Spiel der Könige

 „Wenn du oben sitzt, kannst du das Reiten vergessen. Dann sind das Schlagen und die Arbeit mit dem Team wichtig.“

Vorsichtig schiebt Rifa den Kopf nach vorn und zieht den unbekannten Geruch des Neuankömmlings durch die Nüs­tern. Dann fordern die riesigen braunen Augen der Stute unwiderstehlich eine Streicheleinheit über den perfekt gestriegelten Hals mit der extrem kurz gehaltenen Mähne. „Rifa ist die Schönste, und ich habe das Glück, sie heute reiten zu dürfen“, freut sich Camilla Hoffmann. Ansonsten sitzt die 35-Jährige beim Training auf einem anderen Pferd. Aber der Schatzmeister des Berliner Polo Clubs ist bei einer Übungseinheit von seiner Rifa gefallen und hat sich drei Rippen gebrochen. Sein Pech ist das Glück von Camilla Hoffmann.

Vom Hauch des Elitären, der den Polosport umwogt, ist auf dem Schlossgut Schönwalde des Berliner Polo Clubs nicht viel zu erahnen. Höchstens der Gang durch das im vergangenen Herbst eröffnete Gästehaus verströmt etwas Erhabenes. Aber die Preise für die Unterbringung direkt an einem Poloplatz – das gibt es sonst in Deutschland nur einmal in Oberbayern – liegen weit unterhalb denen in der Berliner Innenstadt und sind auch für Nicht-Sportler attraktiv. „Diese Kombination zwischen Wohnen und Polo bringt uns sogar Gäs­te aus den USA und England, wo man das nicht kennt“, sagt Dr. med. Ingeborg Schwenger. Die Club-Präsidentin, lange Zeit erfolgreiche Ärztin in Berlin, lebt derzeit nahezu ausschließlich für den Polosport. Vor gut sechs Jahren hat der Club die marode Anlage in Seeburg aufgegeben und ist auf das weitläufige Gelände des Schlossguts Schönwalde im Glien gezogen. Die uralten Höfe verströmen Historie, doch das Innenleben der Ställe ist vom Feinsten. „Das sind alles Polo-Ponys“, zeigt Ingeborg Schwenger auf die 18 Stuten und zwei Wallache, die sämtlich aus Südamerika stammen und zum großen Teil von ihr selbst nach Deutschland geholt wurden. In Argentinien ist derzeit die Weltklasse des Sports beheimatet. Hier, in Braslien und Uruguay werden die besonders wendigen und widerstandsfähigen Pferde extra gezüchtet und drei Jahre ausgebildet.

„Stuten sind einfach intelligenter“, begründet Stallmeisterin Daniela Kunert, warum für Polo weibliche Tiere bevorzugt werden. „Ich glaube, sie sind bissiger, willensstärker“, denkt dagegen Camilla Hoffmann, die dem Club als Vizepräsidentin vorsteht. Der Schutz der Pferde habe oberstes Gebot. Deshalb gibt es im Polo strenge Regeln. Und das Pferd muss nach jedem Spielabschnitt – eine Partie ist in vier sogenannte Chucker zu je sieben Minuten unterteilt – ausgetauscht werden.

Allein diese Regel, nach der jeder Spieler mindestens zwei Pferde benötigt, befeuert die weitläufige Meinung, dass Polo ein Sport für Wohlhabende ist. Schwenger will das nicht ganz verneinen. „Aber wir sind nicht teurer als andere Disziplinen mit Pferden, die eine Million Menschen in Deutschland betreiben. Im Gegenteil. Polo-Ponys sind anspruchsloser und in der Haltung keinesfalls intensiver als Spring- oder Rennpferde.“ Die Zeitfrage allerdings stellt manchen, der gern Polo spielen würde, vor Probleme. „Für Festangestellte ist das nicht einfach. Die drei hier existierenden Clubs liegen alle außerhalb der Stadt, dazu kommt die Vorbereitung, die Arbeit mit dem Pferd, das Training selbst und die Fahrzeit. Das ist sehr zeitintensiv“, erklärt Camilla Hoffmann, selbstständige Grafik-Designerin in Berlin.

