Schnelle Diagnose fur bessere Heilungschancen

Interdisziplinäre Sprechstunde für stressbedingte Störungen im Jüdischen Krankenhaus Berlin. Das moderne Leben ist bequem, es wird aber auch immer komplexer in seinen Möglichkeiten. Zunehmende Mobilität und die ständige Verfügbarkeit von Informationen machen uns unabhängig, bieten Chancen wie Risiken. Denn zu viele Informationen können auch überfordern oder falsch interpretiert werden. So kommt es auch in der Medizin und besonders beim Diagnostizieren von Krankheiten oftmals zu Fehleinschätzungen. Schmerzen können sehr verschiedene Ursachen haben. Welcher Ansatz einer Behandlung der richtige ist, kann der medizinische Laie kaum beurteilen. Herauszufinden, durch welche verschiedenen Organsysteme Beschwerden beeinflusst werden können, ist selbst für Experten immer wieder eine Herausforderung. Somit steht bei vielen Erkrankungen die Frage nach der Zuständigkeit im Raum, welcher Arzt oder welches Fachgebiet wirklich hilfreich ist. Einen Ansatz dazu bietet das Jüdische Krankenhaus Berlin mit einer neuen Privatsprechstunde, in der Menschen mit Beschwerden wie unklarem Leistungsabfall, Atemnot, Brustschmerzen, Beklemmungen, Herzbeschwerden, Schlafstörungen, Unruhe oder Gefühlsstörungen von einem Team von Chefärzten aus den drei verschiedenen medizinischen Fachdisziplinen Innere Medizin, Psychiatrie und Neurologie untersucht werden und nach einer gemeinsamen Fallbesprechung eine abgestimmte Einschätzung und Empfehlung erhalten.

Berlin vis-à-vis sprach mit den Ärzten Prof. Dr. Kristof Graf, Priv.-Doz. Dr. Peter Neu und Priv.-Doz. Dr. Gerhard Jan Jungehülsing.

Was hat Sie zu der Erkenntnis gebracht, eine gemeinsame Sprechstunde zu gründen?

Im Laufe des Fortschrittes unserer modernen Medizin sind wir immer mehr und schneller in der Lage, sehr spezialisierte Diagnostik und Behandlung anzubieten, was gut und richtig ist. Einige Erkrankungen präsentieren sich aber mit sehr unspezifischen Symptomen, sodass es angezeigt ist, fächerübergreifend zu denken, um der Ursache von Beschwerden auf den Grund zu kommen. Mit zunehmender Spezialisierung in der Medizin darf der Blick auf das Ganze nicht verloren gehen. 

Sie richten sich gezielt an Menschen mit sogenannten stressbedingten Störungen. Was ist darunter zu verstehen? 

Der Begriff ist vielleicht nicht sofort verständlich, denn es gibt derzeit keine allgemein anerkannte Definition, die dieses Problem allgemeinverständlich besser beschreiben könnte. Der Begriff „stressbedingte Störungen“ soll vorrangig beschreiben, dass wir verschiedene Symptome, beispielsweise andauernde Mattigkeit oder gelegentliches Herzrasen oder Schwindelsymptomatik haben können, die durch verschiedenste Ursache hervorgerufen sein können. Daher wollen wir nicht von vorneherein sagen, dass hier diese oder jene medizinische Fachrichtung für die Behandlung zuständig ist, sondern, dass es sinnvoll ist, wenn man das Problem aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere medizinischen Fachdisziplinen sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben, weil sich dies als sinnvoll und praktikabel erwiesen hat. Unser Körper, inklusive Psyche, aber sich natürlich nicht an die Grenzen der medizinischen Fachdisziplinen hält. Warum sollte er das auch tun? Wir möchten deutlich betonen, dass unsere interdisziplinäre Privatsprechstunde nicht darauf abzielt, sich dem sogenannten Burnout zu widmen. 

Weil es eher ein Zustand als ein Krankheitsbild ist? 

Burnout ist eher ein Modebegriff, der mehr aus der Boulevardpresse stammt, als aus der medizinischen Fachwelt. Burnout ist im Grunde genommen nur eine Verklausulierung des Begriffes Depression, wird aber lieber verwendet, weil es zeitgemäßer klingt. Hinter stressbedingten Störungen kann natürlich auch eine Depression stecken, es muss aber keineswegs immer eine psychische Ursache bestehen. Auch Erkrankungen aus dem Bereichen Innere Medizin oder Neurologie können Grund für die geäußerten Beschwerden sein. Andererseits ist es möglich, dass beispielsweise eine Entzündung des zentralen Nervensystems oder auch starke Schmerzen sich auch auf die Psyche auswirken.

Können Herzbeschwerden eine neurologische oder eine psychische Ursache haben?

Das ist ein gutes Beispiel. Herzbeschwerden sind erst einmal ein Symptom, das als aus dem Herzen direkt stammend empfunden wird. Es kann aber auch durchaus sein, dass über die empfundenen Herzbeschwerden unser Alarmsystem des Körpers aktiviert wird und uns z. B. auf eine psychische Erkrankungen hinweist, obwohl unser Herz selber völlig gesund ist. Das Herz ist hier gleichsam der Bote, der meldet, dass mit dem Organismus etwas nicht stimmt. Es bedarf hier einiger Anstrengung, dass das eigentlich dahinter stehende Problem erkannt und entsprechend fachkundig angegangen wird. Gerade die Wechselwirkung zwischen der Psyche und Gefäßerkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall sind sehr gut in zahlreichen Studien untersucht. Auch Depressionen können sowohl in der Folge eines Herzinfarkts oder Schlaganfalles auftreten, können aber als eigenständige Erkrankung zum Risiko beitragen, eine solche Erkrankung überhaupt zu bekommen. Dies verdeutlicht sehr anschaulich, wie eng verwoben die verschiedenen Funktionssysteme des Körpers sind.

Wie läuft eine Behandlung in Ihrer Ambulanz, und was ist der Ansatz ihrer Fallkonferenzen?

In unserer Sprechstunde wird der Patient von den Chefärzten der Kliniken für Innere Medizin, Neurologie und Psychiatrie untersucht. Nach einer ausführlichen Anamneseerhebung werden ggf. Blutuntersuchungen oder bildgebende Verfahren durchgeführt. Aus den erhobenen Daten und Ergebnissen macht sich der Arzt der jeweiligen Fachdisziplin aus seiner Sicht ein Bild von dem Problem. Jeder Arzt hat im Rahmen seiner Ausbildung ja auch Kenntnis der jeweils anderen Fächer, so dass beurteilt werden kann, ob die anderen Fächer von dem Problem betroffen sein könnten. In den gemeinsamen Fallkonferenzen wird diskutiert und mit dem Patienten gemeinsam entschieden, wo ein Behandlungsansatz am sinnvollsten beginnen sollte. Entweder eine der Disziplinen übernimmt die Behandlung oder es kommt zu einem fachübergreifenden Behandlungsplan. Jeder Fall ist anders zu bewerten. 

Danke für das Gespräch.  

 

Information

www.juedisches-krankenhaus.de 
Privatärztliche Ambulanz 
Tel.: 030-49942461

 

60 - Herbst 2014