Nur kein Krauter sein

Vor knapp 40 Jahren hat er den Malerpinsel aus der Hand gelegt. Heute blickt er auf eine fast 40-jährige Firmengeschichte zurück: Günter Marotzke, dessen Firma schlicht „Die Berliner Maler“ heißt und eine der größten und kreativsten der Zunft ist. 

Das allgemeine Credo seines Malereibetriebs: „Mehr als Farbe“. Und dahinter verbergen sich folgende Prämissen: Schönheit in die Stadt bringen, zum Erhalt des Vorhandenen einen Beitrag leisten und Hygiene und Sauberkeit gewährleisten. Und der Betrieb scheint diesen Prämissen zur Zufriedenheit der Kunden zu folgen. Die Referenzliste ist beeindruckend; hier ein Auszug: Charité, Axel Springer, Staatsbibliothek, Allianz Repräsensationsgebäude Pariser Platz, Berliner Museen, Gasag, Vattenfall, Berliner Wasserbetriebe, Freie Universität Berlin, das Elefantentor im Zoo, Reichstag, Concord Hotel, Schadow-Haus, AOK, die Vivantes-Kliniken und abseits von den klingenden Namen viele Wohnungsbaugesellschaften und Hausverwaltungen. Überall schwingen die Pinsel der Marotzke-Maler mit. Und schon ganz falsch, das mit den pinselschwingenden Kollegen. Marotzke erklärt, dass sein Betrieb, einfach gesagt, darauf achtet, dass die Farbe effektiv eingesetzt wird, dass Schäden an der Wand erst behoben werden müssen, dass Fenster und Türen richtig schließen müssen, dass Schimmel und anderes entfernt werden sollte, bevor Farbe alles neu erscheinen lässt. Also Punkt zwei und drei seiner Prämissenliste müssen erfüllt sein, bevor die Schönheit erstrahlen kann. Das klingt komplex und gar nicht nach „Anstreicher“, wie es Otto Normalverbraucher bei einem Malereibetrieb im Kopf hat. Und Marotzkes Reaktion kommt beim Wort „Anstreicher“ prompt und impulsiv: „Das ist eine Beleidigung.“ Recht hat er, blickt man in seinen Malereibetrieb. In seinem 100-köpfigen Team sind mehrere Spezialisten, so ein Restaurator, der sich um das richtige Weiß für die Türen des Festsaals der Humboldt-Universität gekümmert hat, Fassadenspezialisten, sehr junge Meister und Baustellenleiter, nette Kollegen, die sich um Kunden kümmern, die einfach ihre Wohnung gestrichen haben möchten. Und ein weitsichtiger Chef sorgt auch stets für Nachwuchs in der Branche und im eigenen Haus. Weit über 100 Lehrlinge sind bei Marotzke bislang ausgebildet worden. 

An die 60 Baustellen hat Marotzke in der Stadt. Und was macht nun Marotzke selbst? Er ist das Kommunikationsgenie, aber offensichtlich keines von der Small-Talk-Sorte, sondern eines, dem man sofort glaubt, dass es sinnlos ist, den Fenstern noch eine neue Farbschicht zu verpassen, bevor sie nicht gründlich generalüberholt sind. Es ist diese Glaubwürdigkeit des Chefs, die die Firma so gut im Geschäft hält. Und diese Marotzke’sche Art erklärt sich vielleicht auch aus der persönlichen Lebensgeschichte des 64-Jährigen, der sportlich und charmant wirkt. Er ist Berliner, sogar ein gebürtiger, setzt er hinzu. Sein Vater war Tischler, seine Mutter Platzanweiserin im Kino und Hausfrau. Geboren wurde er in Lankwitz, seinen Hauptschul-Abschluss machte er in Steglitz. Dann eine Malerlehre und vier Jahre Arbeit als Geselle. Es war ein schöner Beruf, er habe es gern gemacht, erzählt er. Aber sich am frühen Morgen in ausgekühlten Bauwagen umziehen zu müssen, dass trübt schon die Freude. Marotzke malte und malte. Bis er eines Tages eine folgenschwere oder auch erleuchtende Begegnung während der Frühstückspause am Ku’damm hatte. „Mensch, Marotzke, was machst du denn hier“, begrüßte ihn sein einstiger Berufsschullehrer. Und der „Berlin Way of Life“ begann. Jener Berufsschullehrer erzählte ihm von Weiterbildungsmöglichkeiten, die der Staat förderte, der „Fachschule für Farben und Lacke“, an der man sich zum staatlich geprüften Techniker ausbilden lassen konnte. Marotzke wollte es sich beweisen und lernte fleißig. Nach dieser Zeit leitete er in einer Firma eine eigene Abteilung und war zuständig für alles, von der Akquise bis zur Abrechnung. Mehr Praxis ging nicht. Und Marotzke spürte sein besonderes Talent – die Aufträge ranholen. Der Gedanke an Selbstständigkeit pflanzte sich da schon in sein Hirn, aber dazu bedurfte es noch der Meisterausbildung. Gedacht, getan. Und mit 3 000 geborgten Mark von der Tante gründete er im Juli 1976 sein Ein-Mann-Unternehmen. Sein zweiter Mann war dann Günter Klockenberg, damals fest angestellt in einer anderen Firma. Doch Günter überzeugte Günter, bei ihm einzusteigen. Klockenberg ist heute Prokurist bei Marotzke. Aber Marotzke wollte schon damals mehr: „Kein kleiner Krauter sein“ und „Weg von der Wand“. Der 25-Jährige setzte sich ein Limit, wollte mit 30 nochmal prüfen, ob er überhaupt dazu tauge, eine Firma zu führen. Die Frist verstrich im Erfolgsrausch. Als er zehn Gesellen hatte, legte er den Pinsel aus der Hand und kümmerte sich vorwiegend um neue und alte Kunden. Die Tante bekam ihr Geld schnell zurück, heute macht Marotzke acht bis neun Millionen Euro Umsatz im Jahr. Natürlich musste er auch Lehrgeld zahlen. Das Privatleben leidet, wenn man mit seinem Betrieb verheiratet ist. Aber das konnte nicht ewig so gehen. Seit 22 Jahren ist er glücklich verheiratet und hat zwei Söhne. 

Es ist ihm gelungen, seinen Enthusiasmus auf seine Mitarbeiter zu übertragen. Das zeigt sich unter anderem an der langjährigen Betriebszugehörigkeit vieler, und er wählt seine Mitarbeiter sorgfältig aus. Schließlich, so sagt er lächelnd, plane er für die nächsten 40 Jahre. Man spürt in den Büros eine freundliche Atmosphäre, ein fast familiäres Klima, was sich auch in scheinbar kleinen Details zeigt. Marotzke ist von Hause aus Hertha-Fan, aber mit dem Mauerfall wuchs ihm auch der Osten zu – und Union-Fans. Tja, was macht da ein kluger Chef, er interessiert sich auch für Union und er schaltete sogar Werbung in der Alten Försterei. Gut zwei Drittel seiner Mitarbeiter kommen aus dem Osten Berlins und aus Brandenburg. Marotzke war von Anfang an entscheidende Schritte weiter als die Politik. Er zahlte gleiches Geld für gleiche Arbeit. All das macht Marotzke sympathisch und vor allem glaubwürdig. Da muss er sich als Kommunikationsgenie nicht verstellen – er ist einfach so – und das bringt den Erfolg. 

Martina Krüger

 

61 - Winter 2015