Auf meinem Hügel – Im Flämingland

Der Künstler Roger Loewig war ein Wanderer zwischen den Welten. Der Riss zwischen Ost und West ging mitten durch ihn hindurch. 

Vom Balkon des Schweizerhauses hat man den schönsten Blick auf Bad Belzig. Auf die Burg Eisenhardt und die Altstadt mit der St.-Marienkirche im Zentrum. Am Horizont die weiten grünen Hügel des Fläming. Der umlaufende Holzbalkon, die Fensterläden sowie die geschnitzten Balkenköpfe verhalfen dem um 1900 vom Belziger Architekten Bruno Sacharowitz entworfenen Haus zu seinem Namen. Die Idylle unter Apfelbäumen ist nicht die ganze Wahrheit.

Mit diesem Ort verbindet sich ein ebenso erhellendes wie überaus produktives Kapitel innerdeutscher Kunst- und Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts. Der Künstler Roger Loewig (1930–1997) besuchte im Schweizerhaus über Jahre seine Freunde und Weggefährten Heiderose und Wolfgang Woizick. Letzterer erinnert sich: „Wir saßen oft tagelang und haben geredet. Roger blieb meist eine Woche, gearbeitet hat er vor allem nachts.“ Erst im Wohnzimmer der Freunde, später in einem eigenen kleinen Wohnbereich im ersten Stock. Kennengelernt haben die Woizicks den Künstler 1964, kurz nachdem er wegen staatsfeindlicher Tätigkeit ein Jahr in Haft gewesen war. Vor allem seine gegen den Mauerbau gerichteten Bilder hatte man ihm zum Vorwurf gemacht. Das Gefängnis und die Vernehmungen hatten dem sensiblen Künstler physisch und psychisch enorm zugesetzt. Roger Loewig gehörte zu den ersten Häftlingen, die in einer Geheimmission von der Bundesrepublik freigekauft wurden. Der Fläming wurde in diesen Jahren nach der Drangsal und Enge zum Rückzugsort, zu einer Art Wahlheimat. Jetzt begann er intensiv zu zeichnen. „Jede Nacht entstand, während wir schliefen, eine Arbeit“, erinnert sich Wolfgang Woizick. Anklagende Bilder waren es, voll tiefer Trauer, wüste leere Landschaften, bevölkert von einsamen Menschen, stürzenden Vögeln. Unbelaubte Bäume stemmten sich gegen den Wind, verbogen und zerzaust. Menschen werden zu Ackerfurchen. Bildtitel dieser Jahre waren unter anderen „Loewig fährt durch den Fläming, den Tod über sich“, „Flugfeldzeichen“  oder „Totenfabrik“. Aus dieser Zeit stammen auch die Zeichnung „Ein Vogel bin ich ohne Flügel“ und das gleichnamige Gedicht, die als sein künstlerisches Credo gelten können. Wort und Bild gingen bei Loewig immer wieder enge Wechselbeziehungen ein, durchdrangen einander. Wo der Dichter im Ausdruck an Grenzen stieß, setzte der Maler und Grafiker fort. Neben den Hafterfahrungen verarbeitete Loewig in dieser Weise auch die Zeit seiner Jugend: Krieg und Vertreibung. Der Künstler wurde 1930 im schlesischen Striegau (heute Strzegom, Polen) geboren. Nach der Flucht 1945 verdiente er seinen Lebensunterhalt erst einmal als Land- und Forstarbeiter in der Lausitz. Von 1951 bis 1953 folgte eine Lehrerausbildung in Ostberlin. Das Lehramt bot ihm eine Möglichkeit, die Zuzugsgenehmigung ins begehrte Berlin zu bekommen. Immerhin war damals die Mauer noch nicht gebaut und mit der S-Bahn ließ es sich relativ problemlos zwischen den Welten pendeln. Zehn Jahre hat er schließlich bis zu seiner Verhaftung als Lehrer für Russisch, Deutsch und Geschichte an Ostberliner Schulen gearbeitet. Für ihn ein Brotberuf, auch wenn ihm eine pädagogische Ader nachgesagt wurde. Seine eigentliche Leidenschaft galt dem Malen, Zeichnen und Schreiben. Nachdem er aus der Haft entlassen war und der Lehrerberuf in der DDR nicht mehr denkbar, konnte er ganz Künstler sein. Loewig empfand diesen Umstand als Befreiung, sieht man von der wirtschaftlichen Unsicherheit einmal ab. „Er war ja ein kraftvoller lebenslustiger Mensch, auch wenn viele das nicht denken mögen“, erzählt Wolfgang Woizick. Über das Schreckliche wollte er den Schleier des Schönen legen, um es erträglicher zu machen, so habe er gesagt. Lautes Schockieren war nach eigenem Bekunden seine Sache nicht.

