Auf nach Wannsee

Villen, Boote, reichlich Geschichte und natürlich das berühmte Strandbad – der Wannsee bietet sich gerade im Frühling für einen Ausflug ins Grüne an.

Schriftsteller müsste man sein. Dann würde man womöglich zu einem Arbeitsaufenthalt ins Literarische Colloquium Am Sandwerder 5 eingeladen – Lustwandeln im großen Garten und unverbaubarer Blick auf den Großen Wannsee inbegriffen. Schon Carl Zuckmayer schrieb in der 1885 errichteten Villa sein Lustspiel „Der fröhliche Weinberg“, und nach dem Zweiten Weltkrieg fanden darin legendäre Tagungen der literarischen Gruppe 47 statt – ungeachtet der Tatsache, dass ihr Mitglied Walter Höllerer das Gebäude als „grässlichen Kasten im Stil einer imitierten Ritterburg“ empfand. Seit 1962 dient es als Sitz des Literarischen Colloquiums; zu Lesungen und anderen öffentlichen Veranstaltungen ist jedermann zugelassen.

Die Villa der Literaten steht nicht alleine – das östliche Ufer des Großen Wannsees ist von riesigen Villen mit noch riesigeren Gärten gesäumt, so dass es mit Fug und Recht als allerfeinste Wohnlage von ganz Berlin gelten darf. Den Anfang der Bebauung von Wannsee (der Begriff meint nicht nur den See, sondern auch den Ortsteil) machte allerdings das Westufer. Dort ließ der Bankier Wilhelm Conrad 1870 eine Villa errichten. Ihm schwebte eine Sommerkolonie für das im Umfeld der Gründung des Deutschen Reiches wohlhabend gewordene Großbürgertum vor. Um dieses Ziel zu erreichen, kaufte er Land in großem Stil auf und sorgte auch gleich noch dafür, dass 1874 die Bahnstrecke von Berlin nach Potsdam (im Volksmund „Wahnsinnsbahn auf Conrädern“ genannt) in Betrieb ging.
Conrad bezeichnete die von ihm gegründete Siedlung als Colonie Alsen – was ein Schlaglicht auf die Denkweise des Großbürgertums in jenen Jahren wirft. Alsen war nämlich eine dänische Insel, die im deutsch-dänischen Krieg von 1864 an Deutschland ging. Den preußischen Triumph feierte Conrad auch, indem er einen Bronzeabguss des Flensburger Löwen herstellen ließ, dessen Original einst nach einem Sieg der Dänen über deutsche Truppen geschaffen worden war. Das gewaltige Tier steht heute auf seinem Sockel am Platz am Heckeshorn und scheint verträumt auf den Wannsee zu blicken.

Das Kalkül des kühnen Kolonisten ging auf: Bald ließen sich Bankiers, Unternehmer und Künstler in der Colonie Alsen nieder. Einer von ihnen war der Maler Max Liebermann, der sich 1909 in der Colomierstraße vom Architekten Paul Baumgarten eine Villa errichten ließ. Bis zu seinem Tod 1935 verbrachte Liebermann die Sommer dort und ließ sich vom großzügigen Garten zu zahlreichen Gemälden inspirieren. Nachdem die Liebermann-Villa jahrzehntelang als Krankenhaus und Vereinshaus eines Tauchclubs gedient hatte, ist sie seit 2006 als Museum der Öffentlichkeit zugänglich. Direkt daneben, Am Großen Wannsee 40, befindet sich in einer weiteren Villa der Kunstsalon Berliner Secession, in dem der Sammler Jörg Thiede Werke von Walter Leistikow und anderen präsentiert.

An das düsterste Kapitel der deutschen Geschichte erinnert die Villa Am Großen Wannsee 56-58, die 1914/15 für den Unternehmer Ernst Marlier errichtet worden war. In ihr fand am 20. Januar 1942 die Wannsee-Konferenz statt, auf der führende Nationalsozialisten die organisatorische Durchführung des Holocaust berieten. Ein täglich geöffnetes Museum informiert über die Konferenz und die Hintergründe.
Dass zahlreiche Nationalsozialisten und NS-Institutionen ihren Sitz am Wannsee hatten, mag man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Zu idyllisch wirkt die Szenerie mit ihren zahlreichen Wassersportvereinen und Bootswerften, die noch heute in den repräsentativen Häusern am Ufer residieren. Vom Hafen am Bahnhof Wannsee aus verkehren in der Anfang April beginnenden Saison die Schiffe der Reedereien, mit denen man stundenlange Ausflüge durch das Berliner Umland unternehmen kann. Und dann gibt es natürlich noch das Strandbad Wannsee, das 1907 eröffnet wurde und später durch Cornelia Froboess‘ Hit „Pack die Badehose ein“ populär wurde. Ende der zwanziger Jahre ließ Baustadtrat Martin Wagner die terrassenförmigen Umkleide- und Restaurantbauten errichten, die in den vergangenen Jahren saniert worden sind.
Auch an Ausflugslokalen herrscht kein Mangel. Wiederaufgebaut werden sollen demnächst die Wannsee-Terrassen, die 2001 einem Brand zum Opfer fielen. Ohnehin wird erstaunlich viel gebaut: In der Colonie Alsen erhebt sich zum Beispiel eine neue Wohnsiedlung mit kubischen Formen, die das Petruswerk errichten ließ. Die Apellasbauwert-Gruppe realisiert bis 2011 die 55 Millionen Euro teuren Wannseegärten – und zwar auf dem Gelände, auf dem jahrzehntelang der Orden der Salesianer das Don-Bosco-Kinderheim betrieb. Als er dies nicht mehr finanzieren konnte, verkaufte er das Areal an den Bauträger.

Nicht versäumen sollte man, bei einem Ausflug nach Wannsee dem am Beginn der Bismarckstraße gelegenen Grundstück am Kleinen Wannsee einen Besuch abzustatten. Dort erinnert eine Gedenktafel an den Dichter Heinrich von Kleist, der hier am 21. November 1811 zuerst seine Gefährtin Henriette Vogel und dann sich selbst erschoss. Wer da auf trübe Gedanken kommt, vertreibt diese am besten bei einem kühlen Getränk – wenige Meter entfernt lädt Loretta am Wannsee, ein traditionsreicher Biergarten, zum Verweilen ein.

Emil Schweizer

38 - Frühjahr 2009