Berlin-Macher

Dass Berlin dazu verdammt ist, immerfort zu werden und niemals zu sein, wusste schon im Jahr 1910 der Publizist und Kunstkritiker Karl Scheffler. Ein oft zitierter Satz, der noch heute gilt. Umso mehr sind Menschen gefragt, die vor oder hinter den Kulissen etwas bewegen und die Stadt ein Stück voranbringen. Wir stellen sie in jeder Ausgabe vor, die Berlin-Macher. Diesmal Hermann Noack Sen.

„Die Kunst hat das Handwerk nötiger als das Handwerk die Kunst.“ Kaum ein Satz trifft so auf die Bronzegießerei Noack und ihren Seniorchef Hermann Noack sen. zu wie der von Franz Kafka. Denn wie anders ist es zu erklären, dass sich in der Gießerei bis heute Künstler von internationalem Ruf die Klinke in die Hand geben und sich den Noacks anvertrauen. Die Gäste- bzw. Kundenliste liest sich wie das Who`s who zeitgenössischer Kunst: Ernst Barlach, Georg Baselitz, Joseph Beuys, Rainer Fetting, Bernhard Heiliger, Anselm Kiefer, Georg Kolbe, Käthe Kollwitz, Henry Moore, Jonathan Meese und viele andere mehr. Sie alle haben bei Noack gießen lassen, Hermann Noack.

Denn Hermann Noack, das steht für eine über 100 Jahre bestehende Bronzegießer-Dynastie, von der, wie eine Berliner Tageszeitung jüngst schrieb, „immer dann gesprochen wird, wenn irgendwo auf der Welt Denkmäler enthüllt oder nach der Restaurierung wieder aufgestellt werden“. Den Anfang machte Hermann Noack (1867–1941), der wohl nicht zufällig seinem Sohn den eigenen Vornamen gab, sodass die Tradition mit Hermann II. (1895–1958) ihren Lauf nahm. 1931 folgte Hermann III., der heutige Seniorchef, der seinen 1966 geborenen Sohn, wie sollte es anders sein, ebenfalls Hermann nannte, Hermann IV. also, mit dem gemeinsam er die Geschicke der Gießerei lenkt.

Dazu kommt Noack sen. mit seinen 84 Jahren auch heute noch jeden Tag ins Büro oder besser gesagt in die Werkstatt. Denn von seinem Selbstverständnis her ist er ein Handwerker. „Wir dürfen keine Künstler sein. Wir setzen das um, was sich die Künstler ausgedacht haben“, sagt der gebürtige Berliner, der sich wie sein Großvater in der Werkstatt immer wohler gefühlt hat als im Büro.

Allerdings lässt es der Senior jetzt etwas ruhiger angehen. Denn die Stabsübergabe an seinen Sohn ist bereits erfolgt. „Nee, irgendwann musste es ja mal sein“, antwortet er auf die Frage, ob ihm die Übergabe schwer gefallen sei. Doch so leicht dürfte der Wechsel für ihn denn doch nicht gewesen sein, zumal er die Umzugspläne seines Sohnes „abscheulich“ fand.  Doch schon nach einem halben Jahr, nachdem der Betrieb 2010 von Friedenau nach Charlottenburg an die Spree gezogen ist, habe er sich gefragt: „Warum haben wir das nicht eher gemacht?“ Alles sei nun viel größer, heller, schöner. Und wenn die 2. Bauphase, die 2013 begann, beendet und das Skulpturenzentrum fertiggestellt ist, dann finden auch die vielen Skulpturen der klassischen Moderne und der zeitgenössischen Kunst, denen man an allen Ecken und Enden in der Gießerei begegnet, einen würdigen Platz, ebenso wie das Archiv.

Dort kann der Senior dann auch die vielen Geschichten und Anekdoten pflegen, damit sie für die Nachwelt erhalten bleiben. Wie etwa die von der Quadriga, die, nachdem sie von Noack im Jahr 1958 neu in Kupferblech gefertigt worden und vor dem Brandenburger Tor auf der Ostseite abgestellt worden war, plötzlich verschwand. Aus ideologischen Gründen hatten sich die Ost-Genossen die Viktoria und ihren Streitwagen unter den Nagel gerissen, um den Adler vom Ehrenkreuz und das Eiserne Kreuz zu entfernen. Erst nach der Wende wurde alles wieder so hergerichtet wie bei Johann Gottfried Schadow – allerdings nicht von Noack, was den Senior noch heute sichtlich ärgert.

Dabei könnte sich Hermann Noack sen. getrost zurücklehnen und entsprechend dem Rheinischen Grundgesetz sagen: Man muss och jönne könne. Denn keine Gießerei hat so viele Spuren in Berlin hinterlassen wie Noack: Neben der Quadriga sind es insbesondere der „Big Butterfly“ von Henry Moore vor dem Haus der Kulturen, die Trauernde Mutter von Käthe Kollwitz in der Neuen Wache oder Willy Brandt von Rainer Fetting in der SPD-Zentrale, die den Noack’schen Gussstempel tragen, bzw. die „Goldelse“ auf der Siegessäule, die von Noack restauriert wurde. Und die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen.

Wer ob des Leistungsverzeichnisses glaubt, Noack sen. könnte ein Handworkaholic sein und keine Hobbys haben, der irrt gewaltig.  „Ich war schon immer ein begeisterter Segler“, bekennt er. Mehrere Segelboote nannte er sein Eigen – und nicht nur das: 1983 ist es sein Boot, das für Deutschland den Admiral’s Cup gewinnt, vor Italien und den Vereinigten Staaten.

Geht nicht gibt’s nicht – privat wie beruflich offensichtlich das Lebensmotto von Hermann III. Umso mehr hat er sich geärgert, dass er einmal, als Beuys ein Werk bei ihm fertigen lassen wollte, dies nicht konnte. Denn anfassen durften sie die Vorlage nicht, ein Torso oder Lehmklumpen mit Tüchern, wie Noack es beschreibt. „Damals ging das nicht, heute mit neuer Technik könnte es vielleicht klappen.“ Aber Scanner habe es seinerzeit noch nicht gegeben.

Überhaupt wird heute bei Noack mit modernster Technik gearbeitet. Und dass der Sohn, der anfangs eigentlich kein Interesse hatte und erst über den deutschen Maler und Bildhauer Rainer Kriester für die Gießerei begeistert werden musste bzw. konnte, den Betrieb in die richtige Richtung steuert, daran hat der Vater keinen Zweifel. Und dass es mit seinen beiden zehn- und elfjährigen Enkeltöchtern danach auch erfolgreich weitergeht, steht für den Senior ebenso fest. Die entsprechenden Gene sind für ihn bereits deutlich erkennbar.

Und so wird auch in Zukunft bei Noack im Grenzbereich zwischen Handwerk und Kunst gearbeitet. Um nicht nur mit einem Zitat zu beginnen, sondern auch zu enden, sei an dieser Stelle Johann Wolfgang von Goethe zitiert: „Vom Handwerk kann man sich zur Kunst erheben. Vom Pfuschen nie.“

Detlef Untermann

 

61 - Winter 2015