Das andere Schloss

Es ist die Kuppel. Die – besser gesagt: Deren Fehlen ist schuld daran, dass der Entwurf von Kuehn Malvezzi nicht in die eigentliche Wertung des Ende 2008 entschiedenen Wettbewerbs für das Humboldt-Forum eingegangen, sondern „nur“ mit einem Sonderpreis ausgezeichnet worden ist. Denn das wieder zu errichtende Stadtschloss, so stand es in der Auslobung, solle eine Kuppel erhalten – und der schwebende Baldachin, den Kuehn Malvezzi vorschlugen, galt für die Jury eben nicht als Kuppel.

Dabei wollten die Brüder Wilfried und Johannes Kuehn und ihre Büropartnerin Simona Malvezzi keineswegs gegen die Auslobungsbedingungen verstoßen. „Den Baldachin haben wir als zeitgenössische Form der Kuppel verstanden“, sagt Wilfried Kuehn. Früher habe die Kuppel das Dach über der Königskapelle dargestellt, jetzt aber werde ein Dach benötigt, „das die Idee der breiten Öffentlichkeit nach außen trägt“.
In der Tat ist der Begriff Schloss eigentlich irreführend: Das Humboldt-Forum, das nach dem Willen der Bundesregierung ab 2010 für 552 Millionen Euro in die Höhe wachsen soll, orientiert sich zwar äußerlich am 1950 gesprengten Stadtschloss der Hohenzollern, wird aber als Ausstellungsstätte hauptsächlich für die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin eine ganz andere Funktion haben. „Unser Entwurf“, betont Wilfried Kuehn, „sieht ein Museum vor und nicht eine Schlossattrappe.“

Dass das 2001 gegründete Büro von der Museumsfunktion ausgeht, überrascht nicht. „Museumsbau war von Anfang an unser Thema“, sagt Johannes Kuehn. „Wir haben ein originäres Interesse an Kunst.“ Der Umbau einer Brauerei für die Documenta in Kassel war 2002 das erste aufsehenerregende Projekt von Kuehn Malvezzi. 2003 gewann das Büro den ersten Preis für die Gestaltung des Vorplatzes der Berlinischen Galerie in Kreuzberg, und 2004 folgte die Sanierung der Rieck-Hallen am Hamburger Bahnhof für die Sammlung Flick.

Warum aber haben sich die drei – entgegen allen Unkenrufen, die rigiden ästhetischen Vorgaben der Auslobung machten das Projekt für innovative Büros völlig uninteressant – überhaupt am Wettbewerb für das Humboldt-Forum beteiligt? „Man muss bei jedem Wettbewerb gegen die Erwartungen entwerfen“, antwortet Wilfried Kuehn. „Die Erwartung des Auslobers entspricht nie der idealen Lösung. Es geht deshalb darum, auch auf eine falsche Frage die richtige Antwort zu finden.“
Mit diesem Ansatz war das Büro schon mit anderen Projekten erfolgreich. So gewann es 2008 den Wettbewerb für die Erweiterung des Museums Berggruen am Schloss Charlottenburg mit einem Entwurf, dem die Jury eine „klare und minimalistische Haltung in einer bewusst zeitgenössischen Architektursprache“ attestierte. Geplant ist eine pergolaartige Verbindung zwischen dem bestehenden Sammlungsgebäude und dem benachbarten Altbau, der künftig ebenfalls Werke der Sammlung Berggruen aufnehmen wird – wobei in diesem Gebäude keine grundlegenden Einschnitte vorgesehen sind. „Bei Umbauten“, bilanziert Johannes Kuehn, der jüngere der beiden Brüder, „besteht häufig ein wesentlicher Teil des Entwurfes darin, das Gebäude dadurch zum Sprechen zu bringen, dass es an spezifischen Stellen auf seinen ursprünglichen Zustand zurückgeführt wird.“

Schwieriger gestaltet sich die Aufgabe beim Kunstgewerbemuseum am Kulturforum, einem weiteren Wettbewerbserfolg des agilen Trios, der von 2010 an umgesetzt werden soll. Allerdings nicht in der ursprünglich vorgesehenen Form: Das gläserne Atrium, mit dem Kuehn Malvezzi die allgemein als unbefriedigend empfundene Eingangssituation verbessern wollen, wird nicht verwirklicht. Vermutlich wird sich die Aufgabe nun darauf beschränken, für eine neue Mode-Ausstellung optimale konservatorische Bedingungen zu schaffen.
Dabei will der ursprüngliche Wettbewerbsentwurf die von der Idee der Stadtlandschaft inspirierte Gestalt des Kulturforums nicht ignorieren – anders als ein vor Jahren vom damaligen Senatsbaudirektor Hans Stimmann vorgelegtes Umgestaltungskonzept. „Bauaufgaben erfordern eine situative Intelligenz“, sagt dazu Wilfried Kuehn. „Das heißt, dass man auf den Ort eingehen muss, statt Klischees zu erfüllen.“ Seine Bilanz der Stimmann-Ära fällt denn auch kritisch aus. Am Pariser Platz zum Beispiel sind seiner Ansicht nach die meisten Gebäude architektonisch misslungen, weshalb „trotz der klaren urbanen Form kein beeindruckender Platz“ entstanden sei.

Bei alledem ist unverkennbar, dass Berlin – „eine große Architekturaus-stellung, für die viele extreme Projekte geplant wurden“, wie Wilfried Kuehn sagt – auf das Architektentrio eine erhebliche Faszination ausübt. Dass die aus Hamburg stammenden Brüder Kuehn und die Italienerin Malvezzi die Hauptstadt zu ihrem Arbeitsmittelpunkt machten, hängt damit zusammen, dass sie die Nähe zu den hier lebenden Künstlern suchten. Dabei hat das Büro selbst maßgeblich dazu beigetragen, dass innerhalb weniger Jahre rund um den Hamburger Bahnhof ein veritables Kunstquartier entstanden ist: Als die drei den Mietvertrag für ihr Loft in der Lehrter Straße, wenige hundert Meter vom heutigen Hauptbahnhof entfernt, unterzeichneten, werkelte im Erdgeschoss des Gewerbegebäudes noch ein Stahlbaubetrieb. Heute sind Galerien auf dem Grundstück ansässig, in der Etage über Kuehn Malvezzi sitzen die international bekannten Architekten und Brad-Pitt-Freunde Graft, und auf der anderen Straßenseite, hinter der von Kuehn Malvezzi umgebauten Rieck-Halle, haben sich erst kürzlich mehrere Galerien niedergelassen.

Offenbar haben die drei also ein gutes Näschen für spannende Entwicklungen. Deshalb lässt es aufhorchen, dass sie derzeit für einen Mailänder Sammler und Investor am nördlichen Ende der Chausseestraße ein großes Kulturareal namens Micamoca planen. „Der Wedding“, sagt Wilfried Kuehn – und das klingt angesichts der derzeitigen Situation des sozial stark belasteten Stadtteils denn doch ziemlich provokativ –, „wird in Zukunft wichtige architektonische Kräfte entwickeln.“

Paul Munzinger

38 - Frühjahr 2009
Stadt