Streng limitiert

Singapur gilt als als eine der reichsten Metropolen der Welt. Und als die Stadt mit der höchsten Golfplatz-Dichte ganz Südostasiens. Doch damit wird es wohl in ein paar Jahren vorbei sein. Denn der Stadtstaat leidet chronisch unter Platzmangel. Für etliche traditionsreiche Golfclubs hat der Countdown schon begonnen. 

„In the long run“, auf lange Sicht also, da ist sich Stanley Ho sicher, hat er alles richtig gemacht. Dabei wurde der erfahrene Golfmanager von etlichen Kollegen beinahe mitleidig belächelt, als er vor ein paar Jahren den altehrwürdigen Singapore Island Golf Club verließ, um die Verantwortung für den noch jungen Marina Bay Golf Club zu übernehmen. In den Augen vieler Branchenkenner war das nicht unbedingt eine Verbesserung. Unter der heißen Sonne Singapurs gibt es etliche Golfplätze, die tagsüber – ganz objektiv gesehen – schöner und deutlich renommierter sind als der förmlich dem Meer abgerungene Newcomer unter den derzeit 13 Klubs des Stadtstaats vor der Südküste Malaysias.

Wenn es jedoch Nacht wird und Süd-ostasiens pulsierendste Weltstadt ihre Festbeleuchtung einschaltet, wird eine Golfrunde bei Stanley Ho zum sensationellen Großereignis für die Sinne. 

Als einziger Club der „Löwenstadt“ bietet Marina Bay dreimal wöchentlich Nachtgolf an bis halb elf. Zahlreiche Scheinwerfermasten sorgen für gleißendes Flutlicht auf allen 18 Bahnen –
fast, als wäre der nächtliche Golf-Parcours der kleine Bruder des einzigen Formel-1-Nachtrennens der Welt, das seit 2008 jeweils an einem September-Wochenende die Marina Bay Area gleich nebenan in ein dröhnendes Motodrom verwandelt. 

In den Abendstunden, in denen die glitzernde Wolkenkratzer-Skyline Singapurs ihre ganze verführerische Pracht entfaltet, ist der flache Golfplatz am Rande des ehemaligen Hafenbeckens im modernsten und besonders bei Touristen beliebten Viertel der Fünfeinhalb-Millionen-Stadt einfach „the place to be“. Von den welligen, gepflegten Fairways aus erscheinen die futuristischen Prachtbauten zum Greifen nah: das Marina Bay Sands Hotel mit dem üppig bepflanztem Sky Garden und dem 150 Meter langen größten Rooftop-Pool der Welt in 200 Metern Höhe, das einer geöffneten weißen Lotusblüte nachempfundene Artscience Museum, die angestrahlten stählernen „Super Trees“ der Gardens by the Bay und das 165 Meter hohe Riesenrad „Singapore Flyer“ ziehen, nur wenige Driver-Schläge entfernt, die Aufmerksamkeit der Nachtgolfer immer wieder auf sich. „Forget about your score, when you play Marina Bay at night“, sagt Stanley Ho.

Tagsüber, im strahlenden Licht der Tropensonne in Äquatornähe, kann Marina Bay freilich mit den großen, aber fast ausnahmslos privaten und damit für Greenfee-Spieler ohne spezielle Verbindungen unzugänglichen Parklandplätzen des Inselstaats, wie Laguna National, Tanah Merah, Keppel, Raffles, Sembawang, Orchid, Jurong oder Singapore Island, nur bedingt mithalten. Dem schön zu spielenden, aber in weiten Teilen schattenlosen einzigen echten Public Golf Course Singapurs möchte man noch etliche Jahre üppigen tropi-schen Wachstums wünschen. Doch Zeit ist das, was der Marina Bay Golf Club am wenigsten hat. 2006 entstanden, hat der öffentliche Golfplatz, wie Stanley Ho achselzuckend bestätigt, fast zwei Drittel seiner kurz bemessenen Existenz bereits hinter sich. Denn 2024 ist das Ende von Marina Bay, das ist regierungsamtlich beschlossene Sache.  Bis dahin, so die Kalkulation von Singapurs Städtebauern, ist der Boden auf den durch Aufschüttungen dem Meer mühsam abgerungenen rund 80 Hektar Neuland, auf denen sich der MBGC als vorübergehender Nutzer ausbreiten durfte, fest und stabil genug für den eigentlichen Zweck: den Bau von Hochhäusern mit Tausenden Wohnungen in einem komplett neuen Stadtteil. 