1972 war die produktive Zeit im Fläming erst einmal vorbei. Nach einer langen depressiven Phase und dem endgültigen Bruch mit dem DDR-Kulturbetrieb gelang dem Künstler und seiner Frau die Ausreise nach West-berlin. Anstatt vom Fläminghügel schaute er nun von einem der Hochhäuser im Märkischen Viertel im Stadtteil Reinickendorf in die Brandenburger Landschaft hinein. Trotz vielfältiger Unterstützung blieb die Einsamkeit: „Ich treibe im Leeren, weil mich Heimweh quält, ich bin verdrossen, weil ich genötigt war, einen Hügel aufzugeben, von dem herab gegen umliegende Nacht und Barbarei zu kämpfen wichtig war und mir auch vertraut“, schrieb er in jener Zeit. Mit einer Ausnahme, die seinerzeit der SPD-Politiker Herbert Wehner ermöglichte, hat er über lange Jahre Belzig und den Fläming nicht wiedergesehen. Der Kontakt zu den Freunden indes riss nicht ab. Man telefonierte und traf sich in verschiedenen Ostblockstaaten zum gemeinsamen Urlaub. Die Trennung von seinen Weggefährten quälte ihn zunehmend. Wirklich angekommen ist er im Westen nie.

Umso mehr euphorisierten ihn die Ereignisse im Herbst 1989, wenngleich er sich vom  wiedervereinigten Deutschland mehr Ehrung erhofft hatte. Mit einigem Groll musste er ansehen, wie Staatskünstler der DDR, darunter Bernhard Heisig, mit großen Retrospektiven geehrt wurden. Doch die Freunde und vertrauten Landschaften rückten wieder näher. Roger Loewig machte sich gleich nach Maueröffnung wieder auf den Weg in den Fläming. Der Landstrich im Süden Berlins war durch die Zeit der Entbehrung endgültig zum Sehnsuchtsort geworden. Im Schweizerhaus, das die Woizicks 1977 gekauft hatten, war mittlerweile auch mehr Platz. In einem letzten großen Werkzyklus erwies Loewig den alten romanischen Feldsteinkirchen, den Feldern und Windmühlen des Flämings seine ganz eigene zeichnerische Reverenz. Gerade die alten, archaisch wirkenden Kirchen erfasste er eindrücklich in ihrer Schönheit, ihrer Würde und Verletzlichkeit. Er zeichnete sie mit dem ihm eigenen feinen Strich jeweils vor Ort. Sie wurden Loewig zu einer letzten künstlerischen Zuflucht, bevor er 1997 nach langer Krankheit in Berlin starb. Kurz zuvor hatte man ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. 

Seit einigen Jahren beherbergt das imposante Gebäude auf dem Hügel in Belzig das Roger-Loewig-Museum mit Gedenkstätte. Die darin gezeigte Dauerausstellung gibt einen Einblick in das Leben und Werk des Malers, Zeichners und Dichters Roger Loewig. Eines Grenzgängers im Leben wie in der Kunst. 

Karen Schröder

 

Information

Roger Loewig Haus
Museum und Gedenkstätte
Flämingweg 6
14806 Bad Belzig
Öffnungszeiten:
ab Oktober nach Vereinbarung

 

60 - Herbst 2014