Musikalische Völkerverständigung

Berlin wird um eine Kultur-einrichtung reicher. Star-Dirigent Daniel Barenboim hat eine Akademie für junge Musiker aus dem Nahen Osten gegründet. Im Oktober soll der Konzertsaal, entworfen von Frank Gehry, im ehemaligen Magazingebäude der Staatsoper Berlin eröffnet werden.

Es fällt schwer, die Anfänge des Nahostkonfliktes herzuleiten. Seit über 100 Jahren wechseln Kriege mit zahlreichen bewaffneten Auseinandersetzungen ab, eine Lösung ist kaum noch vorstellbar.

Pianist und Dirigent Daniel Barenboim engagiert sich mit Musik für einen Dialog zwischen Israelis und Arabern. 

Gemeinsam mit dem 2003 verstorbenen bedeutenden amerikanischen Literaturtheoretiker Edward Said gründete er 1999 das West-Eastern Divan Orchestra. Said, der den arabischen Frühling nicht mehr erlebt hat, prägte wie kaum ein anderer arabischer Denker den Diskurs um die Beziehungen zwischen dem Osten und dem Westen. Er und Barenboim teilten die Vision vom friedlichen Zusammenleben der Völker im Nahen Osten. In Weimar gegründet und mit heutigem Sitz in Sevilla, besteht es zu gleichen Teilen aus israelischen und arabischen Musikern. 

Die Erkenntnis, dass Musik vermeintlich unüberwindbare Barrieren abbauen kann und die gemeinsame Arbeit den Musikern des Orchesters nur im Dialog möglich ist, hat Barenboim davon überzeugt, ein weiteres Projekt dieser Art aus der Wiege zu heben.

So entsteht derzeit die Barenboim-Said-Akademie. Im ehemaligen Magazingebäude der Staatsoper Berlin soll am 23. Oktober in der Französischen Straße Eröffnung gefeiert werden, und im Gegensatz zu manch anderem Bauprojekt in Berlin scheint dieser Termin auch verbindlich zu sein, denn bisher befinden sich die Bautätigkeiten im Zeit- und Budgetplan. 

Wo jetzt noch Baugerüste, nackter Beton und jede Menge Bauarbeiter die Szenerie bestimmen, wird bald der Pierre Boulez Saal, Glanzstück der Akademie und benannt nach dem jüngst verstorbenen französischen Komponisten, Dirigenten und Musiktheoretiker, 620 Besucher unterbringen können. Wobei die Anordnung und damit auch die Anzahl der Besucherplätze variabel sind. Der kalifornische Star-Architekt und Freund Barenboims, Frank O. Gehry, hat seine Arbeit pro bono zur Verfügung gestellt und setzt das Publikum sehr nah auf eine Teles-koptribühne rund um das Orchester, das in der Mitte spielt. Dafür mussten alle bis dahin noch vorhandenen Stockwerke entfernt und, da das Gebäude schon um die 60 Jahre alt ist, auch viel Bausubstanz erneuert werden. Die Grundstruktur des denkmalgeschützten Gebäudes, das Berlin der Akademie im Rahmen eines 99-jährigen Erbbaurechtsvertrags überlässt, bleibt jedoch erhalten, die Fenster können nach Bedarf verdunkelt werden. Die Akustik berücksichtigt die elliptisch in sich gedrehte Zuschauer-Empore, die ohne stützende Säulen auskommt.

Aber der Konzertsaal ist nur ein Teil des Gesamtkomplexes. Die Verwaltung der Akademie ist ebenfalls im Haus untergebracht und in unmittelbarer Nähe zum Eingang ist eine Cafeteria als Ort der Begegnung vorgesehen. Derzeit wird am Programm gefeilt; bis zu 100 Konzerte pro Jahr sind geplant. Gespielt werden sie von den Studenten der Akademie, zum Teil auch von renommierten Orchestern der ganzen Welt. Im Zentrum des Projekts aber stehen die Studenten und ihre Lehrer. Barenboim ist der Überzeugung, dass eine vertiefte Allgemeinbildung den Musikern ermöglicht, ihr Musizieren besser in die Geschichte ihrer Herkunft einzubringen. Ein Stipendium erlaubt den Studenten die volle Konzentration auf ihren Unterricht, der neben dem Musikstudium auch ein Studium Generale mit den Fächern Musikgeschichte, Literatur und Philo-sophie auf den Lehrplan bringt. Noch im Oktober dieses Jahres werden die ersten etwa 20 Studenten von circa 300 Bewerbern aus der nahöstlichen Konfliktregion ihre vierjährige Ausbildung in der Akademie beginnen, deren pädagogische und musikalische Leitung Daniel Barenboim innehat. Direktor der Akademie ist der ehemalige Staatsminister für Kultur und Medien, Michael Naumann, der das musikalische Zusammenspiel von israelischen und arabischen Musikern ebenfalls als wichtiges Zeichen für die Hoffnung auf Toleranz und Harmonie sieht. 

Den Studenten stehen 21 Probenräume zur Verfügung, schalldichte Zellen, in denen ungestört und mit der erforderlichen Lautstärke musiziert werden kann. Und auch nach Feierabend könnten sie weiter musizieren, denn sie wohnen gemeinsam in einem Haus. Finanziert wird das Projekt aus 20 Mio. Euro Bundesmitteln, der Rest in Höhe von 16 Mio. Euro wird durch Spenden bereitgestellt.

Annette Kraß

 

 

66 - Frühjahr 2016
Stadt