Schönheit mit Phi

Das Museum für Kommunikation Berlin untersucht mit der Ausstellung „Göttlich Golden Genial“ die „Weltformel Goldener Schnitt“. Die Mathematiker haben übernommen. Nämlich die geometrische und rechnerische Durchdringung des Schönheitsphänomens. Kann das möglich sein, eine „Weltformel“ für Schönheit, ein göttliches Prinzip, das über alle Kulturen hinweg das subjektive Schönheitsempfinden um eine allgemein gültige Konstante kreisen lässt? Ganz entgegen dem Bonmot: „Schönheit entsteht im Auge des Betrachters“. Oder wird mit der irrationalen Zahl Phi 1,618 und der Teilungsproportion ein naturgegebenes Phänomen oder eben Strukturgesetz beschrieben, das in einem dynamischen Wechselspiel zu den persönlichen Empfindungen steht und es uns leicht macht, im interkulturellen Dialog zur Übereinstimmung darüber zu kommen, was gefällt.

 Es ist auch nicht gesagt, dass die fantastische geometrische Außenhaut einer Ananas oder die Anordnung von Sonnenblumenkernen in ihrem bogenförmigen Wachstumsraster allenthalben als schön empfunden werden. Besonders und rätselhaft, ja. Bio-logisch! Aber vielleicht auch einen Tick zu streng, zu kalkuliert. Aber hat nicht Leonardo da Vinci Werke geschaffen, die weltweit von Touristen bestaunt werden ob ihrer Schönheit auf der Basis des Goldenen Schnitts?

Lieselotte Kugler schreibt im Katalog zur Ausstellung: „Wäre das Leben nicht langweilig und uninteressant, wenn alles nach einer einheitlichen Formel gestaltet wäre? Wo bliebe die überraschende ästhetische Erfahrung, wo blieben die Spannungsmomente und die Kontraste beispielsweise bei der Kunstbetrachtung? Sollte alles auf diese harmonische Proportion ausgelegt sein?“ Die Ausstellung ist ein interdisziplinäres Projekt, vielleicht ein Essay, mit dem das Wohlfeile der göttlichen Proportion „Goldener Schnitt“ anhand von 250 Exponaten aus Architektur, Kunst, Design, Natur und Musik untersucht wird. In sieben Themenkabinetten zu Geschichte, Mythos und Anwendung wird das Funktionieren der „göttlichen Teilung“ sichtbar gemacht, bestätigt, hinterfragt und zur Selbsterkundung freigegeben: Bin ich nach diesem klassischen Teilungsmaß schön? Sind meine Proportionen ideal? Schlummert zumindest hinsichtlich der Flächen und Winkel von Stirn, Wangen, Lippen und Brauen in mir eine Marylin Monroe? Diesen Fragen kann man mit einer Rasterschablone nachgehen und die Schau mit Frohsinn oder dem Wunsch nach einem begabten Schönheitschirurgen verlassen. Besser man erinnert sich ganz schnell wieder an den Gedanken: Schönheit ist eine kulturelle Variable und obendrein vom Betrachter abhängig. Der Künstler Jo Niemeyer schuf mit „Infinity“ ein kinetisches Bild aus zwei Elementen, deren eines sich um den Faktor Phi, also um 1,618, bewegt. Die Bildmaschine mit je einem roten und schwarzen Balken vermag unendlich viele, sich nicht wiederholende Konstellationen im Goldenen Schnitt zu produzieren.

