Zwischen Faszination und Verklärung

Hilfe, die Wikinger kommen! … so riefen einst die Bewohner der Hafenstädte Europas, wenn ein Langschiff mit Drachenkopf in Sicht kam. Ein solches Wikingerschiff ist die Attraktion der faszinierenden Ausstellung „Die Wikinger“ im Martin-Gropius-Bau.

Sie kamen überraschend mit blitzartigen Angriffen und zogen sich ebenso schnell wieder zurück: die uns heute so faszinierenden Wikinger. Die leichte Konstruktion und der geringe Tiefgang ihrer Schiffe machten schnelle Manöver möglich und sie drangen weit in Flussmündungen ein. Mit bis zu einhundert Mann Besatzung führten ihre Raubzüge über die Ostsee bis nach Russland, ins Mittelmeer, Schwarze und Kaspische Meer sowie über den Atlantik bis nach Nordamerika. 

Faszination, Verklärung und auch Vereinnahmung der „Nordmänner“ haben über die Zeitläufte unterschiedliche Phasen durchlaufen. Lange gab es von ihnen kein genaues Bild. Erst als man die ersten ihrer Boote bei Ausgrabungen fand, richtete sich der Fokus mehr oder weniger auf die Seetüchtigkeit ihrer Schiffe. Sowohl auf hoher See mit riesigem Rahsegel wie auch im flachen Wasser mit Rudern  manövrierten sie meisterlich ihre Schiffe und symbolisieren so die Beherrschung der Meere. Das beflügelte nicht nur Fantasien und Mythen, ein solches Volk ist geradezu prädestiniert für die Film-und Fernsehindustrie. So sind der Vermarktung heute keine Grenzen gesetzt. Eingefasst in die nordische Mythologie, genießen die Wikinger mancherorts sogar den Status heroischer Ahnen.

Kein Wunder, wenn das Dänische Nationalmuseum in Kopenhagen mit einer umfassenden Ausstellung das allgemein bestehende Bild der Wikinger objektivieren wollte. So hat die als Kooperationsprojekt geplante Ausstellung „Vikings“, die in diesem Jahr auch in London gezeigt wurde, und bis zum 4. Januar 2015 nun ebenso im Martin-Gropius-Bau zu sehen ist, für großes Interesse gesorgt. Vermittelt sie doch über Leben und Legende der Wikinger ein differenzierteres Bild. Doch letztlich sind alle Facetten der Wikingerzeit mit ihren legendären Langschiffen verbunden. Das vermittelt auch die Berliner Ausstellung, die wie ein begehbares Bühnenbild angelegt ist. Im zentralen Lichthof des Martin-Gropius-Baus spektakulär in Szene gesetzt, die Roskilde 6, ein 37 Meter langes Kriegsschiff. Es ist Mittelpunkt der Ausstellung und verbindet alle vier Themenbereiche miteinander. Fast eintausend Jahre alt, ist es vor 18 Jahren im dänischen Roskilde entdeckt worden. Ein solches Schiff war Voraussetzung für die Eroberungszüge der Wikinger, aber auch für ihre global angelegte Handelstätigkeit. Davon zeugen viele neuere Funde. Sie tauschten Waffen gegen Schmuck, Gläser und Keramik in Franken, erwarben Pelze und Sklaven in slawischen Gebieten, Gewürze entlang der Seidenstraße, handelten mit Bernstein, arabischen Silbermünzen und Perlen und brachten das Schachspiel nach Skandinavien. Diese weitreichenden Kontakte mit anderen Völkern und Kulturen veränderten am Ende auch die Wikinger selbst, für die ursprünglich rituelle Handlungen wichtig waren, um sich vor Geistern und Dämonen zu schützen. Dafür sorgte ihr König und einziger Protagonist in der Ausstellung, Harald Blauzahn. Er einte Dänemark und Norwegen und machte die Dänen zu Christen. So belegt es die Inschrift auf dem berühmten Jellingstein, der als Nachbau ausgestellt ist. So fand nach rund zwei Jahrhunderten im 12. Jahrhundert eine Transformation, der Glaubenswechsel der Wikinger, statt. Sie ersetzten Odin durch Christus, denn das Christentum brachte für ihre Könige, Händler und Eliten einen besseren Zugang zum europäischen Festland, dessen Politik, Wirtschaft und Religion. Daran wollte man teilhaben. Im letzten der vier Ausstellungsbereiche wird das angesichts des „Wikingergolds von Hiddensee“ deutlich. Derartige Schatzkunst erinnert dann doch sehr an europäisch geprägte Repräsentationsformen jener Zeit. Über achthundert Exponate, darunter viele neue archäologische Funde und das erstmals präsentierte Wikingerschiff Roskilde 6 machen den Ausstellungsrundgang zur faszinierenden Entdeckungsreise in eine Welt, deren Geheimnisse noch längst nicht vollständig gelüftet sind.

Reinhard Wahren

 

Information

Ausstellung
Die Wikinger 
Bis 4. Januar 2015
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin
www.wikinger.smb.museum

 

60 - Herbst 2014
Kultur