Die Sportsoldatin

Vor zwei Jahren fühlte sich Monique Angermüller wie ein Wrack und gab den Ärzten Rätsel auf. Jetzt ist die Berliner Eisschnellläuferin Medaillen-Kandidatin für die Olympischen Winterspiele in Sotschi.

»Ein guter Wintersportler wird im Sommer gemacht«

Kalte Tage, weiße Landschaft – das ist die Zeit, in der Nanuk sich wohlfühlt. Das gefällt dem Huskie, obwohl er bis zum Frühjahr noch viele Wochen ohne sein Frauchen auskommen muss. Aber der Hund ist daran gewöhnt. Nach den deutschen Meisterschaften der Eisschnellläufer bereits Ende Oktober in Inzell folgte Weltcup auf Weltcup. Anfang Februar dann der Saison-Höhepunkt mit den Olympischen Spielen in Sotschi. „Ja, ja – im Winter bin ich nicht zu Hause. So denkt jeder, der vom Eisschnelllaufen nicht so viel Ahnung hat“, winkt Monique Angermüller ab. „Dabei gilt auch bei uns die alte Regel: Ein guter Wintersportler wird im Sommer gemacht. In den warmen Monaten war ich keine fünf Wochen hier, da reihte sich Trainingslager an Trainingslager“, erklärt die Berlinerin und streichelt dem Hund das dichte Fell. „Den haben wir aus dem Tierheim
geholt. Nanuk hieß er schon. Das ist Eskimosprache und bedeutet so viel wie Eisbär. Passt doch, oder?“

Im engen Zeitkorsett genießt die 30-Jährige die freien Stunden mit Hund und Freund Thomas Pöge, der als ehemaliger Bobfahrer durchaus Einblick in den Trainingsalltag eines Leistungssportlers hat. Lange Spaziergänge über Felder und durch Wälder direkt hinter dem Haus in Pankow sind die ideale Abwechslung zu Start-übungen in der Halle des Sportforums Weißensee oder den unzähligen Stunden im Kraftraum. „Unser haariges Kind ist bei den Wanderungen immer dabei“, erfährt der Hund eine weitere Streicheleinheit. Den Steigerungslauf Richtung Sotschi absolviert Monique Angermüller mit großer Freude. „Wenn ich die Zeiten aus dieser Saison und der Vorbereitung mit den Leistungen aus dem vergangenen Winter vergleiche, dann ist eine Medaille bei Olympia durchaus drin“, schätzt sie und nennt als favorisierte Strecke die 1 500 Meter. Im Teamwettbewerb mit ihren Trainingsfreundinnen Claudia Pechstein und Bente Kraus ist die erwartete Qualifikation zum Ärger des Trios und von Bundestrainer Markus Eicher leider nicht geglückt, auch weil die schwächelnde Erfurterin Stephanie Beckert ausfiel.

Die Vorfreude auf die Saison und das elanvolle Training der Sportsoldatin haben ihren Ursprung auch in den vergangenen zwei Jahren, als sie die schlimmste Zeit ihres Lebens durchlitt und nicht nur gedanklich die Schlittschuhe in die Ecke geworfen hatte. Inzwischen zeigt sie die Bilder auf ihrem Smartphone. Das aufgedunsene Gesicht mit den roten Flecken und geschwollenen Lippen kann eigentlich unmöglich das der hübschen jungen Frau sein. „Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ein Arzt feststellte, was ich hatte. Dann ging alles ganz schnell in richtige Bahnen und heute habe ich die Krankheit im Griff.“ Doch Anfang 2012 wurde die Berlinerin von einer Praxis in die andere empfohlen, immer ließ sie einen schulterzuckenden Arzt zurück. „Ich war ein Versuchskaninchen, und die haben mir Sachen in den Bauch gespritzt, das war zusammen so teuer wie ein Kleinwagen“, erinnert sie sich. Vielleicht würde es ihr nach einer Schwangerschaft besser gehen, mutmaßte sogar einer der Mediziner – und lag damit in der landläufigen Meinung zu ihrer Krankheit gar nicht schlecht. Geholfen hat Frau Angermüller aber erst eine Hauruck-Aktion ihres früheren Trainers Uwe Hüttenrauch. Der schickte die ratlose Patientin zu Cornelius Reincke. Der Arzt diagnostizierte recht schnell eine Histamin-Intoleranz. Um medizinische Ausführungen, die sie nach wochenlangem und intensivem Studium von Fachliteratur inzwischen halten könnte, zu umgehen, sagt Monique: „Ich muss Sachen meiden, die lange reifen. Salami, Käse, auch Weißbier. Ich kann damit umgehen.“

