Keine Angst vor wilden Tieren

Das Städtchen Churchill in der kanadischen Provinz Manitoba gilt als Mekka der Eisbärenbeobachtung. Tatsächlich kommt man den weißen Riesen sonst nirgendwo so nah wie in der Hudson Bay.

Eisbären können erstaunlich lang ohne Nahrung auskommen. Bis zu fünf Monate harren die Pelztiere an der kanadischen Küste aus, bevor sich das erste Eis bildet und sie wieder Jagd auf Robben machen können. Die Bären benötigen Eisschollen und -felder als Basisstationen auf dem Wasser, um an Beute zu gelangen. Was für die Tiere eine Erlösung nach der Zeit des Darbens darstellt, bedeutet für Reisende vor allem eines: eine 99-prozentige Eisbärengarantie. Die Basis für Ausflüge an den Küstenstreifen bildet meist das Städtchen Churchill. Der 800-Einwohner-Ort, der in der Provinz Manitoba an der Hudson Bay liegt, nennt sich selbst stolz „Eisbärenhauptstadt der Welt“. Tatsächlich leben zwei Drittel der weltweiten Population in der kanadischen Arktis, aber was macht ausgerechnet dieses Örtchen so besonders? Die Antwort darauf ist der gleichnamige Fluss. Er mündet hier ins Meer und sorgt mit seinem Süßwasser dafür, dass schneller Eis ansetzt als anderswo am Küstenstreifen. Es gibt allerdings keine Straße nach Churchill, und die Anfahrt per Bahn aus der rund 1 000 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt Winnipeg dauert etwa 48 Stunden. Daher stellt ein Charterflug aus Winnipeg die bequemste und schnellste Anreise dar.

Im Sommer locken verschiedenste Vogelarten und Beluga-Wale Naturfreunde aus aller Welt an, aber in der kalten Jahreszeit dreht sich einfach alles um die Eisbären: Unterkünfte sind nach ihnen benannt und täglich brechen zahlreiche Tundra-Fahrzeuge mit abenteuerlustigen Urlaubern zur Beobachtung an die Küste auf. Die massiven Gefährte muten wie umgebaute Linienbusse auf mannshohen Rädern an. Sie sind speziell auf das Fortkommen in der unwirtlichen Winterlandschaft ausgelegt und transportieren bis zu 40 Touristen und Forscher zu den Königen des Nordens, wie die Eisbären auch genannt werden. Die Tundra Buggy Lodge bietet die Möglichkeit, komfortabel in solchen Beobachtungsfahrzeugen zu nächtigen. Für die Tagesausflüge muss dann aber wieder umgestiegen werden.

Da zum November hin die Temperaturen in der Region schnell unter Null fallen, sorgt im Inneren der weißen Kolosse ein bollernder Ofen für behagliche Wärme. Durch viele kleine seitliche Fenster entgeht den Insassen garantiert kein Polarbär, und am Heck des Fahrzeugs können Mutige auf eine Art Balkon treten, um den Tieren noch näher zu sein. Keine Angst, auf einer Höhe von knapp drei Metern ist man in Sicherheit vor den mächtigen Pranken. 

Es gab übrigens auch Zeiten, in denen sich eher der Bär vor dem Menschen hätte fürchten müssen. Seit gut 40 Jahren ist die Jagd auf Eisbären glücklicherweise verboten. Lediglich den Inuit ist es noch erlaubt, unmotorisiert zu jagen. Zuvor war aber vor allem das stark wärmende Fell sehr begehrt und kostete Tausenden Tieren das Leben. Mittlerweile hat sich die Population wieder erholt, doch der Bär steht vor neuen Problemen: Die Klimaveränderung sorgt dafür, dass sich immer später Eis bildet, welches dann auch immer früher wieder taut. Somit verlängert sich die Fasten-periode zusehends. 

Die Fettreserven der weißen Riesen können aber nur eine begrenzte Zeit überbrücken. Daher sehen es die Guides, die gleichzeitig die Tundra-Fahrzeuge steuern, als ihre Pflicht an, Urlauber auf die brenzlige Lage aufmerksam zu machen. Regelmäßig werden auch Touren in deutscher Sprache angeboten, sodass gute Englischkenntnisse kein Muss sind. Wie erhaltenswert die beeindruckende Spezies der weißen Riesen ist, spüren Besucher vor Ort aber auch ohne Worte. Kein Sonntagsausflug in den Zoo kann eine Annäherung an die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung ersetzen.

 

Information

www.kanadareisen.de

 

57 - Winter 2013/14