Reiz der Langeweile

„Langeweile ist wunderbar! Langeweile bringt einen auf Ideen. Ohne Langeweile würde kein Kind anfangen zu spielen und viele Erfindungen wären nicht entstanden.“ – So beginnt eine Geschichte in Gerhard Schönes jüngst erschienenem Buch „Mein Kinderland“.  Er wendet diesen Gedanken in seinen autobiografischen Kindheitserinnerungen immer wieder hin und her. Ist er aus Langeweile Liedermacher geworden? Wagen wir mal diese kurzschlüssige These. Wann entstehen denn Geschichten im Kopf? Jeder kennt das: Mir ist langweilig (besonders auf langen Autofahrten), stöhnt’s vom Rücksitz. Wenig später ist Ruhe – denn die vorbeiziehenden Bäume, Autos, Laster haben sich in alles Mögliche verwandelt.  Gerhard Schöne ist einer mit viel Fantasie, ein Geschichtenausdenker, der sie zudem noch spannend erzählen und poetisch auf den Punkt bringen kann. Das ist der Liedermacher, den man kennt und der auf ewig mit der „Jule“ verheiratet ist.  Die Vorboten seiner Karriere waren eher kabarettistischer Art. Als „Junges Talent“, es gab seinerzeit Wettbewerbe dafür, präsentierte er eine

Parodie auf „Mamor, Stein und Eisen bricht“ – „Weine nicht, wenn der Vater sagt: Ins Bett! Ins Bett!“ ... und so weiter.  Ein Publikumserfolg für den 15-Jährigen, die Talentsucher stimmten nicht mit ein. Damals war er noch in Sachsen, wo er heute mit seiner Frau und seinen fünf Kindern, zwischen vier und 14 Jahre alt, wieder lebt.  Die Kinder haben immer wieder gefragt: „Papa, erzählst du uns von früher?“ Jetzt hat er die Geschichten der Bande, in der er mittat, vom Lieblingsonkel, der wahrscheinlich furchtbarsten Lehrerin der Welt, den Haustieren, dem Leben als Pfarrerskind zwischen zwei Buchdeckel gepackt. Viele seiner Generation  (Schöne ist 1952 geboren) haben Ähnliches erlebt, es ist ein gemeinsames Erinnern an eine Zeit, wo Langeweile einen manchmal beflügelte, nach ganz irren Szenarien zu spielen. Heute sind die Spiele vorprogrammiert – im Computer, im Handy. Der Tag ist durchge-plant, die Mode vorgegeben. Das macht dem fantasievollen Schöne, und vermutlich nicht nur ihm, ein wenig Sorge. „Die Kindheit ist ein Gut, eine Zeit, in der reale Abenteuer passieren, in der man sich in der Welt verankert“, sagt er. Er findet es beängstigend, dass manche Kinder schon während des Schulweges nur auf ihr Display starren. 

Gerhard Schöne lernte in Sachsen, blieb im Ort, arbeitete als Briefträger und schrieb Lieder. Er gründete eine Laienspielgruppe mit Gesang. Und das vielleicht auch aus Langeweile, denn viel gab’s nicht zu erleben in der Gegend, noch nicht mal Westfernsehen. Dann kam die „Jule“. Während eines Kinderlieder-Konzerts beim „Festival des politischen Liedes“, das weit mehr als ein Propaganda-Festival war, in Berlin. Es funkte von Anfang an zwischen Jule und dem Publikum – bis heute. Kein Konzert ohne sie. „Mir war es fast peinlich, da es so ein Erziehungslied ist“, sagt er. „Und warum heiratet sie plötzlich? Aber die Kinder haben gleich gemerkt, der versteht mich.“ Vom Fleck weg wurden „Jule“ und „Kinderland“ auf eine kleine Schallplatte gepresst – und Gerhard Schöne wurde für Kinder und Erwachsene der Liedermacher, der Geschichten erzählt, sanft behutsam, die Seele und Verstand treffen. „Du hast es nur noch nicht probiert“, „Mit dem Gesicht zum Volke“, „Als mein gelber Wellensittich aus dem Fenster flog“. Schöne schreibt parallel für Kinder und Erwachsene. Sein Ort in Sachsen, da ihn nun durchs Fernsehen jeder kannte, wurde zu eng. 

Berlin: Winsstraße, Marienburger, Schönhauser Allee. Das Briefe austragen gab er nicht auf – man weiß ja nie. „Beim Kassieren der Rundfunkgebühren wurde man manchmal in die Wohnungen gebeten, beim Frisör gab’s ein Schnäpschen, es gab viele Ausländer – Berlin war ein bisschen cooler als der Rest“, sagt Schöne.  Die Platten wurden im Studio in der Brunnenstraße produziert, liebevoll und aufwendig. „Es gab für die Künstler nicht so viel Honorar, aber man konnte sagen, dass man ein Streichquartett braucht – und man bekam eins.“  Das machte die Lieder interessanter, abwechslungsreicher. Und dann gab es das Gefeilsche um die Texte, die den Herren an den Schreibtischen manchmal zu politisch zweideutig erschienen. Und es gab viele Schreibtische in immer größeren Büros. „Letztlich waren dann immer alle froh, wenn man ein Projekt sicher in den Hafen bringen konnte“, erinnert er sich. Das ist lange her. Irgendwann wurde ihm Berlin, vor allem mit Kindern, zu hektisch. Um ins Grüne zu kommen, immer einen Park ansteuern, Kinderwagen in den 5. Stock schleppen – das war’s nicht. Über Potsdam führte ihn sein Weg wieder nach Sachsen. Seine Produktivität ist ungebrochen, sein altes Publikum noch da und es kommt neues hinzu. Aber ist das nicht inzwischen langweilig, immer singen, auch die alten Lieder? Diese Langeweile lässt ihn sich selbst neue Reize setzen. Da spielt er in dem neuen Liederprogramm „Ich öffne die Tür weit am Abend“ mit einem Organisten und Saxophonisten zusammen, hat die Jule  als Familienkonzert neu aufgelegt in „... die Jule schläft fast nie“.

Martina Krüger 

 

Information

Gerhard Schöne:
Mein Kinderland, Geschichten,
160 Seiten mit farbigen
Illustrationen von Jutta Mirtschin,
Lehmstedt Verlag,
ISBN 978-3-942473-78-1,
19,90 Euro

 

 

 

 

58 - Frühjahr 2014