Die Keime für diese seltene Art des Nesselfiebers muss die Berlinerin schon vor dem Ausbruch Ende 2011 in sich getragen haben. Nichtsahnend. Das Erscheinungsbild, am ganzen Körper sichtbar, war so schwer zu diagnostizieren, weil die Schulmedizin diese Krankheit nicht lehrt. „Mein Vorteil ist nun: Ich weiß, was ich habe, und ich weiß, dass ich ansonsten kerngesund und topfit bin“, zieht die Sportlerin einen positiven Nebeneffekt aus dem vergangenen Albtraum. „Das“, zeigt sie auf ein großes Stück Blechkuchen mit einer noch größeren Portion Sahne vor sich, „steht eigentlich auf der Tabu-Liste. Aber ich habe die Krankheit im Griff und kann es mir leisten, mal kurz über die Stränge zu schlagen.“ Essen und Trinken seien ohnehin wichtig. „Das gehört zur Lebensqualität.“ Dabei muss es nicht der Thailänder zwei Ecken weiter oder das gute italienische Restaurant sein. „Ich mag genau so gern Kartoffeln mit Quark, mal richtig einfache Hausmannskost. Wir gehen aber auch gern essen. Okay, wir können es uns leisten und ich bin froh, dass wir eine finanzielle Unabhängigkeit erreicht haben, in der man nicht auf jeden Groschen schauen muss“, sagt sie als Oberfeldwebel der Bundeswehr. „Ich bin froh, wenn ich keine Uniform tragen muss und aus den Trainingsklamotten rauskomme. Aber zu Hause sind auch Schlabbersachen angesagt, schon wegen der Spaziergänge mit Nanuk.“

Das Essen und dessen Vorbereitung spielt aber noch eine andere Rolle im Alltag. „Wenn ich Stress abbauen will oder nach dem Training einfach Ablenkung brauche, dann backe ich.“

Dafür ist dann vielleicht auch wieder mehr Zeit nach Sotschi. „Wie lange ich auf dem Eis stehe, weiß ich nicht. So lange es Spaß macht, und das ist derzeit mehr denn je der Fall.“ Privat steht ab 2014 der Hausbau an. Auf der anderen Seite von Berlin auf einem schon feststehenden Grundstück in Groß Glienicke. Thomas Pöge hat seine Dienststelle in Potsdam, Monique Angermüller strebt nach abgeschlossenem Studium als Wirtschaftsingenieur eine Stelle in Spandau an. „Vielleicht haben wir dann neben dem Hund noch ein Kind“, träumt sie weit voraus.

Dazwischen liegt Sotschi, was bei den Wettkämpfen im vergangenen Winter von der Stadt, der Halle, der Verkehrsanbindung und der Unterkunft eher einen negativen Eindruck auf die Eisschnellläuferin hinterlassen hat.

Aber mit einer olympischen Medaille um den Hals würde die Schwarzmeerstadt in der Beliebtheitsskala schlagartig klettern. Die halbjährige Odyssee durch Arztpraxen käme ihr selbst noch unwirklicher vor und ein weiterer Lebenstraum hätte sich erfüllt.

Hans-Christian Moritz

 

57 - Winter 2013/14
Sport