Gebäude mit Geschichte(n)

Es ist eine Bühne der Architekturepochen und des Denkmalschutzes: Ernst Freibergers Forum Museumsinsel holt die Perlen der Spandauer Vorstadt nach Mitte zurück.

Karge Birken wachsen aus dem Gemäuer des Gebäudes in der Ziegelstraße, und in der Monbijoustraße ragen aus demselben Haus schwarze, klobige Lampenschirme heraus, eingemauert zu Zeiten, als auch die Berliner noch eingemauert waren. Bis an die Oranienburger Straße reicht der neobarocke Riesenbau aus der Kaiserzeit. Eine Laterne pendelt vor der Eingangstür verlassen im Wind. Oben drüber steht: „Haupttelegraphenamt.“

Das leer stehende Haupttelegraphenamt ist nur eines von insgesamt sieben Bauprojekten zwischen Oranienburger Straße, Monbijoupark und Spree, die der Unternehmer Ernst Freiberger unter dem Namen Forum Museumsinsel zu einem neuen nutzungsgemischten Stadtquartier entwickelt. Er investiert rund 300 Millionen Euro in ein Areal, das mit seinen insgesamt 31 000 Quadratmeter Grundstücksfläche ein gutes Stück der historischen Spandauer Vorstadt in Berlin-Mitte ausmacht. Im Oktober hat er seine Pläne vorgestellt, zeitgleich lieferte der britische Architekt David Chipperfield erste Ergebnisse mit einem Neubau direkt an der Spree. 

Trifft man in Berlin auf ein „Forum“, muss man auf Großes gefasst sein. Und dennoch ist der Begriff in Berlins Mitte an jeder Ecke anzutreffen: Wir haben das Forum Fridericianum am heutigen Bebelplatz, bald das Humboldtforum am Schlossplatz und neuerdings das Rathausforum im Schatten des Fernsehturms. Jetzt kommt also auch das Forum Museumsinsel dazu. Es wird seine Namensvetter nicht kopieren, sondern etwas Eigenes hervorbringen. Wie in einer Arena, gefasst durch die Rückseiten des Haupttelegraphenamtes, des Fernsprechamtes und des Logenhauses, werden sich die Menschen im Innenhof tummeln. Eine Markthalle wird hier gebaut mit einem „Museum für Mobilität“. Je nach Jahreszeit möchte Freiberger den Hof und die vorbeiführende Ziegelstraße für Festivitäten inszenieren: Konzerte, Public Viewing, Weihnachtsmarkt. Und über dem Ganzen leuchtet golden der Davidstern von der Oranienburger Straße herüber, der die Tambourkuppel der Neuen Synagoge krönt. Das Forum Museumsinsel steht unter einem guten Stern. Dieser markante Hof nördlich der Ziegelstraße ist von drei Seiten abgeriegelt. Aber das wird sich ändern, damit das Forum auch von den Touristen aus der Oranienburger Straße erschlossen werden kann. Noch gehen sie an dem alten Logenhaus der Freimaurer vorbei, wundern sich, dass ein Gebäude gegenüber einer Sehenswürdigkeit wie der Neuen Synagoge überhaupt leer steht und bleiben bestenfalls vor den zwei geschlossenen Toren stehen. Steinerne Porträts von Sokrates und Seneca hängen oben drüber und verkünden Freimaurergeist in der Oranienburger. Das Logenhaus wurde zeitgleich 1791 mit dem Brandenburger Tor gebaut, es ist das älteste erhaltene Ordenshaus Deutschlands. In Zukunft wird man unter den Blicken der beiden antiken Philosophen hindurchgehen und in den dahinter liegenden Hof gelangen. Das Forum bekommt den Direktanschluss an den Pub-Crawling-Tourismus von Mitte.

Es sind Gebäude mit Geschichte. Und Freiberger mag das. Dem Manager Magazin sagte er einmal, er bevorzuge Solitäre mit Geschichte, von denen seine Enkel noch etwas hätten. So macht er aus dem Haupttelegraphenamt, in dem bis 1986 die Telegramme per Rohrpost verschickt wurden, ein Lifestyle-Hotel, aus dem Logenhaus eine Residenz für Repräsentanzen, und aus dem Fernsprechamt an der Tucholskystraße ein Geschäftshaus für Unternehmen der Kreativ- und Medienbranche. Letzteres wurde im Stil des Art déco gebaut und in einem einzigen Jahr fertiggestellt. Wann gab es denn sowas? – 1927.

Das Forum Museumsinsel soll spätes-
tens 2016 fertig sein. Die Kraft des Projekts liegt neben der Vielfalt seiner Einzelprojekte vor allem in der Lage. Es wird nicht nur von der Museumsinsel profitieren, sondern ihren Erlebnisraum jenseits der Monbijoubrücke fortführen. „Damit können wir den Museumsstandort noch attraktiver gestalten und museal einer der wesentlichen Museumsstandorte Europas werden“, sagt Mittes Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD). So endet die Museumsinsel in der Zukunft gefühlt am Postfuhramt – wenn auch ohne C/O Berlin.

Vier weitere Bauten befinden sich zwischen Ziegelstraße und Spree. Die Residenz Monbijou an der Monbijoustraße gegenüber der Märchenhütte war ein Forschungsgebäude, in dem wissenschaftliche Institute der Charité untergebracht waren. Hier richten die Hotel-Adlon-Architekten vom Büro Patzschke & Partner Mietwohnungen mit Blick auf Monbijoupark und Museumsinsel ein. Ein Spree-uferweg führt von hier aus um die Ecke am Ida-Simon-Palais vorbei. Auch dieses Haus wird für Wohnungen umgebaut. Es war ab 1911 eine Krankenstation für Mädchen und Frauen mit in den Boden eingelassenen Badewannen in den Zimmern und Balkonen zur Spree und fällt heute im Stadtbild vor allem wegen seiner roten Fassaden auf. Unter Platanen gelangt man am Ufer entlang zum Gropius-Ensemble. Es besteht aus dem historischen Gebäude der Frauenklinik der Charité, einem Hörsaal und dem im Herbst äußerlich fertiggestellten Backsteinbau von David Chipperfield. Aus den großen Rundbogenfenstern schauen ab 2014 Schüler der „School of Transformation“ der Telekom auf die Spree. Bleibt das Bauhaus als letzter der sieben denkmalgeschützten Bauten des Forums: Es grenzt das Gropius-Ensemble zur Ziegelstraße ab und heißt so, weil es nach den Prinzipien der gleichnamigen Architekturschule 1932 von Walter Wolff als Erweiterungsbau für die Frauenklinik entworfen wurde. Extravagant hier: der halbrunde Gymnastiksaal im Obergeschoss Ecke Monbijoustraße, der Liebhabern des Bauhausstils als Teil ihrer zukünftigen Stadtwohnungen vorbehalten bleibt. Auch hier baut Stararchitekt Chipperfield, vis-à-vis von Forumshof und Synagogenstern. 

Möge er in der Sonne glänzen, der Stern, und das Licht in das Forum lenken, wo im Moment noch die Birken im kalten Stein des Haupttelegraphenamtes zu kämpfen haben, um durch den Winter zu kommen.

André Franke

 

57 - Winter 2013/14
Stadt