Berlin-Macher

Dass Berlin dazu verdammt ist, immerfort zu werden und niemals zu sein, wusste schon im Jahr 1910 der Publizist und Kunstkritiker Karl Scheffler. Ein oft zitierter Satz, der noch heute gilt. Umso mehr sind Menschen gefragt, die vor oder hinter den Kulissen etwas bewegen und die Stadt ein Stück voranbringen. Wir stellen sie in jeder Ausgabe vor, die Berlin-Macher. Diesmal Vera Gäde-Butzlaff.

Diese Frau ist wirklich beeindruckend: Da ist Vera Gäde-Butzlaff ganz wesentlich mit dafür verantwortlich, dass Europas größtes kommunales Stadtreinigungsunternehmen seine Belegschaft deutlich reduziert, und wird, als sie nach rund zwölf Jahren Vorstandstätigkeit – sieben davon als Vorsitzende – die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) Ende 2014 wieder verlässt, von den Mitarbeitern mit Standing Ovations und minutenlangem Beifall verabschiedet. Mittlerweile sitzt sie auf dem Chefsessel des größten kommunalen Gasversorgungsunternehmens Westeuropas und lenkt seit 1. März 2015 die Geschicke der Gasag Berliner Gaswerke Aktiengesellschaft.

Dabei wirkt die 61-Jährige auf den ers-ten Blick alles andere als knallharte Geschäftsfrau. Vielmehr sitzt einem da eine zierliche wie kultivierte Erscheinung gegenüber, die mit sanfter und ruhiger Stimme freundlich jede Frage beantwortet und gutmütig jeden Themenwechsel mitmacht. Allerdings besteht zu keiner Sekunde auch nur der Hauch eines Zweifels, wer in diesem Raum der Chef im Ring ist. Da mögen ihre Gesprächspartner auch körperlich noch so gewichtig sein, mit ihrem charmanten Wesen nimmt sie nicht nur ihre Gegenüber ein, sondern strahlt auch eine unschlagbare souveräne Authentizität und Autorität aus.

Wenn man sich den Lebenslauf von Vera Gäde-Butzlaff anschaut, wirkt dieser zunächst so unaufgeregt wie sie selbst. Geboren in Bad Gandersheim in Niedersachsen wächst sie in Wolfsburg auf und macht auf dem Heinrich-Nordhoff-Gymnasium ihr Abitur. Von 1973 bis 1982 studiert sie Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin und absolviert beim Kammergericht Berlin ihr Referendariat. Nachdem sie hiernach zwei Jahre als Regierungsrätin zur Anstellung beim Senator für Inneres in Berlin tätig ist, wechselt sie als Richterin ans Verwaltungsgericht Berlin. 1994 wird sie Vorsitzende Richterin des Verwaltungsgerichtes in Frankfurt (Oder).

Was bis hierhin noch als lupenreine – und damit eher langweilige – Juristenkarriere daherkommt, entwickelt sich nunmehr zur ziemlichen Erfolgsstory. 1998 gibt Vera Gäde-Butzlaff ihr sicheres Richteramt auf und geht in die eher unberechenbare Politik – und zwar als Ministerialdirigentin ins Minis-terium für Raumordnung, Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt. Dort wird sie nach nur drei Jahren Staatssekretärin für Umwelt und Landwirtschaft.

Eine Frage stellt sich wie von selbst: „Lieben Sie Herausforderungen?“ Die Antwort überrascht nicht wirklich: „Ja“, sagt die Gasag-Chefin und erinnert sich, dass damals niemand diesen Wechsel vom sicheren Richteramt in die wechselhafte Politik so richtig verstanden hat. Immerhin, das weiß sie, hätte dieses „Abenteuer“ auch schiefgehen können. Ist es aber nicht. Vielmehr hat sie sich als parteilose Juristin gegenüber den Fachleuten wie Ingenieuren und Chemikern im Ministerium durchgesetzt.

Sie bewirbt sich 2002 um den freien Posten im BSR-Vorstand, wird auch genommen und 2007 Vorsitzende. Damit ist sie die erste Chefin eines Berliner Landesunternehmens. Das Ergebnis ist bekannt. Als damals durchsickert, dass sie das Unternehmen verlässt, sagt IHK-Präsident Erik Schweitzer: „Frau Gäde-Butzlaff hat aus der BSR meines Erachtens das bestaufgestellte kommunale Entsorgungsunternehmen in Deutschland gemacht und zukunftsorientiert ausgerichtet.“ Die Gründe für ihr Ausscheiden bei der BSR: „Nach so vielen Jahren muss man sich selbstkritisch die Frage stellen, ob man noch neue Ideen einbringen oder nur noch das Erreichte verwalten kann“, beschreibt Vera Gäde-Butzlaff ihre damalige Gemütslage, die man ganz sicher auch so formulieren kann: Wo gibt es eine neue Herausforderung?

Die findet sich dann ziemlich schnell bei der Gasag, deren Aufsichtsrat die erfolgreiche Managerin einstimmig zur Nachfolgerin des vorzeitig ausscheidenden Stefan Grützmacher wählt. Ein großes Risiko ist das Gremium damit sicherlich nicht eingegangen. Denn viel besser vernetzt als sie kann man in Berlin nicht sein. Zudem hat sie Mut, auch den „Mut, mal einen Fehler zu machen“. Doch die Gefahr scheint nicht besonders groß zu sein, wenn man sich ihre bisherige Erfolgsbilanz ansieht.

Woher nimmt die Frau die Kraft, um der beruflichen Belastung, die ihre Position als Unternehmenslenkerin zwangsläufig mit sich bringt, gewachsen zu sein? „Die Familie ist als Ruhepol wichtig“, betont Vera Gäde-Butzlaff, die mit einem Lehrer verheiratet ist und mit ihm eine gemeinsame Tochter hat. Die ist mit ihren 26 Jahren zwar schon längst ausgezogen, lebt aber ebenfalls in Berlin, der Stadt, die es ihr angetan hat.

„Berlin ist faszinierend“, schwärmt die gebürtige Niedersächsin, „das war und ist für Studenten ein gutes Pflas-ter, rund um die Uhr geöffnet mit unterschiedlichen und weltoffenen Menschen.“ Hier gebe es „keine geschlossene Gesellschaft“, jeder Neuberliner werde freundlich aufgenommen und sofort integriert. Diese Attraktivität habe sich in der Welt herumgesprochen, sodass die Außensicht manchmal besser sei als die Innensicht. „Da kannste nich meckern“ sei eben das höchste Lob des Berliners. „Und wenn man so lange hier ist wie ich, hat man das auch schon ein bisschen drauf.“

Vor allem ist es das kulturelle Angebot, das es Vera Gäde-Butzlaff angetan hat: „Vom Kleinkunst-Theater in Neukölln bis zur großen Bühne in Mitte – hier gibt es alles“, schwärmt sie – und engagiert sich auch. Obwohl sie kein Vereinsmensch ist, hat sie als Liebhaberin von Tanztheater und Ballett den Vorsitz des Freundeskreises des Staatsballetts übernommen. Bemerkenswert ist es, dass sie sich auch für Eishockey, Fuß-, Hand- und Basketball sowie andere Sportarten interessiert und über aktuelle Ergebnisse wie Tabellenstände bestens informiert ist. Damit, dass die Gasag Sponsor der Eisbären Berlin ist, hat das weniger zu tun, als dass sie vielmehr auch diese Vielfalt liebt: „Ich könnte in Deutschland überall wohnen, Hauptsache, es ist Berlin!“

Detlef Untermann

 

 

66 - Frühjahr 2016