Die 35-Jährige kam „per Selbstanzeige“ zu ihrem Traumsport. „Ich bin früher schon geritten und habe einmal ein Polospiel gesehen. Das war in meiner Heimatstadt Hamburg und schien mir als Sport unerreichbar.“ Bei ihrem Umzug nach Berlin schrieb sie als Hobby in ihr Internet-Profil Polo – und erhielt prompt eine Aufforderung von Inge Schwenger, doch mal bei dem mit über 100 Jahren Geschichte zweitältesten deutschen Club vorbeizuschauen. „Die Faszination kann man nicht in einem Satz beschreiben. Man muss das erleben“, sagt
Camilla Hoffmann.

Der ständige Aufenthalt in der Natur, der Umgang mit den Pferden, die Fairness des Sports und die Tatsache, dass Männer und Frauen in einer Mannschaft und durch spezielle Vorgaben Teams völlig unterschiedlicher Stärke gegeneinander spielen können machen die Anziehungskraft aus. Wie im Golf werden im Polo Handicaps vergeben von den Anfängern (-2) bis zu den Superstars (+10), die derzeit alle aus Argentinien kommen. Die Vorgaben der einzelnen Spieler werden zusammengerechnet und ergeben die Zahl der aus vier Akteuren bestehenden Mannschaft.

Die Regeln im Polo, das um ca. 600 v. Chr. in Iran, Afghanistan und Persien als „Spiel der Könige“ aus der Taufe gehoben wurde, sind immer wieder modifiziert und angepasst worden. So wurde vor etwa 40 Jahren festgelegt, dass der Schläger, offiziell Stick oder Mallet genannt, nur in der rechten Hand gehalten werden darf. „Dadurch wird die Gefahr von Unfällen und schweren Verletzungen sehr eingedämmt“, schildert Inge Schwenger. „Man kann sich ja ausrechnen, was passiert, wenn sich zwei mit jeweils 50 Stundenkilometer aufeinander zu bewegende Reiter verheddern. Wir betreiben die schnellste Mannschaftssportart der Welt.“

Die aber trotzdem jeder erlernen kann. Beim Berliner Polo Club braucht man kein eigenes Pferd, um spielen zu können. „Natürlich sollte auch der Neuling erst einmal zeigen, dass er sich im Sattel halten kann“, meint aber Camilla Hoffmann. Dann kann er beim Club-Trainer, in dieser bis Oktober dauernden Saison ist das der 47-jährige Argentinier Bernardo Podesta aus der Polo-Hochburg Lobos, Stunden buchen und Gefallen am Sport finden. Die derzeit 14 aktiven Mitglieder des Clubs freuen sich über Verstärkung. Vor allem die Jugendarbeit ist Inge Schwenger wichtig, derzeit schwingen unter ihren Fittichen drei Nachwuchsspieler den Stick.

Nicht umsonst wird Polo, das in Deutschland rund 800 Aktive in 35 Clubs betreiben, auch als Sport für die Intelligenz bezeichnet. „Wichtig ist die Koordination“, schildert Camilla Hoffmann. „Wenn du oben sitzt, kannst du das Reiten vergessen. Dann sind das Schlagen und die Arbeit mit dem Team wichtig.“ Polo, auch als „Schach zu Pferde“ bezeichnet, lebt von der Abstimmung innerhalb des Spielerquartetts, wo jeder seine spezielle Aufgabe hat. Wer sich da noch aufs Reiten konzentrieren muss, hat keine Chance, den nur acht Zentimeter kleinen Ball über eine Fläche von der Größe aus sechs Fußballfeldern zu treiben. Der geübte Spieler schwört sogar, dass ein gut trainiertes Pferd am Lauf des Balles die nächste Richtungsänderung vorausahnen kann.

Hans Ch. Moritz

Information
www.schlossgut.eu
www.polopartner.de

 

55 - Sommer 2013
Sport