Die Zukunft des Flughafengeländes Tegel ist spruchreif. Auch wenn der Startschuss für das Stadtentwicklungsprojekt an der Eröffnung des BER hängt, fest steht, der Norden Berlins soll Wissenschafts- und Technologiestandort nach Vorbild von Adlershof werden: eine Smart City.
Maximal sechs Monate, nachdem der BER im Süden Berlins in Betrieb gegangen sein wird (Futur II), wird der Flughafen Tegel in Reinickendorf schließen und ein 495 Hektar großes Gelände zu einem Industrie- und Technologiepark umgewandelt. Die Pläne für die Metamorphose sind nicht nur spruchreif, sondern sehr konkret. Es gibt einen Masterplan, eine Projektgesellschaft, Baurecht und Besiedler. In Tegel stehen also nicht nur die Jets, sondern auch die Stadtentwickler in den Startlöchern.
Die Beuth-Hochschule ist eine Fachhochschule am Leopoldplatz und platzt mit ihren 12 000 Studierenden aus allen Nähten. Mit 2 500 Studenten will sie im Jahr 2022 in das sechseckige Terminal A einziehen, das infolge der Überlastung des Flughafens seinerseits heute ebenfalls aus den Nähten platzt. Auf 19 000 Quadratmetern möchte sich die Hochschule mit ihrem Kompetenzcluster „Urbane Technologien“ einrichten und macht aus Meinhard von Gerkans Hexagon-Architektur ein modernes Laboratorium, den Nukleus des Industrieparks, das Nervenzentrum der „Urban Tech Republic“. „Wir passen hervorragend in das Terminal“, sagt Jenny Wieland von der Beuth-Hochschule. Das habe ein Gutachten zur Ermittlung des Flächenbedarfs 2012 ergeben.
Die „Urban Tech Republic“, das ist das Leitbild der zukünftigen Technologiestadt in Tegel. Als sich 2011 die Berlin TXL GmbH als Tochtergesellschaft der Wista Management GmbH aus Adlers-hof gründete, hat sie sich dieser Devise verschrieben. Man suchte nach einer Art Standortverfassung, sagt Peter Strunk von Berlin TXL, wobei wesentlich dabei der Gedanke an „Res Publica“ gewesen sei, eine öffentliche Sache daraus zu machen. Urbane Technologien sollen in Tegel nicht nur erfunden und produziert werden. „Die Menschen wollen das da auch ausprobieren“, sagt Strunk.
Tegel dürfte daher eine Smart City auch mit Erlebnisqualitäten werden. Was ganz analog verstanden werden kann: In der Mitte des Highflyers, der Auf- und Abfahrt zum und vom heutigen Hauptterminal, haben sich die Landschaftsarchitekten vom Atelier Loidl einen See ausgedacht. Bei der begrünten Seelandschaft handelt es sich technisch gesehen zwar um ein Regenwasserrückhaltebecken. Aber der
Bruch mit der heutigen tempo-befeuernden Prägung des Standorts könnte größer nicht sein. Man wird sich in TXL aufhalten und dort ankommen, ohne wegzufliegen. Und der Flughafentower wird zu einem Kletterturm umfunktioniert. Hängenbleiben, wird die neue Bestimmung sein. Über Heide- und Waldstreifen wird der Campus TXL (Beuth-Hochschule) an den umliegenden Park Jungfernheide und den Tegeler Stadtforst angebunden. Neben zwei großen Industriegebieten im Bereich der heutigen Start- und Landebahnen gibt es auch ein Gewerbeband und mischgenutzte Flächen. Ganz im Osten, nahe dem Kurt-Schumacher-Platz, entsteht sogar ein Wohngebiet mit 5 000 Wohnungen. Die Stadt wächst auf diese Weise in Richtung des neuen Campus.
Neben den Bewohnern des künftigen Wohnquartiers und den Studenten der Beuth-Hochschule rechnet die Berlin TXL mit circa 1 000 Unternehmen, die sich am Standort ansiedeln werden und mit bis zu 17 500 neuen Arbeitsplätzen. Die Erfolgsgeschichte der Wissenschaftsstadt Adlershof lässt die Prognosen gerechtfertigt erscheinen, dient sie doch als relatives Vorbild. Sind Technologiestandorte also austauschbar? Tegel fuße in seiner Idee auf Adlershof, sagt Peter Strunk. Doch anders als in Tegel, wo man sich für die Querschnittstechnologien, die gebündelten Technologien entschieden habe, beruhe Adlershof auf optischen Technologien. „In Adlershof sind uns die Technologien in den Schoß gefallen“, so Strunk. Um den Standort Tegel zu profilieren, schaue man eher nach London oder Barcelona. Dort gäbe es Wirtschaftsstandorte dieser Prägung schon. Berlin TXL könnte sie bald übertreffen. Denn 495 Hektar auf einen Schlag zu entwickeln, ist eine Gnade des Stadtwandels.
Der hat zunächst einmal seinen Preis. 19 000 Arbeitsplätze gehen dem Bezirk Reinickendorf nämlich verloren, wenn die Turbinen in Tegel 2017 ausrotieren und nach Schönefeld umziehen. Reinickendorf wird sich als Wirtschaftsstandort neu erfinden müssen. Oder als technische Republik.
André Franke