Leise Töne zum Erfolg

Trainer Jos Luhukay führte Hertha BSC zurück in die Fußball-­Bundesliga mit dem Ziel, sich dort zu etablieren.

Michael Preetz hat es immer gut gemeint mit Hertha BSC. Böswillige gehen da sogar bis ins Jahr 1996 zurück. Damals versiebte der Stürmer von Wattenscheid 09 im Zweitligaspiel gegen die Berliner eine riesige Tormöglichkeit – und der Hauptstadtclub musste deshalb nicht in die Bedeutungslosigkeit der Regionalliga absteigen. Noch Gehässigere verweisen auf die Bundesliga-Saison 2011/2012, als der inzwischen zum Hertha-Manager aufgestiegene Schwarzschopf das Trainer-Karussell so heftig drehte, dass während der Spielzeit nicht nur alle Übungsleiter aus ihren Sitzen purzelten, sondern Hertha wieder einmal den Gang in die Zweitklassigkeit antreten musste.

Doch auch damit traf Preetz – wie bei seinem vermasselten Torschuss im Wattenscheider Trikot – für Hertha BSC voll ins Schwarze. Ansonsten hätte der gebürtige Rheinländer nicht jenen Trainer an die Spree holen können, den heute neben den Fans sogar die ewig misstrauische und stets poltrige Berliner Medienlandschaft als Heilsbringer schlechthin feiert: Jos Luhukay.

Mit seinem ersten Jahr beim Traditionsverein konnte der Holländer nicht nur seine hervorragende Arbeit bei den früheren Geldgebern bestätigen und wiederholen, sondern er eroberte auch die Herzen derjenigen, die seinen Amtsantritt skeptisch beäugten. Irgendwie passt der Neue, der im Juni seinen 50. Geburtstag feierte, sogar zu dem ebenfalls unaufdringlichen und nie in die Öffentlichkeit drängenden Preetz. Beide verbindet sogar, dass sie durch missgünstige Schicksalsschläge positive Lebensrichtungen einschlugen.

Diese Bösartigkeiten des Schicksals allerdings sind bei Luhukay deutlich tiefer eingeschnitten als bei seinem Manager. Die erste liegt vor der Geburt des späteren Fußballers. Wenn Luhukays Vater nicht vor der lebensbedrohlichen Situation auf den zur indonesischen Inselwelt gehörenden Molukken ins einstige Kolonialland geflüchtet wäre und dort seine spätere holländische Frau kennengelernt hätte, würde es heute den anerkannten Hertha-Trainer nicht geben. Und wenn der Profi Luhukay mit seinem Verein VVV Venlo in der Saison 1988/89 besser abgeschnitten und nicht in der Relegation gegen den Abstieg hätte spielen müssen, wäre er wahrscheinlich längst tot. Der Sportler gehörte damals jener Kleurrijk Elftal an, die bei einem Flugzeugabsturz am 7. Juni in Surinam komplett ausgelöscht wurde. Luhukay wäre an Bord gewesen mit der Nationalmannschaft, die sich aus Spielern rekrutiert, die aus einstigen Kolonien stammen. Die Relegation seines Vereins rettete ihm das Leben.

Vielleicht hat das alles dazu beigetragen, dass der Trainer von Hertha BSC die personifizierte Ausgeglichenheit zu sein scheint. Und der personifizierte Erfolg. Was ihm als Profi nicht gelang, dass holt er jetzt als sportlicher Übungsleiter nach. Nie konnte der nur 1,67 Meter große Mittelfeldspieler im Trikot berühmter Vereine gegen den Ball treten. Der Eintritt in die „richtige“ Nationalmannschaft der Niederlande blieb ihm genauso verwehrt wie eine Visitenkarte in der deutschen Bundesliga. Wenn man von den 26 Minuten Einsatzzeit als Einwechsler bei Bayer Uerdingen vor nahezu 20 Jahren einmal absieht.

