Das dicke Ende kommt bestimmt

Wenn die kalte Jahreszeit kommt, denke ich an Sandro. Sandro ist charmanter Italiener und erfahrener Koch. Von ihm habe ich gelernt, wie ich meinen Lieblingskürbis den ganzen Winter über geniessen kann. Und das geht so: Ich schlachte einen Muskatkürbis. Das ist der mit der tannengrünen Haut, den glänzenden dicken Speckfalten und dem tief orangefarbenen Fleisch. Ich schäle seine harte Haut, schabe die Kerne raus und würfele den Rest mit meinem stärksten Messer. Jedes Mal packt mich an dieser Stelle die Reue, denn das Procedere dauert, und am nächsten Tag werde ich wieder Muskelkater haben.

Das Fruchtfleisch werfe ich ohne Zutaten in meinen größten Topf. Deckel drauf, auf kleinster Flamme erhitzen und fünf Stunden Saft ziehen lassen. Am Ende habe ich ein umwerfend aromatisches Mus, das ich portioniere und einfriere. Mit meinen Kürbisgnocchi, dem Kürbisrisotto oder der Kürbissuppe schinde ich den ganzen Winter über Eindruck bei meinen Gästen. Auf diese Weise ist auch Sandro immer mit dabei, vor allem, wenn mir mein Tischpartner mal wieder abhanden gekommen ist.

Je später das Jahr, desto eindrucksvoller die Früchte. Kaum, dass die letzten Tomaten mit Wehmut vom Strauch gerupft sind und Dahlien wie Sonnenhut rot und gelb zum Sommerausklang ordentlich Feuer in unserem Garten machen, ist der Kürbis schon herangewachsen: groß und klein, grün und golden, gelb und rosig, lang und rund, krumm und ebenmässig. Hunderte Kürbissorten gibt es. Körbs oder Kerwes sind seine Volksnamen. Die Schweizer sagen Kürbi. Manche Exemplare haben ihre Kinderstube auf dem Misthaufen verbracht und liegen ausgereift unverrückbar riesig satt mit prallen Backen da, als solle sie niemand mehr wegholen. Andere haben sich gurkenförmig unter ihre eigenen Blätter verkrochen oder sind mutig in Bäume geklettert. Ihre Flaschen gleichenden Früchte baumeln wie lichtlose Halloweenlaternen in den Zweigen. Bevor wir uns an den Ofen verziehen und den Garten eine Weile sich selbst überlassen, ernten wir noch einmal in Hülle und Fülle: Butternuss und Blauer Ungar, Türkenbund und Langer Nizza. Denn der Kürbis, auf lateinisch Cucurbita, lässt es sich wohl ergehen in unserem Breiten, obwohl er doch schon seit präkolumbianischer Zeit in Süd- und Mittelamerika beheimatet ist. Die ersten Seefahrer waren wohl beeindruckt bei ihrem Landgang und haben ein paar dicke Kaventsmänner nach Europa verschifft oder zumindest ihre Kerne. Die fühlten sich heimisch bei uns und wurden seitdem in vielen Gärten nach Herzenslust vermehrt.

Botanisch gehört der Kürbis zu den Kürbisgewächsen (Cucurbitaceae) wie auch die Gurken, Wassermelonen, Zucchinis. Fünf Arten werden kultiviert. Zu den wichtigsten gehören der Garten-, der Riesen- und der Moschuskürbis, auch Muskatkürbis genannt. Der Kürbis ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Ob nun in Südamerika, in Zentralasien oder Indien – man nutzte ihn mit Stumpf und Stiel. Man höhlte ihn aus, verspeiste das Fleisch, trocknete die Kerne und nahm besonders die etwas lederne Hülle des Flaschenkürbisses als Vorratsgefäss. Heute, in den Zeiten des Überflusses, wird derlei nicht mehr gemacht. Manche essen die Kürbisse ja auch gar nicht. Was für ein Jammer! Aber wer weiß schon, dass Kürbis kalorienarm ist und als Diätspeise gilt. Er ist wasser- und ballaststoffreich, enthält viel Kalium und reichlich Vitamin A und C. Den Indianern und Afrikanern war er Weltenei, den Chinesen Glücksbringer für ein langes Leben, aber auch Fruchtbarkeit symbolisiert er bis heute – kein Wunder bei dem Anblick. Man möchte ihn umarmen und aufessen vor Vergnügen. Schließlich schmeckt er vor allem.

Inge Ahrens

 

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84 - Herbst 2020