Es kracht

Schwelgen in meterhohen Farbräumen. Der Maler Franz Ackermann zeigt in seiner Wandbilder-Schau in der Berlinischen Galerie ein gewaltiges Gesamtkunstwerk.

Allerdings nicht für immer, denn im kommenden Frühjahr wird das Wandgemälde übermalt – so der ironisch-amüsierte Kommentar des Künstlers. Die Herausforderung, auf einen konkreten Raum zu reagieren, diesen in seiner Wirkung komplett „umzudrehen“, ist eine vielfach erprobte Strategie des aus Bayern stammenden, in der Mark Brandenburg arbeitenden Künstlers, der schon in den Neunzigern Endlosstreifen und monumentale Blüten auf Galerienwände malte.

Blaue Berge beherrschen die Hallenwand des Hauses. Über den Horizont hinaus entfaltet sich ein Weltpanorama. Die Versenkung in eine Stimmung, in das klassische Landschaftsbild kommt gar nicht erst auf, denn es kracht richtig los. Natürlich, denn Ackermann will ja auch „Zweifel“. Innenbild, Reiseskizze, Ufo und Medienbilder tauchen aus dem Blaudunkel auf und werden bis zum Energiefeld spitz verschränkter Rottöne getrieben. Dann psychedelische Buntheit. Der Raum als Bildröhre oder eben Flatscreen mit sich jagenden Sequenzen aus Istanbul, Berlin und China. Das Blaubergige erinnert dabei an Blaue Reiter und Ferneblau – womöglich eine Reverenz an die Lehrjahre an der Münchner Akademie (1984–88). Lauter Bildinseln sind hineingemalt oder -montiert (etwa Fotos). Wie Zellen wachsen diese, verbunden durch Lineaturen und Adern – netzförmig also –, über das Ganze. Sie sind das Ganze. Nämlich ein verstricktes Gebilde ohne Ende und ohne Anfang, mit wechselnden Perspektiven, Kontrasten, Dimensionen. Urbanität und Landschaft, Gedankenbild und Erlebnisraum verschmelzen und zersprengen zugleich.

Der 1963 geborene Wahlberliner hat nicht nur die Welt im Blick, sondern ist rund um den Globus von Basel bis New York gefragt und wird in vielstelligen Summen gehandelt. Schafft er Malerei für die Ewigkeit? Ist Malerei ein Kommunikationsmittel für alle Zeiten? Macht malen noch immer Sinn, auch wenn alle anderen Videos zeigen, Hocker in den Raum hängen, Gold (Biennale-Beiträge, Venedig 2013) rieseln lassen oder Wasserfälle (Olafur Eliasson, New York) generieren? Malerei hat heute viele Erscheinungsformen und zeigt sich Raum greifend und in kleinen Formen, neben der Abstraktion als Erzählung, neben dem Tafelbild als Prozess, an dem obendrein mehrere mitarbeiten können. Franz Ackermann: „Malerei ist ein Teil meiner (künstlerischen) Handlung.“ Und dann: „Das Arbeiten quasi aus dem ‚Nichts‘ heraus halte ich in diesem Zeitalter für aktueller denn je.“ Sucht man nach dem Ort der Ewigkeit, findet man als Antwort: das Netz. Kein Besucher, der nicht vor dem Ackermann-Weltpanorama stehen bleibt und sein Smartphone bereithält – und ja wie nun? – dieses riesige Gemälde fotografiert. Am besten abschreitend, vielleicht als Video. Man wird nur Ausschnitte wiederfinden. So werden Bausteine ins globale Bildgedächtnis eingeliefert. Für eine klassische museale Ewigkeit (also meistens das Depot) sind womöglich genau diese kleinen Arbeiten gedacht, die zu einem eigenständigen Werk angewachsenen „Mental Maps“, mit denen der Künstler auf einer Hongkong-Stipendiatenreise 1991 begann. Die Mental Maps, das sind Bildnotate, die der Reisende Franz Ackermann, der unterwegs sein muss, um bei sich zu sein, der in China und Indien, Australien und Kalifornien nach Farben und Wahrheiten sucht, Fremdheit und Nähe erprobt, am besten gleich im Hotel noch anfertigt. Es sind subjektive Kartografien, die sich mit touristischer Wahrnehmung auseinandersetzen und Erinnerung komprimieren.

Mit kunsthistorischer Präzision und in fast pastoraler Ruhe erklärt der Maler das Entstehen der Mental Maps, für die er auch Broschüren zerschnipselt und Stadtpläne überträgt oder seine „In-situ-Malerei“ (O-Ton Franz Ackermann), also die Erstellung des Wandbildes gleich vor Ort, und dessen Einbindung in eine Jahrtausende währende Kulturgeschichte, die mit der Höhlenmalerei einen rituellen Anfang nahm. 15 Assistenten halfen bei der Ausführung des Simultanwerkes, dessen Wirkung, abgesehen von seiner Dimension, von der Pracht der (Acryl-)Farben, der vielfältigen Kontraste und Harmonien, der Geometrien und Amorphitäten herrührt. Eine urbane Symphonie. „Ich will, dass der Besucher sich von Malerei umschlossen fühlt“, erklärt der Maler, dessen Atelier früher in Mitte und Neukölln war und heute im Fläming ist und zu dessen Aura Bauch, Zopf, Jeans und Turnschuhe gehören. Die schönste Wirkung der Ackermannschen Panoramamalerei muss jeder selbst herausfinden, weil sowohl die zwei Ebenen des offenen Ausstellungssaals den Wechsel der Betrachterposition von oben und vis à vis ermöglichen als auch im Vorbeischreiten eine Fülle an Eindrücken und Wahrnehmungen entsteht, die bis hin zu feinen zeichnerischen Strukturen oder schuppigen Farbfeldern reicht.

Anita Wünschmann

 

Information

„Hügel und Zweifel“,
Berlinische Galerie,
Alte Jakobstr. 124–128,
Mi – Mo 10–18 Uhr

 

56 - Herbst 2013
Kultur