Unser Theater zieht die meisten Leute an

Martin Woelffer ist seit zehn Jahren Direktor der Ku’damm-Bühnen. Die „Komödie“ konnte 2014 ihr 90-jähriges Bestehen feiern. Trotzdem sind sie und das Theater am Kurfürstendamm seit 2004 in ihrer Existenz bedroht, weil ständig wechselnde Besitzer und Investoren mit dem Abriss des Ku’damm-Karrees samt beiden Theatern drohen. Zu Besuch bei Martin Woelffer. 

Das Büro des Chefs der beiden Theater ist nicht leicht zu finden. Der Bühneneingang liegt im Hinterhof des Ku’damm-Karrees. Vorbei an der kleinen Pförtnerloge und Büro-Etagen voller Theaterplakate sowie Fotos berühmter Schauspieler, die bei Hans Wölffer, dem Großvater, und Jürgen Wölffer, dem Vater des jetzigen Direktors, gastiert haben, geht es in den 3. Stock. Dort begrüßt uns als Erstes der schneeweiße Mischlingsrüde. 

Für einen „Flocke“ ist er ganz schön groß geraten ...

Er war mal klein, und da wussten wir nicht, zu welchen Ausmaßen er heranwachsen würde.

Sie sind Theaterdirektor in der dritten Generation. Hatten Sie als Kind schon eine Vorstellung davon, was Sie später werden wollten? 

Ja. Rennfahrer. Oder Autodesigner. Autos haben mich fasziniert. Dass ich etwas mit Theater machen könnte? Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen.

Obwohl es heißt, Sie krabbelten schon als Kleinkind durch das Büro Ihres Großvaters. 

Ja, das stimmt. 

Und wann saßen Sie erstmals als Zuschauer im Theater? 

Als Fünfjähriger. Das war 1968 im „Theater am Kurfürstendamm“ bei der deutschen Erstaufführung des Musicals „Der Mann von La Mancha“ mit dem großen Josef Meinrad als Don Quichotte und Fritz Muliar als Sancho Pansa. Mein eineinhalb Jahre jüngerer Bruder und ich saßen mit unserer Mutter in einer Loge und verstanden natürlich kein Wort. Dennoch machte es sehr viel Eindruck auf mich. Vor allem, weil wir vor der Aufführung die Schauspieler hinter der Bühne besuchen durften. 

Das war der Anfang? 

Nach dem Abitur habe ich Germanistik studiert und Literaturwissenschaft, bin auch ein Jahr nach Madrid, um Spanisch zu lernen, habe aber – mehr als Job als aus großem Interesse – Regieassistenzen gemacht, u. a. an der Deutschen Oper sowie Praktika für Bühnentechnik und Beleuchtung, kann also im Nachhinein sagen, dass ich alle Theatersparten von der Pike auf gelernt habe. Dennoch verschwendete ich seinerzeit keinen Gedanken daran, einmal die Nachfolge meines Vaters anzutreten. 

Warum nicht? 

Vielleicht aus einer jugendlichen Oppositionshaltung heraus. Ich konnte mich mit dem Theater, das hier gemacht wurde, nicht so sehr identifizieren. Ich fand das alles zu bürgerlich. Ich hatte ein anderes Konzept: jüngeres Theater – für ein jüngeres Publikum, ganz ohne Stars. 

Das haben Sie dann im neu gegründeten kleinen „Magazin“-Theater erproben können? 

Ja, das war eine Initiative des großen Theaters, um der nachfolgenden Generation eine Chance zu geben. Fünf Jahre hat das funktioniert, weil wir alle umsonst gearbeitet haben, aber wir erreichten nicht die Publikumszahlen, die wir gebraucht hätten.

Ihr Vater hatte Ihnen und dem Regisseur Folke Braband inzwischen auch die künstlerische Leitung der Komödie übergeben, aber Sie kündigten dann mit der Begründung, „dass wir hier im Hause nicht alle an einem Strang ziehen“. Das klang nach Familienkrach. 

Es gab interne Querelen, aber das Gute war, dass das Verhältnis zwischen meinem Vater und mir dadurch nicht getrübt wurde. Selbst wenn wir auf der beruflichen Ebene eine Auseinandersetzung hatten, ist es für uns nie ein Problem gewesen, uns schon am nächsten Tag privat zu treffen. 

Wie ging es nach Ihrer Kündigung weiter?

Das Tolle aus meiner Sicht war, dass ich schon gekündigt hatte, als meine letzte Inszenierung zur Aufführung kam und einschlug wie eine Bombe. Ich hatte die Idee gehabt, die Geschichte der Comedian Harmonists als Musical-Fassung auf die Bühne zu bringen und inszenierte das mit lauter jungen, bis dahin völlig unbekannten Sängern. Als der Vorverkauf begann, lief er so schleppend, dass wir das Schlimmste befürchteten. Aber bei der Premiere ist die Begeisterung des Publikums förmlich explodiert. Das war natürlich ein Triumph für mich.

Bei Ihrer Rede auf der Jubiläumsfeier der „Komödie“ sprachen Sie von der Hoffnung, eines Tages den Status des geduldeten Hausbesetzers ablegen zu können und wieder zum richtigen Mieter zu werden. Was motiviert Sie zum Weitermachen bei der ständigen Bedrohung, schließen zu müssen?

Wir haben in der „Komödie“ und dem „Theater am Kurfürstendamm“ jedes Jahr die meisten Zuschauer aller Berliner Sprechtheater. Auch die Politiker haben inzwischen begriffen, dass unsere Theater die meisten Leute anziehen. Sie sind wichtig für die Stadt. Der Kurfürstendamm ist für die Berliner, aber auch für Berlin-Besucher der Ort, an dem sie unterhalten werden wollen. Wir machen weiter, weil wir verrückt sind, weil wir Theater machen wollen und müssen. Weil es eine Lebensaufgabe ist.

Gudrun Gloth 

 

61 - Winter 2015