Berlin-Macher

Dass Berlin dazu verdammt ist, immerfort zu werden und niemals zu sein, wusste schon im Jahr 1910 der Publizist und Kunstkritiker Karl Scheffler. Ein oft zitierter Satz, der noch heute gilt. Umso mehr sind Menschen gefragt, die vor oder hinter den Kulissen etwas bewegen und die Stadt ein Stück voranbringen. Wir stellen sie in jeder Ausgabe vor, die Berlin-Macher. Diesmal Christiane Theobald.

Die Frau hat eine Mission: „Ich bin davon getrieben, dass der Tanz wirklich in unserer Gesellschaft ankommt und Teil des normalen Lebens wird“, sagt Christiane Theobald mit ihren funkelnden blauen Augen so enthusiastisch und überzeugend, dass man sich gut vorstellen kann, wie sie auch noch dem Teufel in der Hölle die Einrichtung eines Ballettbetriebes abtrotzt. Doch der muss erst einmal warten. Denn ihm ist die stellvertretende Intendantin und Betriebsdirektorin des Staatsballetts Berlin gerade noch einmal von der Schippe gesprungen. Und das ist gar nicht so lange her.

Es war im Jahr 2012, als Christiane Theobald aus heiterem Himmel die Diagnose erhielt: Magenkarzinom. Es folgten Chemotherapie und Operation, Genesung und Besinnung auf sich selbst. „Ich hatte und habe keine Angst vor dem Tod. Wenn ich damals hätte gehen müssen, wäre das für mich okay gewesen“, beschreibt sie offen und ohne Scheu ihre Gefühlswelt. „Das, was ich bislang erleben durfte, hätte auch für drei Leben gereicht“, beschreibt sie heute ihren „inneren Frieden“, den sie mit sich geschlossen habe.

„All das hat mein Weltbild verändert und mich gelassener gemacht“, resümiert die heute 57-jährige Rheinländerin, die in Koblenz geboren und in Düsseldorf aufgewachsen ist. „Das war nicht immer so. Ich war dauernd auf der Überholspur. Meine Mitarbeiter hätten es damals gerne gesehen, wenn ich öfters mal was zur Beruhigung genommen hätte“, blickt sie nicht ohne Selbstkritik zurück und nennt das Kind auch beim Namen: „Das war schon verbissener Ehrgeiz.“

Geblieben sind – Gott sei Dank, muss man sagen – ihre Leidenschaft und der unbedingte Wille, etwas zu verändern. „Ich bin eine Problemlöserin und eine Ermöglicherin“, beschreibt sie ihr Selbstverständnis innerhalb des Staatsballetts, „damit sich die Kunst bestmöglich entwickeln kann.“ Dafür jemanden mit besseren Voraussetzungen zu finden, dürfte schwer sein. Christiane Theobald hat Musikwissenschaften, Geschichte und Kunstgeschichte an der Eberhard-Karls-Universität und an der Freien Universität studiert. In Tübingen absolvierte sie parallel eine Ballettausbildung, die sie in Berlin mit dem Schwerpunkt Modern Dance fortsetzte. 1985 promovierte sie bei Rudolph Stephan mit einer Arbeit über den österreichischen Komponisten Franz Schreker.

Fast wäre Christiane Theobald im Journalismus gelandet. „Ich hatte schon Sprechunterricht im WDR-Studio Münster“, erzählt sie ohne Wehmut. Doch dann, 1987, hat sie Ballettdirektor Gert Reinholm als Ballett-Dramaturgin an die Deutsche Oper Berlin geholt, der sie auch noch unter Peter Schaufuss bis 1993 treu geblieben ist. Hiernach wechselte sie zur Staatsoper Unter den Linden – als Ballett-Dramaturgin und Ballett-Betriebsdirektorin.

Irgendwann Mitte der 90er-Jahre war Christiane Theobald ihr künstlerischer Hintergrund allein offensichtlich nicht mehr genug. An der privaten Steinbeis-Hochschule Berlin absolvierte sie ein berufsbegleitendes Postgraduiertenstudium, das ihr sozusagen das betriebswirtschaftliche Rüstzeug für den Ballett-Betrieb vermittelte und das sie mit dem Master of Business Administration (MBA) für Medien abschloss. So weit, so gut. Doch mit ihrer Masterthesis legte sie sozusagen nach und vor allem den theoretischen Grundstein für eine von den Opernhäusern unabhängigen Ballettcompagnie: „Das Profit-Center geführte Ballett.“

Dass es in Berlin mit dem Staatsballett genauso kommen würde, konnte damals keiner wissen, auch Christiane Theobald nicht. Vermutlich ist sie „nur“ ihrer weiblichen Intuition gefolgt und hat genau das aufgeschrieben, worauf es ankam. Jedenfalls wurde am 1. Januar 2004 das Staatsballett Berlin gegründet und Christiane Theobald seine stellvertretende Intendantin und Betriebsdirektorin – damals an der Seite des Intendanten Vladimir Malakhov, heute neben Nacho Duato, den sie übrigens als „absoluten Glücksfall“ für Berlin bezeichnet.

Über zehn Jahre übt Christiane Theobald jetzt dort ihren Beruf aus, der ganz gewiss auch ihre Berufung ist. Dabei kommt ihr sicherlich zugute, dass sie, wie sie mit leicht verschmitztem und lausbübischem Gesicht sagt, „strategisch denken und handeln kann“. Und wer sich wie sie eine derart lange Zeit im Berliner Kunst- und Kulturbetrieb halten kann, muss auch mit einer gehörigen Portion politischem Fingerspitzengefühl ausgestattet sein, von einem gerüttelt Maß an Disziplin ganz zu schweigen.

Sich selbst beschreibt Christiane Theobald als „asketischen Menschen“, der – danach gefragt – erst einmal darüber nachdenken muss, ob er auch ein „Genussmensch“ ist. Sie raucht nicht, hat noch nie Alkohol getrunken und sich ayurvedisch ernährt –, „bei uns stand der Musikgenuss im Vordergrund“, lenkt sie vorsichtig ab und den Blick auf ihre Familie, in der sie die älteste von drei Töchtern ist und nolens volens den einen oder anderen Strauß mit ihrem Vater ausgefochten hat, der ihr, wie sie betont, ganz wichtig war und dem sie immer ein gleichberechtigter Gesprächspartner sein wollte. Da ihr Vater als Arzt im Krankenhaus arbeitete und sie, wie ihre Schwestern auch, ein ums andere Mal auf der Station ihres Vaters geholfen hat, hat sie ihn gleich in zweifacher Weise erlebt: „Der liebevolle Vater zu Hause und die absolute Respektsperson in der Klinik.“

Vielleicht haben das Erleben des häuslichen Umfeldes und die ganz andere Wahrnehmung im beruflichen Bereich des Vaters dazu beigetragen, dass ihre Sinne für andere Menschen und deren Gefühle geschärft wurden. Und man kann es in der Tat gut nachempfinden, wenn Christiane Theobald über sich selbst sagt: „Ich glaube, meine Stärke ist, dass ich gut zuhören und mit Menschen kann.“ Ihre Offenheit und Ehrlichkeit, mit der sie ihre Gegenüber einnimmt, tun ein Übriges.

Insofern kann der Teufel ruhig warten, bis er schwarz ist. Ein solches Herz voller Musik und Tanz ist, wenn denn die Zeit da ist, im Himmel allemal besser aufgehoben. Aber daran mag in Berlin und im Staatsballett ohnehin niemand denken.

Detlef Untermann

 

60 - Herbst 2014