Alles so schön bunt

Der Stummfilm, natürlich in Schwarz-Weiß, hatte noch das Sagen, da deutete sich neben dem aufkommenden Tonfilm eine weitere filmische Revolution an: der Farbfilm. 1915 gründeten die amerikanischen Physiker Herbert T. Kalmus, Daniel Comstock und W. Burton Wescott die Firma „Technicolor Motion Picture Corporation“. In dem von ihnen begründeten Technicolor-Verfahren werden auf drei Schwarz-Weiß-Filmstreifen, die jeweils für eine der drei Grundfarben – rot, grün, blau – empfindlich sind, Bilder aufgenommen. 

Im Labor werden die Farbauszüge eingefärbt und passgenau auf einen Film geklebt. Es ist also im Wesentlichen ein Kopierverfahren. Und daher ist jeder Film ein Unikat. Zur Anwendung kam das Verfahren hauptsächlich in den USA und Großbritannien – und war auch erst in den 1930er-Jahren einigermaßen ausgereift. Nur zur Vervollständigung – in Deutschland war es Agfacolor, die den Farbfilm vorantrieben und ein anderes, ein chemisches Verfahren nutzten. Allerdings hatten die Deutschen Schwierigkeiten mit dem Ton. Heesters und Rökk sahen schön bunt aus, doch ihre Stimmen hatten doch einen merkwürdigen Klang.

Bleiben wir bei Technicolor, dem die Berlinale in diesem Jahr, 100 Jahre nach Beginn der Entwicklung dieses Verfahrens, eine Retrospektive widmet. Eigentlich eine logische Folge der Retrospektive des Jahres 2014, wo es um Ästhetik der Schatten und filmisches Licht, natürlich in Schwarz-Weiß ging. Die diesjährige Retrospektive entstand weitgehend in Kooperation mit dem George Eastman House in Rochester, New York, in dem eine der größten und besterhaltenen Technicolor-Sammlungen existiert. Übrigens ebenjenes Museum, benannt nach dem Kodak-Gründer George Eastmann, befindet sich auch heute noch auf dessen einstigem Anwesen. Rainer Rother, Leiter der Retrospektive und Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek hat 30 Filme für die Berlinale ausgewählt, 100 wurden gesichtet. Man kann so die Anfänge des Farbfilms besichtigen – die meisten wurden zu Meilensteinen der Filmgeschichte. Die Farben waren seinerzeit natürlich nicht naturgetreu und manchmal gar ein Kuriosum. Das Publikum blieb entsprechend skeptisch. Mehr und mehr stellte Farbe aber zusätzlichen Schauwert dar und wurde für optisch aufwendige und leichtverdauliche Musicals, Melodramen und Western eingesetzt. Als einer der ersten Technicolor-Filme kam „Der Garten Allahs“ (1936) mit Marlene Dietrich in die Kinos, der viele Szenen hatte, die in der Wüste spielten. Und diese in Rotbraun gehaltene Natur verblüffte dann schon. Auch die Dietrich wird mit diesem Film zufrieden gewesen sein, nicht nur weil sie eine exorbitant hohe Gage kassierte, sondern die neue Technik brauchte extrem viel Licht – und das schmeichelte diesem, wie allen Stars, ungemein. „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ verhalfen 1937 dem Technicolor-Verfahren zum Durchbruch und natürlich auch dem Phänomen der abendfüllenden Zeichentrick-Produktionen aus dem Hause Disney. Man hatte für diesen Film viel Zeit, konnte besser und länger ausleuchten, versuchte auch mit gedimmten, dunkleren Farben, die angenehmer fürs Auge sind, zu arbeiten. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Das Melodram „Vom Winde verweht“ war 1939 ebenso ein Kassenhit wie „Der Zauberer von Oz“. Hier wurde ohnehin eine Fantasiewelt auf die Leinwand projiziert – da verstärkte die Farbe diesen Eindruck. Obwohl auch ins Reich der Fantasie gehörend, befremdeten die „Musketiere“ in leuchtend Rosa und Hellblau. Schließlich kann man behaupten, dass das Technicolor-Verfahren auch dem Western zum Durchbruch verhalf. Wenn John Wayne durchs Monument Valley reitet, das in rotes Licht getaucht ist und er später in ebenjenem Licht am Grab seiner Frau steht, dann ist das großes Kino, dann wurde Farbe zum dramaturgischen Element. Und selbst Rainer Rother ist beeindruckt, auch weil man hier so bewusst mit der Farbe spielte. Übrigens stellte Technicolor den Regisseuren auch Farbberater zur Seite und die Kameramänner wurden speziell geschult. Rainer Rother verweist auch auf zwei Filme, die nicht ins anfänglich skizzierte Schema passen und wirkliche Entdeckungen sind: „An American Romance“ (USA) von King Vidor und „This Happy Breed“ (GB) von David Lean. In beiden Filmen, 1944 entstanden, geht es um Zusammenhalt in der Gesellschaft. Hier bestimmt die Geschichte über die Farbe. Diese Arbeiten sind auch deshalb so bemerkenswert, weil sich beide Regisseure vor allem durch andere Filme einen Namen machten. Lean unter anderem durch „Die Brücke am Kwai“ und King Vidor durch „Oz“ und den Western „Duell in der Sonne“. Alle genannten Filme von Vidor sind in der Retrospektive zu sehen. Eine hochinteressante Konstellation. Die Retrospektive zeigt Originalkopien und moderne Kopien der Filme. Manche sogar in beiden Fassungen, sicher ein Highlight für absolute Kenner. Ein zusätzlicher Gewinn für alle dürften die Vorträge über das Technicolor-Verfahren und seine Auswirkungen auf die Kunst sein.

Martina Krüger

 
61 - Winter 2015
Kultur