Was essen wir heute?

Noch nie hatte der Mensch so viel Auswahl an Nahrungsmitteln wie im 21. Jahrhundert. Erdbeeren im Winter, Fastfood oder doch lieber Kaviar – fast alles ist fast jederzeit verfügbar. Ratlos steht der Mensch vor einem riesigen Angebot an Nahrungsmitteln. Ständig gibt es neue Ratschläge, neue Erkenntnisse, welche ist die richtige Ernährung und welche ist falsch?

Ein Ernährungstrend jagt den nächs-
ten, überall lauern selbsternannte Experten, die genau wissen, warum man vegan leben, Rohkost essen oder zumindest Flexitarier sein sollte (jene, die einen vegetarischen Tag einlegen). Andere wiederum ignorieren gut gemeinte Ratschläge und besinnen sich auf die gute alte Mischkost. Wer hat recht? Und muss immer alles biologisch sein? Und sollen wir vielleicht alle gleich von vornherein glutenfreie Nahrungsmittel essen, sicher ist sicher? Ab wann ist Essverhalten nicht mehr normal? Und wie steht es um die gute alte Mischkost?

„Gegen gesunde Ernährungstrends ist aus ernährungswissenschaftlicher Sicht grundsätzlich nichts einzuwenden“, sagt die Ökotrophologin Amely Brückner, „es muss nur genau unterschieden werden. Glutenfrei ernährt sich beispielsweise jemand mit einer Unverträglichkeit gegen Gluten, diese Erkrankung nennt man Sprue oder Zöliakie. Eine Einhaltung der glutenfreien Ernährung ist für das Wohlbefinden des Betroffenen außerordentlich wichtig. Veggie, vegan oder flexitarisch sind hingegen Ernährungsweisen, die Lebensanschauungen und eher einen geringen Bevölkerungsanteil betreffen.“ In ihrer täglichen Arbeit als Coach für Ernährungs- und Lebensstilfragen ist sie ständig mit Menschen konfrontiert, die gute Vorsätze gefasst haben und fit und gesund sein möchten. 

Das ist gar nicht so einfach. Viele Menschen sind mit ihrer Ernährung zunehmend überfordert. Sie wollen gesund leben und dabei keine Fehler machen. Das Überangebot der Nahrungsmittel wird von einem Überangebot an Literatur – mal mehr, mal weniger fundiert, begleitet. Viele Konsumenten geben viel Geld für Nahrungsmittel und Informationen darüber aus, sie studieren Bücher, lassen sich von Freunden und Kollegen beraten, lesen Magazine – und erhalten dabei höchst unterschiedliche Antworten auf ihre Fragen. Neue Problemstellungen und Fragen ergeben sich. Wer nicht aufpasst, gerät in einen Strudel: Was heute von Experten empfohlen wird, verbannen morgen andere Experten vom Speiseplan. Täglich werden weltweit neue Beeren, Säfte und Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt geworfen, begleitet von Werbekampagnen, die suggerieren: Wenn Du Dich wirklich gesund ernähren willst, müssen es diese Beeren oder diese neuen Getreidemischungen sein.  Ein kleiner Auszug aus aktuellen Zahlen: Fast ein Viertel aller unter 30-Jährigen greift häufig zu Bio-Lebensmitteln, das ist im Vergleich zu 2012 ein Plus von neun Prozent. In 17 von 37 Proben von Bio-Gemüse wurde eine Genmodifizierung gefunden (dies ist laut EU-Öko-Verordnung erlaubt, die meisten Bio-Anbauverbände lehnen es hingegen ab). Im Vergleich zu 1950 ist die Menge der in der Landwirtschaft genutzten Pestizide um das 50-Fache gestiegen. Zahlen, die verunsichern. 

Es ist ein Teufelskreis der Kalorien. Ein neues Angstwort kursiert: Orthorexia nervosa. Das bedeutet so viel wie „krankhaftes Gesund-Essen“. Davon sprechen Experten, wenn Menschen der Auswahl ihrer Lebensmittel so viel Zeit widmen, dass fast alles andere, was den Alltag ausmacht, diesem Ziel untergeordnet wird. Auf dem  Speiseplan steht ausschließlich Gesundes.  Essen sie eine Portion Pommes oder eine Pizza mit vier Käsesorten, plagt diese Menschen tagelang das schlechte Gewissen. Sie verfassen akribisch Einkaufslisten, überlegen im Supermarkt genau, was sie kaufen dürfen oder sollten, stehen oft minutenlang vor einem Nahrungsmittel und überlegen, ob es gesund sein mag oder nicht. Die Ökotrophologin Amely Brückner sagt: „Der Begriff ‚Orthorexia nervosa‘ als eine Sucht, sich übertriebenermaßen richtig zu ernähren, ist ein recht neues Forschungsfeld der Ernährungswissenschaft und -psychologie. 

Die sogenannten ‚Health Food Junkies‘ sind sehr auf biologische Ernährung und die Beschäftigung damit fixiert. Es gibt bisher keine genauen Zahlen zu dieser Essstörung in Deutschland.“  Manchmal tritt sie in Verbindung mit einer Magersucht auf. Für Verwandte und Freunde gibt es einige Anzeichen, dass Menschen Gefahr laufen, sich krankhaft gesund ernähren zu wollen: „Wenn Vergnügen, Spontaneität und Genuss bei der gesunden Ernährung auf der Strecke bleiben, sollte man hellhörig werden“, rät die Expertin.

Warum ernährt sich der Mensch eigentlich so, wie er es tut? Amely Brückner erklärt: „Normales Essverhalten hat viel mit dem eigenen Selbstbild zu tun und geht weit über die Vermittlung von Ernährungswissen oder medizinischer Behandlung hinaus.“ Wenn man Angst hat, dass man selbst oder Menschen im nahen Umkreis Probleme haben, kann man beispielsweise Experten kontaktieren, die Hilfe bieten: „Die Ernährungstherapie für Essstörungen ist meist interdisziplinär, das heißt, sie wird gemeinsam mit Medizinern, Psychologen und Ökotrophologen gestaltet.“ Ein gutes Mittel gegen die Ernährungs-Unsicherheiten ist die gute, alte Mischkost. „Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt eine gesunde Mischkost, die bedarfsgerecht sein sollte, das heißt, sie muss aus viel Gemüse, Obst und Getreideprodukten und mäßig Milch und Fleisch und wenig, aber hochwertigem Öl bestehen.“ 

Silvia Meixner

Information

Mehr Informationen, darunter die „zehn goldenen Regeln für eine vollwertige Ernährung“, finden Sie unter: www.dge.de

 

Rezept für einen Green Banana Smoothie

Eine halbe Banane, ein Drittel einer Salatgurke, eine Birne, einen Teelöffel Grünkohl getrocknet und fein gemahlen (das Pulver gibt es zum Beispiel in Reformhäusern), 1–2 Datteln, ein kleines Stück Ingwer in den Mixer geben. Nach Lust und Laune ein Schuss Zitronensaft. Pürieren. Fertig.

 

57 - Winter 2013/14