Das holt der Familienmensch, der seine Ehefrau und die beiden in der Heimat studierenden erwachsenen Kinder nach Möglichkeit vor den Medien abschottet, auf der Trainerbank nach. Mit Borussia Mönchengladbach schaffte er seinen ers­ten Marsch in die Bundesliga, mit dem – an finanziellen Mitteln höchstens zweitklassigen – FC Augsburg den zweiten. Nun hat er mit Hertha BSC den Aufstiegs-Hattrick geschafft und profitiert von dem, was er auf seinen vorhergehenden Stationen verinnerlichen konnte. Wirtschaftlich ist er, wie bei seiner vorhergehenden Station, in Berlin nicht auf Rosen gebettet. Höchstens auf deren Dornen. Der mit mehr als 40 Millionen Euro verschuldete Verein kann sich keine hochkarätigen Profis leisten, und Luhukay muss mit dem arbeiten, was er bei seinem Amtsantritt im Unterhaus vorgefunden hat. Aber der Trainer hat mehrfach schon vor seinem Husarenritt mit dem FC Augsburg bewiesen, dass der in der Bundesliga zutreffende Spruch „Geld schießt Tore“ ausgehebelt werden kann. So düpierte er 2002 mit dem in die Regionalliga abgerutschten KFC Uerdingen im Pokal zuerst Energie Cottbus und später sogar das große Werder Bremen, was für ihn zum Sprungbrett in höhere Ämter wurde.

Doch danach hat sich Jos Luhukay nie gesehnt und bei seinem Amtsantritt stets klargemacht, dass er sich in seinen sportlichen Aufgabenbereich auch von dem mächtigsten Manager nicht hineinreden lässt. Dabei bleiben seine Gefühlsausbrüche, wie er sie bei der 1:3-Niederlage von Hertha BSC zu Saisonbeginn gegen den FSV Frankfurt erkennen ließ, Raritäten. „Ich glaube, dass hier zu viele meinen, dass sie groß sind und einen großen Namen haben“, herrschte er die satten Profis in der Kabine an. Fortan wurden seine Männer wieder hungriger, und der Coach dankte es ihnen, indem er öffentlich eine Siegesserie versprach. Die ihm die Spieler auch schenkten. Die Philosophie des Trainers, dass man ohne die Riesen-Talente den Erfolg nur mit Einsatz und Willen, also im Kollektiv, erreichen kann, hat seine Mannschaft mittlerweile verstanden.

Es scheint, dass Jos Luhukay und Michael Preetz an einem Strang ziehen, was bei Trainer und Manager im Verein nicht immer so war. Und es scheint, dass die beiden nach ihrer bewegten Vergangenheit völlig zufrieden sind, mit Hertha BSC nach den Turbulenzen der vergangenen Jahre endlich in ruhigem Fahrwasser zu steuern. Wie lange das anhalten wird, muss sich in den nächs­ten Wochen und Monaten zeigen, die die Männerfreundschaft auf eine harte Probe stellen werden. Denn das Geschehen in der Bundesliga, wo die seit zwölf Monaten im Unterhaus erfolgsverwöhnte Hertha auch wieder sportliche Prügel beziehen wird, wird von Fans und Medien völlig anders beurteilt als das Dahinplätschern der Zweitklassigkeit. Hier wird die ruhige und besonnene Art von Jos Luhukay mehr denn je gefragt sein, genau wie sein Credo bei allen seinen bisherigen Arbeitgebern: Aus wenig viel machen. Dazu muss er vor allem die Erwartungshaltungen dämpfen, die in Berlin fordern: Aus wenig alles machen.

Hans-Christian Moritz

 

Jos Luhukay – Trainer

Geburtsdatum: 13. Juni 1963
Geburtsort: Venlo
Nation: Niederlande
Bei Hertha BSC seit: 1.7.2012

Trainerstationen:

SV Straelen
KFC Uerdingen
1. FC Köln (Co-Trainer)
SC Paderborn
Borussia Mönchengladbach
FC Augsburg

 

55 - Sommer 2013
Sport