, sieht die Baumwipfel vom Schlosspark Charlottenburg und den Turm des Bezirksrathauses von hinten. Draußen auf der Terrasse sitzt der Gast im Garten. Drinnen unter luftiger Höhe und fast gänzlich unter gläsernem Himmel nimmt er an vertrauenerweckenden Holztischen Platz, die aus den alten Werkbänken der Gießerei gearbeitet wurden. Er ist umringt von Kunststücken, wie Dieter Finckes (1939–2011) filigranen Tierplastiken, die in der Bildgießerei geformt wurden, und erfreut sich mittags und abends an den feinen Tellergerichten von Küchenchef Reza Danabi.

Die Bar Brass ist Teil des Gesamtkonzeptes „Skulpturenforum“. Neben einigen Ateliers errichtete der Architekt Reiner Maria Löneke für seinen Auftraggeber auf 10 000 Quadratmeter Grundfläche großzügige moderne Refugien für die Gießerei, das Restaurant, das Museum mit der hauseigenen Sammlung und eine Galerie für wechselnde Ausstellungen. Viel Beton ist sichtbar in allen Räumen, die in ihrer jeweiligen Höhe von 3,8 bis 8 Metern variieren. Das gibt den Skulpturen Raum und Auftritt sowie den 40 Mitarbeitern, Gästen und Bewohnern Luft zum Atmen.

Hermann Noack IV. war die treibende Kraft für einen Umzug nach Charlottenburg. Das noch bis 2008 von seinem Vater Hermann III. geführte Unternehmen in Friedenau war „längst zu klein und zu kaputt“, erzählt er. „Wir brauchten endlich geordnete Strukturen. Der Umzug war dringend nötig.“ Noack kaufte das Grundstück von Vattenfall. Auf deren ehemaligem Kohlenlagerplatz ruht nun das Skulpturenforum in einer Reihe mit dem Kraftwerk Charlottenburg, dessen historische Maschinenhalle 1900 von Georg Klingenberg als roter, schmucker Ziegelbau zugleich mit der stählernen Fußgängerbrücke „Siemenssteg“ über die Spree nach Alt Lietzow rüberreichend errichtet wurde.

Wer an einer der Führungen durch die Werkstätten der Bildgießerei teilnimmt, kann den Ziseleuren, Sand- und Wachsformern und den Gießern bei der Arbeit zuschauen oder die Künstler bewundern, die sich hingebungsvoll ausschließlich der Patina eines Objektes widmen. Hier in den Werkshallen wohnt dem Handwerk noch ein Zauber inne. Das Archaische ist von der Technik nicht gänzlich hinweggefegt worden. Für den Kunsthandwerker liegt der Zauber seiner Arbeit in der Geduld, die er immer wieder aufbringt, um die Vorstellungen des beauftragenden Künstlers umzusetzen. August Gaul (1869 – 1921) und Fritz Klimsch (1870 – 1960) nennt Hermann Noack die Gründungspaten des Familienunternehmens. Rainer Fetting, Heinz Mack, Georg Baselitz oder Anselm Kiefer sind Noack wie viele andere berühmte Künstler eng verbunden. Mit der Übernahme der Bildgießerei durch Hermann IV. kamen nordische Künstler, zum Beispiel Kristian Blystad, dazu.

Hermann Noack IV. hatte eigentlich Architekt oder Künstler werden wollen. „Ich erkannte aber, dass ich mich im Handwerk besser aufgehoben fühlte.“ So machte er eine Lehre zum Sandformer im väterlichen Betrieb. Mit seiner nie nachlassenden Liebe zur Kunst ist der begeisterte Schlagzeuger am richtigen Ort und zudem mit der Künstlerin Anna Bogouchevskaia verheiratet. Mit ihren Kindern leben sie in einer Wohnung im Skulpturenforum auf der so genannten Mierendorff-Insel. Diese liegt zwischen Spree, Westhafenkanal und dem Charlottenburger Verbindungskanal. Man kann sie prima umradeln und lernt einen Teil Berlins kennen, der mehr als 15 000 Menschen einen Lebens- und Arbeitsraum bietet und bisher keine richtige Flaniermeile ist. Es sei denn, man spaziert vom Schloss Charlottenburg kommend Richtung Mitte auf der einen oder umgekehrt auf der anderen Spreeseite entlang. Da kann man am besten erfahren, wie sehr sich die Gegend gerade wandelt. Die Wohnlage am Wasser ist attraktiv, die Strandbars der Nachwendezeit sind Eigentumswohnungen gewichen. Der Freizeitwert am Wasser ist in diesem Charlottenburger Bereich noch ein kleiner Geheimtipp.

Das Skulpturenforum hebt nun das Niveau und bietet Führungen an. Der Ausbau weiterer Ausstellungsräume und eines kleinen Kinos für Filme über Kunst und Kunstverwandtes sollen folgen. Für kulinarische Einkehr ist ja bereits gesorgt. Die Bar Brass ist das beste Restaurant weit und breit. Das nach 100 Jahren vom heutigen Betreiber des Kraftwerkes Charlottenburg an den Bezirk zurückgegebene Spreeufer unterhalb der Bildgießerei erfreut sich schon jetzt besonders im Sommer bei Sonnenanbetern großer Beliebtheit. In der einen oder anderen Strandbaude kann man ein Bierchen trinken. Stopp jetzt an der Caprivibrücke! Denn unter Wahrung der Tradition hat die Bildgießerei Noack einen modernen Kulturstandort geschaffen. Der Besuch lohnt sich.

Inge Ahrens

 

Information
Bildgießerei Hermann Noack GmbH & Co KG, Am Spreebord 9, 10589 Berlin (Charlottenburg), Anmeldung bei Isabella Mannozzi: isabella@noack-bronze.com

 

81 - Winter 2020
Kultur