Beschlossene Sache ist allerdings auch, dass die clubfreien Golfer und Greenfee-Spieler dann eine neue Heimat bekommen. Einer der alteingesessenen Privatclubs wird per Regierungsdekret seinen Status verlieren und in einen neuen Public Golf Course umgewandelt. Und das wird vergleichsweise noch ein Glücksfall sein. Denn von den derzeit 13 Golfclubs mit ihren insgesamt 20 Plätzen in Singapur, heißt es in Insiderkreisen,  werden in acht bis zehn Jahren voraussichtlich nur noch acht übrig bleiben. Für den Rest dürfen ab sofort Wetten angenommen werden, wann die Bulldozer und Bagger anrollen, um die Greens und Fairways in neue Wohngebiete zu verwandeln. Als ersten erwischen wird es möglicherweise den traditionsreichen, 1904 gegründeten Keppel Club am südlichen Ufer des Stadtteils Queenstown. Denn dessen Land-Lease-Vertrag läuft 2021 ab und wird aller Voraussicht nach nicht verlängert – ebenso wie wenig später für den Orchid Golf Club im Nordteil der Insel. 

Das wirtschaftlich überaus erfolgreiche Singapur schlägt in Sachen Sauberkeit, Sicherheit, Lebensstandard, Umweltschutz, Bildungsniveau und niedriger Kriminalitätsrate sämtliche Nachbarstaaten um Längen. Vielen in Asien, aber auch darüber hinaus,
gilt der kleine Stadtstaat geradezu als Vorzeigeland. Freilich hält die Regierung diesen Schmelztiegel der unterschiedlichsten asiatischen Kulturen und Religionen seit fünf Jahrzehnten mit ausgesprochen autoritärer Hand zusammen – und mit Methoden, die nach liberalen mitteleuropäischen Maßstäben grenzwertig sind. So bestimmen beispielsweise streng limitierte Lease-Verträge das Leben der Bürger Singapurs wie wohl in kaum einem anderen Land: Privates Immobilieneigentum – in etwa auf dem Preisniveau deutscher Großstädte wie München oder Hamburg – fällt grundsätzlich nach 99 Jahren zurück an den Staat. Autos kosten nicht nur aufgrund einer 175-prozentigen Importsteuer geradezu abenteuerliche Summen. Wer privat oder auch als Taxifahrer einen Pkw kaufen will, muss erst vom Staat ein Certificate of Entitlement (COE) erwerben, dessen Preis, entsprechend der saisonalen Nachfrage, alle zwei Monate von den Behörden neu festgelegt wird und locker bei 60000 Singapur-Dollar (40000 Euro) liegen kann. 

Obwohl auf diese Weise der Kauf schon eines Kleinwagens problemlos um die 120000 Euro verschlingen kann, muss für jedes Auto nach zehn Jahren ein neues COE erworben werden, das dann meist in keinem vernünftigen Verhältnis zum Restwert des Wagens steht. Die meist gewählte Alternative: der „Eigentümer auf Zeit“ gibt den Wagen für ein Spottgeld an den Staat ab, der ihn dann verschrottet oder ins Ausland verkauft – eine drakonische Methode, die jedoch bewirkt, dass Singapur kaum Verkehrsstaus und keine Luftverschmutzung durch alte automobile Dreckschleudern kennt: Auf Singapurs Straßen verkehrt kaum ein Auto, das mehr als eine Dekade alt ist.

In der Logik derart strenger Limitierungen jeglichen Privatbesitzes ist auch die Nutzungsdauer für Golfplätze und andere Sportanlagen stets behördlicherseits begrenzt, mal auf 20, mal auf 30 oder noch mehr Jahre – förmlich immer und überall läuft ein Countdown ab in Richtung Zero.

