Urban Farmland

Auf dem Gelände der „Malzfabrik“ in Schöneberg baut die ECF Farmsystems GmbH (Eco Friendly) auf 1800 Quadratmetern die größte Aquaponik Farm Europas. Die Referenzanlage für ökologisch urbane Landwirtschaft produziert in einem wassersparenden Kreislaufsystem 30 Tonnen Buntbarsch und 35 Tonnen Gemüse jährlich. Die Fische liefern den notwenigen Dünger, nebenan im Gewächshaus gedeihen frisches Gemüse und Kräuter.

Aquaponik war ein Tüftler-Wort, ein Begriff aus Heften für Wissenschaft und Forschung, ein Laboratorium für Experimentierfreunde mit Glasröhren und Tageslichtlampen. Als im Haus am Waldsee 2013 eine solche Minianlage in die Designschau „Home of the Future“ integriert wurde, rückte das Spielerische schon ein Stück näher an den Alltag heran. Es dachten also Leute im Kunstraum über etwas nach, das gar nicht so realitätsfern war. In China und in New York sowie in Russland war Aquaponik schon längst oder gar historisch lange als ein produktiver Kreislauf von Fischaufzucht und Gemüseanbau bekannt. Aquaponik entwickelt sich rasant. Seit zehn Jahren gibt es ein gesteigertes Interesse und seit 2014 zum Beispiel ein mit sechs Millionen Euro gefördertes EU-Projekt am Leibniz-Institut für Fischzucht und Gewässer-ökologie, das Forschungsanlagen u. a. auch in Südchina betreibt. In Schweden und Asien suchen Architekten nach vertikalen Lösungen und wollen Farmhochhäuser bauen. In Chemnitz wird ein vierstöckiger Altbau umfunktioniert. Und nun das: Im Gewerbegebiet der einstigen Schultheiss Brauerei, auf einem der Höfe des zur Malzfabrik umbenannten Kreativstandortes, eröffnete im März Europas größte Aquaponikanlage und die beiden jungen Unternehmer Nicolas Leschke und Christian Echternacht müssen immer wieder erklären, was da eigentlich passiert: „Wir haben ein Hydroponik- mit dem Aquakultursystem verbunden. Wir füttern Fische mit biologischem Futter. Die Ausscheidungen der Fische werden in einem Filter mithilfe von Mikroorganismen in den Pflanzendünger Nitrat umgewandelt. Das nitratreiche Wasser wird in die Gewächshäuser geleitet. Dort gibt es weitere Kreisläufe zu den einzelnen Kulturen. Das ist dann die Hydroponik. Im erdfreien Anbau von Gemüse haben wir Tomaten, Gurken, Auberginen, Paprika. Wir ergänzen das Verfahren mit Anstautischen, in denen wir Salate und Kräuter produzieren“, so Leschke. Für interessierte Bürger gibt es täglich Führungen durch die Anlage, wo die ersten Gurken schon bald zu ernten sind. Es werden die Wetterstation erklärt und die Tröpfchenanlage ebenso gezeigt wie die Becken, in denen sich die Barsche tummeln. 

Alles garantiert ohne Antibiotika – „definitiv!“ –, sagt Christian Echternacht, um jeden Verdacht, dass es sich um eine Intensivzucht vergleichbar mit Hühnerfarmen handelt, zu zerstreuen. Die Einhaltung von Tierschutzrichtlinien wie stressfreies Schwimmen sei die Voraussetzung. Die Wahl fiel auf Buntbarsche, obwohl auch andere Süßwasserfische geeignet wären. „Zander nicht, der ist zu sensibel.“ Weiter wachsen 20 Gemüsesorten in der ausschließlich von Tageslicht beleuchteten Referenzanlage; „und wenn man alle Untersorten diverser Kressen mitzählt“, so Echternacht, „sind es 50“. Bisher sind etwa 400 Kulturpflanzen für Hydrokulturen geeignet. Aber es gibt auch Betreiber, die allein auf Salat oder Basilikum setzten. Das Team freut sich schon auf die ersten Gurken, „Die gibt es dann hier vor Ort als Gurken-Sandwiches oder sie werden durch den Entsafter geschickt und anschließend der Saft mit Prosecco zum Anstoßen kombiniert.“ 

Die beiden hatten ein Angebot vom Malzfabrik-Investor Frank Sippel, auf dem Gelände ihre Anlage zu installieren. Den Anfang machten vor drei Jahren ein Container-Aquaponiksystem  und Fischpatenschaften für 20 Euro. Zu den Visionen zumindest der Malzfabrikbetreiber gehörte eine Anlage auf dem Dach, wofür es schon eine Machbarkeitsstudie gibt. Obwohl Dächer allein wegen des Sonnenlichts geeignete Standorte sind, gibt es viele Faktoren – allein die Statik – die so ein Unterfangen verzögern können. Nicolas Leschke ist aber kein Mann, der wartet. Inzwischen wurde von dem Unternehmern ein Aquaponiksys-
tem auf das Dach eines Schweizer Gemüsegroßhändlers gestellt. 

Auf 1200 Quadratmetern werden dort Salatkulturen angebaut. Leschke ist es egal, ob auf dem Dach oder auf einem Gewerbebrachland. Seine Vision besteht darin, „Städtern einen Zugang zu nachhaltig erzeugten Lebensmitteln zu ermöglichen“. Es ginge ja auch nicht um die Lösung der Welternährungsprobleme, sondern darum, ernährungsbewussten Zeitgenossen, „die für Transparenz und Frische auch bereit sind zu bezahlen“, hochwertige saisonale und regionale Produkte anzubieten.   

Anita Wünschmann

 

62 - Frühjahr 2015