Faszinierend, diese Faszien!

Auf die Fitness-Industrie ist stets Verlass: Kaum haben wir die schrägen Bauchmuskeln gefunden und sind steile Hallenwände hochgeklettert, kommt ein neuer Trend. Jetzt trainieren wir unsere Faszien. Geht ganz einfach!

Ohne Faszien geht nichts im menschlichen Körper und dennoch waren sie erstaunlicherweise den meisten von uns bislang weitgehend unbekannt. Der Grad unserer Beweglichkeit, von Sofatier bis Yoga-Perfektionist, wird vom körpereigenen Netzwerk der Faszien mitbestimmt. Wer faul ist, viel Stress hat, jahrelang bewusst oder unbewusst Schonhaltungen einnimmt, dessen Faszien leiden. Sie sind beleidigt, bauen ihre Dehnbarkeit ab und ersetzen sie durch zähes Kollagen. Die Folge: Die Muskulatur wird ebenfalls weniger beweglich, der Bewegungsspielraum der Gelenke wird minimiert, das kann Schmerzen mit sich bringen. Neuerdings stehen Faszien im Rampenlicht. Wir sollen sie trainieren! Denn ohne sie würde der Körper, oh Schreck, einfach zerfallen. Wer sich nicht vorstellen kann, was Faszien sind, denke an ein Stück Fleisch. Die Veggie-Variante ist eine Orange oder Grapefruit. Faszien sind feine und zähe, bindegewebige Häute. Köche kennen sie vom Stück Fleisch, das sie umhüllen. Gulaschfleisch zum Beispiel hat schöne Faszien, Steaks haben sie auch. Sie hüllen die Muskeln ein und grenzen einzelne Muskeln voneinander ab. Und obwohl die meisten von uns bis vor kurzem nichts von ihnen geahnt haben, üben sie großen Einfluss aus. Ihre Spannung wird vom autonomen Nervensystem beeinflusst, wer zum Beispiel innerlich gelassen ist, dessen Körperspannung sinkt. Stress kann die Grundspannung der Faszien steigern. Wer sich gestresst fühlt und keine Ruhe findet, dessen Faszien (von lat. Fascia für „Band“ und „Bündel“) könnten unter Spannung stehen. Was man jetzt tun muss? Glücklich, wer seine Faszien entspannen kann!

Faszien umhüllen im menschlichen Körper jeden Muskel, jeden Knochen, alle Organe und Nerven. Sie können hauchdünn, 0,3 Millimeter oder einige Millimeter dick sein. Dehnen freut die Faszien, hält sie geschmeidig und unseren Körper in der Folge auch. Die gute Nachricht: Sie müssen nicht stundenlang trainiert werden, wer sie einmal richtig stimuliert, sorgt dafür, dass in den kommenden 72 Stunden neues elastisches Kollagen produziert wird. Faszien werden bei den meisten sportlichen Betätigungen mittrainiert, sie erzeugen durch Drehspannung Kräfte, die sie unverzüglich im Körper weiterleiten. Die Muskeln warten nur darauf, Input zu bekommen! Sie verstärken die Kraft der Faszien um ein Vielfaches, der Muskel wächst. Wenn der Körper sich teigig oder spröde anfühlt, leiden meistens auch die Faszien. Überbelastung mögen sie genauso wenig wie menschliche Faulheit und Bewegungsmangel. Neuerdings stehen die Faszien unter Verdacht, Mitschuld an Rückenschmerzen zu tragen, dann nämlich, wenn die Lendenfaszie, das ist die Umhüllung der unteren Rückenmuskeln, beeinträchtigt ist. Bandscheiben, so neue Forschungsergebnisse, sind nur für rund 20 Prozent der Rückenprobleme verantwortlich. Der neue „Schuldige“: Faszien. Die am besten trainierten Faszien haben vermutlich Kängurus und Antilopen, deren Achillessehnen haben eine bewundernswert hohe Elastizität, sie funktionieren wie Sprungfedern. 

Ein Beispiel für die Faszination unserer Faszien: Stellen Sie sich vor, Sie stehen mit Ihrem kompletten Körpergewicht auf einem Fuß. Ist er gesund und kräftig, passiert Folgendes: Das Fußgewölbe zeigt jetzt, was es kann, Ballen und Ferse bewegen sich durch das Gewicht leicht auseinander, das Fußgewölbe senkt sich ein wenig. Die Faszien werden gedehnt und danach geht der Fuß wieder in seine ursprüngliche Form zurück. Ein Gedankenexperiment: Stellen Sie sich einen menschlichen Körper ohne Muskeln, Organe und Knochen vor. Was unter der Haut übrig bleibt, ist eine milchige, weiße Hülle mit Einbuchtungen, in denen eben diese Muskeln, Organe und Knochen lagen. Kurz gesagt: Die Faszienhülle sorgt für die Gestalt des Menschen. Und jetzt wird trainiert!

Silvia Meixner

 

63 - Sommer 2015