Hintergrund für die allenthalben spürbaren strengen Limitierungen ist die permanente Platznot in Singapur. Sie ist das allgegenwärtige und stetig sich verstärkende Hauptproblem des Miniaturstaates – und das, obwohl Singapurs Territorium seit der Unabhängigkeit vor über 50 Jahren beständig wächst. Damals, 1965, maß die zuvor zum britischen Kolonialreich gehörende Insel ziemlich genau 581 Quadratkilometer; seither ist das Staatsgebiet um rund ein Viertel gewachsen, auf rund 718 Quadratkilometer. Und die Landgewinnung der kleinen, aber feinen Republik geht weiter: Unablässig wird an diversen Stellen das Meer Stück um Stück zurückgedrängt. Das Erdreich wird zum Teil vom Meeresboden selbst hochgebaggert, zum Teil herbeigekarrt von ein paar Hügeln im Inselinnern oder auch importiert aus den Nachbarländern Malaysia und Indonesien. Bis 2030 soll Singapurs Territorium auf gut 800 Quadratkilometer anwachsen. Selbst dann wird Singapur immer noch um gut 90 Quadratkilometer kleiner sein als das Stadtgebiet von Berlin; gleichzeitig zählt es jedoch rund zwei Millionen mehr Einwohner als die deutsche Hauptstadt. Zwar besteht nach offiziellen Angaben die Hälfte des kleinen Inselstaats aus Grünland – aus zu Naturschutzgebieten erklärten Mini-Dschungeln, in denen man tatsächlich noch Affen, Lemuren, Warane und Ameisenbären in halbwegs freier Wildbahn erleben kann, und rund 300 kleinen und größeren Parks wie dem 150 Jahre alten Botanischen Garten, der auch den National Orchid Garden einschließt und 2015 zu Singapurs einziger UNESCO-Weltkulturerbe-Stätte erklärt wurde. Und in seiner Platznot hat Singapur längst begonnen, den Dschungel mitten in die Stadt zu holen und das Grün in die Höhe zu stapeln, wie am Parkroyal Hotel in der
Pickering Road am Rande der Chinatown, an dessen vielfach durch-
brochener, verwinkelter Glasfassade tropisches Grün auf sieben oder acht Ebenen wuchert – ein Dschungelbiotop mit Pools und Wasserfällen inmitten des dichtesten Stadtverkehrs. Da Golfplätze schlecht stapelbar sind, wird der raumgreifende Freizeitsport zwangsläufig zu den Verlierern dieses andauernden und zunehmend dramatischer werdenden Platzverteilungs-Kampfes zählen. Singapurs Fairways geht es wie den Lemuren und Ameisenbären in den verbliebenen Mini-Dschungeln der Insel: Sie sind keine komplett vom Aussterben bedrohte Rasse, doch ihre Population wird mittelfristig deutlich schrumpfen. So manche Prunkvilla – Singapur zählt weltweit zu den Staaten und Städten mit der höchsten Millionärsdichte – wird schon bald ihren beschaulichen Ausblick auf die topgepflegten Grünflächen eines benachbarten Golfplatzes einbüßen. Es sei denn, der Eigentümer zählt zu dem kleinen auserwählten Kreis der Megareichen, die sich ein Domizil auf der Insel vor der Insel leisten können. „Wenn Sie dieser Straße dort rechts folgen, und Sie sehen irgendwo einen weißen Rolls Royce in der Einfahrt einer Villa stehen“, verrät der unaufhörlich plaudernde Taxifahrer auf dem Weg zum Sentosa Golf Club, „dann haben Sie das Zuhause von Jackie Chan gefunden.