Küchenlandschaft oder Kombüse?

Wie gekocht wird, ist eine Frage von Vorlieben, hat mit Ernährungsbewusstsein und Können zu tun. Aber in welchem Umfeld, zu welchen Zwecken und mit wem gekocht wird, diese Dinge bestimmen die Frage, was ist eine Küche. Nämlich keine Kombüse. Kein schmaler Kochort unter Deck mit schaukelnden Töpfen, wie man sich eben eine Kombüse vorstellt. Klein also. Die Küche aber ist groß, zumindest weiträumig oder eben offen und verschmilzt mit anderen Wohnbereichen. Also gilt: Türen raus, Wände weg! Die Küche heute benötigt Platz auch im Kleinen. Sie ist der Ort, wo man sich trifft, schwatzt, spielt, kocht, liest, die Online-Ausgaben am Laptop. Die Küche ist das Herzstück der Wohnung oder besser Kopf, Herz und Magen zusammen, ein Debattenort mit Bratendampf und Gemüsebrühe oder nur das eine und Tofu stattdessen. Der Klassiker „Wohnküche“ verweist auf andere Zeiten. Ein Ess-tisch für die Familie stand darin, und wo es behaglicher war und Platz vorhanden, machte sich noch ein Sofa breit zum Lümmeln. In diesen Zeiten las man ausschließlich Printausgaben und am Wochenende diese sogar von vorn bis hinten. Die ganz junge, frische und vielleicht sogar zukünftige Wohnküche heißt heute einfach Küche, aber zielt wieder aufs Wohnen. „Die Küche ist nicht mehr so clean wie vor wenigen Jahren“, sagt Sandra Lützenkirchen, die bei Minimum Kunden berät, „es darf auch wieder eine Zwiebel herumliegen.“

Fliesen an die Wand, Fliesen wieder runter! Monochrome, schlichte bis edle, Spachtelwerke, Stein oder Holz bestimmen die Wände. Statt vertikal betonter Fronten Horizontalen, Schübe statt Scharniertüren, sogar die Unterschränke aufgehängt, mehr weiß als rot – so wechselte die Küche ihr Gesicht. Ein ständiges Facelifting bis zum radikalen globalen Purismus, ohne die Grundfragen nach Wasser, Herd, Stauraum, Zubereitung aus dem Auge zu verlieren. Die Hellerau-Küche aus den Sechzigern, sie war die funktional-ästhetische Verwandte der Frankfurter, zeigte sich pastellbunt. Ein Anbausystem. Es gab Hänge- und Unterschränke und Wohlfühlfortschritt dank Kunststoffbeschichtungen und Leimverbindungen. Seitdem haben wir die zigste Generation und eine schier unübersichtliche Angebotsvielfalt (Hülsta bis Ikea, Schwarzwaldküchen und Küchen aus Sachsen) hinsichtlich Material, Maß, ästhetischer Konsequenz. Das Hochpreissegment zelebriert die grifffreie Küche und subtilen Materialgegensatz (Bulthaup, Poggenpohl). 

Und weiter wandelt sich auch der Maschinenpark. Es geht nicht schlechthin um die gewohnte Anwesenheit von Mikrowelle, eventuell Dampfgarer und Kochplatte, sondern um technische Raffinessen wie wassersparende, sich selbst regulierende Armaturen (etwa KWC aus der Schweiz, Grohe), Kühlschränke, die heute mit Energiekontrolle punkten und morgen schon Speisevorräte, Einkaufslisten und das ideale Abendrezept kommunizieren (IFA), oder um computerisierte, frei stehende Kochtische mit Induktionskochplatten in baldigster Zukunft. Oder werden wir in Raumlaboren Pilze und Tomaten züchten? In den späten Neunzigern wurde die Bar entdeckt und bald auch der Küchenblock, der frei stand und somit die klassische Einbauküche mit ihren L- und U-Formen um eine wesentliche Raumerfahrung bereicherte. Selten fehlt seitdem die Reling samt Kellen, Hebern und Sieben, und die Edelstahlvorlieben im Kleinen verbanden sich mit dem Charme von Werksküchen, deren spröde Anmutung in den privaten Wohnraum transformiert wurde. Vor wenigen Jahren aber verfeinerte der Minimalismus die Oberflächenstruktur der Küche samt Raumbedarf. Der Schnickschnack verschwand im Schub. Es entstand ein White Cube für die Zubereitung eines maßvollen Menüs oder einer geschickten Improvisation, ein Kunstort für die Kochkunst. Manchmal möchte man um Hilfe rufen, wie soll man denn eine Präferenz für den weißen Minimalismus, der Räume leicht aussehen lässt wie eine morgendliche Nebelbank mit südlicher Lebenslust, einem Hauch Asiaexotik und einem duftenden Krustenbraten inmitten einer rotweinfröhlichen Runde vereinen, von der ein Drittel nichts Tierisches mag? Außerdem bleibt die Frage, wer räumt auf? 

Aus diesen Ingredienzien werden heute die neuen Küchen entwickelt. Diese zeigen sich immer wieder auch in Lackoptik, in sanften Grautönen, alles irgendwie behutsamer mit zumeist matten Oberflächen. Für die neue Behaglichkeit ist sogar das (sehr edle oder sehr rustikale) Holzpaneel wieder zurück. Aber wer erfindet endlich Küchentechnik, die um Dezibelsprünge leiser ist, weil sonst die Gespräche nicht funktionieren?

Anita Wünschmann

 

56 - Herbst 2013