Die Analyse universeller Schönheit und deren Objektivierung, also Mess- und geometrische Konstruierbarkeit, findet sich bereits in Aufzeichnungen Euklids („Elemente“ des Euklid um 300 v. Chr.) und hat vermutlich noch älteren Ursprung. Die Faszination an messbaren Einsichten und das Bemühen um die Entschlüsselung der Welträtsel ist ja nicht nur bis heute nachvollziehbar, sondern wirkt vor allem als ein Zukunftsgenerator. Im aufgeklärten bürgerlichen 19. Jahrhundert erreichte die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Goldenen Schnitt als Schönheitsformel einen Höhepunkt; fast erwuchs daraus eine Hysterie, so zeigt es die Exposition: Der Goldene Schnitt, die Goldene Zahl, der Goldene Winkel (etwa 137,5°) wurden zur universellen Konstante des Harmonischen in Natur und Kunst, Architektur und Kunsthandwerk erhoben. Da versteht sich von selbst, dass man auch entsprechende Messinstrumente – den Goldenen Zirkel – entwickelte und auf Teufel komm raus alles untersuchte, was dem Auge bislang als wohlgefällig erschien, selbst ein Kuheuter. Die Logik des Harmonischen, so wird in der Gegenwart weiter erkundet, erstreckt sich auf die Funktion von schwarzen Löchern, die Umlaufbahn von Planeten und zeigt sich im Wachstum von Kristallen. Sie dient offenbar nicht allein dem Gefallen, sondern ist Ausdruck einer funktionalen, optimalen Balance und verdient allein daher Aufmerksamkeit.

Mit blank polierten Skulpturen eröffnet die Schau. Das Maß der Polyeder wurde durch Transformation aus Albrecht Dürers „Melancholia“ entnommen. Eine zur Pyramide arrangierte Wunderkammer zeigt Naturgebilde, etwa ein Turboschneckengehäuse mit perfekten Spiralen, einen zwölfseitigen Zauberwürfel und andere Artefakte. Eine gehäkelte Ananas verweist mit aufgestickten Zahlen auf die mit dem Goldenen Schnitt in Zusammenhang stehende Fibonacci-Folge, wie sie auch für die Anordnung der Schuppen bei Tannenzapfen oder für die Blätter einer noch jungen Rose zur mathematischen Beschreibung der „Selbstähnlichkeit“ ihrer einzelnen Elemente gültig ist. In dieser Reihe, die nach dem italienischen Mathematiker Leonardo da Pisa benannt ist, entsteht die jeweils folgende Zahl aus der Addition der beiden vorhergehenden. Bis 13 ein leichtes Spiel! Von der Ananas und den ernsten wie augenzwinkernden Kunstwerken, die sich mit der Schönheitslehre befassen zu Le Corbusiers Proportionssystem „Modulor“. Sein System verbindet den Goldenen Schnitt mit menschlichen Maßen, mit Zoll und Metern und fand mit der Wohnmaschine in Marseille, der „Unité d’Habitation“, eine erste praktische Anwendung. Mit dem Modulor wurde der Versuch unternommen, eine wiederholbare Proportion, eine Balance aus Funktion und Harmonie für den Massenwohnungsbau des zwanzigsten Jahrhunderts zu entwickeln, die heute ebenso wiederentdeckt wie umstritten ist.

Ob Speiseset oder Tonfolge, Lampenschirm oder der vermeintlich optimale Bildausschnitt beim Foto. Psychologische Tests haben bestätigt, dass viele Menschen auf das Maß des Goldenen Schnitts mit positivem Gefühl reagieren und 30 Schüler einer Berliner Designschule setzen sich in 15 Werken aus den Bereichen Mode-, Grafik-, Foto- und Produktdesign sowie 3-D-Animation mit diesem Phänomen auseinander. 

Der Goldene Schnitt ist dennoch nicht alles. Auch andere, etwa durch Produktionsprozesse bedingte, Formate prägen unsere Wahrnehmung. Vom DIN-Format bis zur Bierkiste: Im Themenbereich „Raster und Normen“ begegnet der Besucher anderen Proportionen, die auf die Wahrnehmung einwirken. 

Anita Wünschmann

 

Information

Ausstellung: „Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt?“
noch bis 26. Februar 2017 im Museum für Kommunikation Berlin, Leipziger Straße 16, 10117 Berlin-Mitte

 

68 - Winter 2016
Kultur