“ Es ist nicht schwer zu erraten, weshalb sich der chinesische Filmstar ausgerechnet auf dem durch einen schmalen Meeresarm von der Hauptinsel getrennten Mini-Eiland Sentosa seinen Glaspalast bauen ließ – da, wo die Immobilienpreise jegliche Bodenhaftung verloren haben und bei geschätzt rund 15 Millionen Euro aufwärts beginnen sollen. Zwar ist das 500 Hektar große Inselchen als „Fun-Island“ bekannt, als ein asiatisches Disneyland voller Nervenkitzel-Attraktionen für Adrenalin-Junkies aus ganz Südostasien. Doch die komplette Osthälfte von Sentosa bietet gediegene Abgeschiedenheit und „splendid isolation“ für einige wenige Superreiche sowie die Mitglieder und Gäste des Sentosa Golf Club mit den beiden Meisterschaftsplätzen Serapong und Tanjong. Angesichts der strikten „private members only“-Politik der meisten Golfklubs in Singapur würde man sich nicht wundern, wenn das VIP-Refugium im Ostteil von Sentosa Island ähnlich hermetisch abgeriegelt wäre wie der Goldschatz im amerikanischen Fort Knox. Doch das Gegenteil ist der Fall: Den Status seines Sentosa Golf Club bezeichnet General Manager Andrew Johnston als „semi-private“. Der Grund: Die Vergnügungs- und Erholungsinsel gehört komplett dem Staat, und eine Nutzungsänderung ist wohl für alle Zeiten ausgeschlossen. Zwar endet der aktuelle Land-Lease-Vertrag für das Gelände des Serapong-Platzes im Jahr 2030, und der Kontrakt für den – gerade völlig neu gestalteten, erst seit November 2016 wieder bespielbaren – Tanjong-Platz läuft laut Dokument 2040 aus. Aber Andrew Johnston hat keinerlei Zweifel daran, daß Sentosa unter allen Golfanlagen Singapurs die mit der sichersten Bestandsgarantie ist. Und dasselbe gilt für seinen Job als GM. Der aus Jupiter in Florida stammende Manager und Golfplatzarchitekt, der sein Handwerk bei den Altmeistern Arnold Palmer und Fred Couples  lernte und über Stationen auf Hawaii und in Australien in Singapur landete, hat vor zehn Jahren den Serapong-Course in einen echten, langen Championship-Platz mit vergrößerten, schön ondulierten Grüns und insgesamt 120 teils mörderischen Bunkern verwandelt und jetzt auch dem Tanjong-Platz seinen Stempel aufgedrückt. Dass der Sentosa Golf Club im vorigen Winter erstmals unter die „100 greatest golf courses of the world“ gewählt wurde, ist wohl das Verdienst von Andrew Johnston, der seinen Gästen „an 365 Tagen im Jahr Turnierstandard und Greens mit Championship-Speed“ verspricht. „Wir glauben nicht an Billig-Golf“, sagt er. Das bestätigt ein kurzer Blick in die Preisliste. Eine Mitgliedschaft im Sentosa Golf Club kostet für in Singapur lebende Ausländer – die immerhin ein gutes Drittel der rund 1500 resident members ausmachen – stolze 280000 Singapur-Dollar oder 185000 Euro. Und wer als Golftourist gegen Greenfee eine gepflegte Runde auf dem Serapong-Platz drehen möchte, wird wochentags mit rund 270 Euro und am Wochenende mit 360 Euro zur Kasse gebeten. Gut 90000 verkaufte Greenfee-Golfrunden im vergangenen Jahr sind allerdings Beweis genug, daß die „anspruchsvolle Preispolitik“ auf Sentosa Island auch bei den Stopover-Gästen durchaus nicht als abschreckend empfunden wird. 

Wer es etwas lockerer und entspannter angehen will, ist vielleicht doch bei Stanley Ho und seinem Marina Bay Golf Club besser aufgehoben. Bei ihm kostet die Golfrunde, inklusive GPS-Buggy, wochentags sehr zivile 86 Euro. Und für das unvergessliche Nachtgolfen erhebt er gerade einmal 18 Euro Aufschlag – Public Golf, wie es im Buche steht. Allerdings: Wer bei Stanley Ho vor der spektakulären Nachtkulisse der Marina Bay einmal den Golfschläger schwingen möchte, sollte sich für den Flug nach Singapur nicht mehr allzu viele Jahre Zeit lassen. Der Countdown läuft.

Wolfgang Weber

69 - Winter 2017
Sport, Reise