Fit und gesund – Leben im Gleichgewicht

Vielen fällt es schwer, die Balance zu halten, wenn sie auf einem Bein stehen. Dabei ist ein gesunder Gleichgewichtssinn enorm wichtig für unsere Wahrnehmung. Es gibt zum Glück viele einfache Übungen zur Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens.

Mit Skiern einen Hang hinunter zu fahren, tanzen bis zum Morgen, das Kind auffangen und sich mit ihm vor lauter Freude im Kreis drehen? Für all das braucht man Gleichgewicht. Lange Zeit sprach man von den fünf Sinnen des Menschen: Riechen, Schmecken, Fühlen, Sehen, Hören. Heute zählt der Gleichgewichtssinn dazu. Er ist eine fantastische Einrichtung des menschlichen Körpers, die im komplexen Miteinander Nerven, Ohren, Muskeln und vieles mehr miteinander verbindet, um im Millisekunden-Bereich den Menschen immer wieder sicher stehen zu lassen. Selbst die Augen sind an diesem Prozess beteiligt. Um sich dessen bewusst zu werden, reicht zur Probe das einfache Stehen auf einem Bein mit offenen oder geschlossenen Augen im Vergleich. Die Stabilität der Haltung wird eine andere. Aber das kann trainiert werden.

„Der Zusammenhang zwischen Körperhaltung und Gleichgewicht ist vielen nicht bewusst und nur wenige wissen um das unglaubliche Potenzial, das man mit gezieltem Gleichgewichtstraining ausschöpfen kann“, so Luise Walther. Die Spezialistin für Rehabilitation, Verletzungsprophylaxe und Performance-Steigerung stellt in ihrem Buch „Neurozentriertes Training: So trainierst du Gleichgewicht und Stabilität“ die ganzheitliche Betrachtung der körperlichen Leistungsfähigkeit in den Vordergrund.

Wie steht‘s?

Als erstes ist es jedoch wichtig, sich selbst in seiner Stabilität und etwaige Auffälligkeiten wahrzunehmen. Das geht ganz einfach, indem für einige Sekunden unterschiedliche Standpositionen nacheinander eingenommen werden. Das rät Gabi Fastner. Sie ist Autorin zahlreicher Fitnessbücher und eine der beliebtesten Online-Trainerinnen mit über 533 000 Followern auf YouTube. Selbst für langjährige Sportprofis hat sie kurzweilige feine Workouts zu jeder sportlichen Thematik in Bezug auf Fitness im Programm, so auch zum Gleichgewicht. Die einzunehmenden Positionen für die Selbstwahrnehmung des eigenen Gleichgewichts sind: erst breitbeinig stehen, dann schulterbreit, auf einem Bein, und zum Schluss auf einem Bein stehen und dabei mit den Armen rudern. Die Augen können als Steigerung geschlossen werden. Und, wie steht‘s, ist jetzt die richtige Frage im wahrsten Sinne des Wortes. „Interessanterweise“, so Fastner, „helfen schon diese kleinen Standübungen, das Gleichgewicht zu trainieren und zu verbessern.“

Auch gehen hilft. „Jeder Schritt an sich ist schon ein Balance-Akt“, sagt Fastner, „denn dabei sind wir jederzeit kurz auf einem Bein. Und wenn wir laufen, springen wir sogar ab und müssen uns abfedern.“

Im Zeichen der Unendlichkeit

Das Gleichgewicht zu trainieren, ist im Alltag völlig unkompliziert. Einfach auf einem Bein stehen, zum Beispiel beim Zähneputzen oder Abwaschen. Selbst beim Warten an der Bushaltestelle oder in der Schlange am Supermarkt kann für einen Moment lang ein Fuß vom Boden gelöst und gewackelt werden. Wackeln ist gut. „Wenn wir wackeln, wird die Tiefenmuskulatur trainiert. Das sind die Stabilisatoren, die, wenn wir aus dem Gleichgewicht kommen, aktiv werden und durch ihre Anspannung ein Fallen verhindern“, so Fastner. Fallen bedeutet immer eine Verletzungsgefahr der Knochen, Gelenke und auch der inneren Organe. Fastner weiß: „Je stabiler wir sind, desto beweglicher werden wir.“ Klingt paradox, aber jede Sicherheit bringt größere Bewegungsfreiheit. Das gilt auch für einen jugendlichen Gang. Flotten Schrittes und mit Schwung daherzukommen, funktioniert nur, wenn Sicherheit da ist. Wer sich unsicher fühlt, wird zu Hilfsmitteln greifen, breitbeiniger laufen oder am Handlauf die Treppe hinabsteigen. Das muss nicht sein. Vorausgesetzt, es handelt sich nicht um krankheitsbedingte Gleichgewichtsstörungen, diese gehören selbstverständlich medizinisch abgeklärt.

Eine weitere interessante Übung Fastners für das Gleichgewicht hat mit dem Zeichen der Unendlichkeit zu tun. Dafür werden ein Arm nach vorn ausgestreckt und die Hand zur Faust geformt, nur der Daumen zeigt gen Himmel. Mit ihm wird dann das Zeichen für Unendlichkeit bzw. eine liegende Acht in die Luft gezeichnet und mit den Augen verfolgt. Der Clou, man selbst hat dabei die Füße hintereinandergestellt, wie auf einem Hochseil balancierend.

Wie ein Fahrrad

Das Gleichgewicht in Vollendung scheinen Hochseilartisten zu beherrschen. Die Macher der Hochseilarena in Berlin behaupten sogar, Hochseillaufen kann jeder erlernen. Ihr Motto: Hoch hinaus, tief entspannt. Das kann man auch auf dem Boden.

Natürlich muss der Körper auch mal sitzen und sich irgendwo anlehnen. Fatal wird es, wenn das ständig getan wird. Dann erschlafft die Muskulatur des Körpers, was wiederum Auswirkungen auf die Sportlichkeit hat und auch auf das Gleichgewicht: Die Gleichgewichtsfähigkeit wird verlernt. „Wahre Ruhe ist nicht Mangel an Bewegung. Sie ist Gleichgewicht der Bewegung“, wusste schon Ernst Freiherr von Feuchtersleben vor 200 Jahren.

Gleichgewicht im Kopf ist ebenfalls wichtig, so Stefan Beilmann, Physiotherapeut und Inhaber der Praxis im Hof. „Auch da muss die Mitte hergestellt werden. Schließlich gehen die Ungleichgewichtssignale ins Nervensystem und dann wieder zurück.“

Wer sich nicht fit im Kopf fühlt oder mit zu viel Gepäck und Sorgen im Leben unterwegs ist, hat auch irgendwann keine Lust mehr gerade- oder aufzustehen.

„Das Leben ist wie Fahrrad fahren, um die Balance zu halten, musst du in Bewegung bleiben.“ Das schrieb Albert Einstein an seinen Sohn. Was gibt es Schöneres, als sich frei und ohne Angst und Einschränkungen bewegen zu können?

Barbara Sommerer

91 - Winter 2022/23