Aufbruch nach oben

Berlin ist eine Flächenstadt, die sich in den letzten zwanzig Jahren vor allem auf das Zusammenwachsen aus zwei Teilen konzentriert hat. Es steht hier und da ein hohes Gebäude, eine markante Skyline aber erwächst daraus nicht. Es gibt den Fernsehturm und einen Rundum-Überblick über die Stadt mit ihren Achsen, Quartieren und einzelnen Zahnstochern. Ansonsten fehlt die freie Sicht, etwa von einem entfernteren Ufer. Der Stadtflaneur steht schon immer mit der Nase dicht an der Häuserwand. Von wo aus sollten sich effektvoll Wolkenkratzer betrachten lassen? Worin wollen sie sich selbst reflektieren? Zugegebenermaßen ist das nicht die Hauptfrage beim Für und Wider in der Berliner Hochhausdebatte, aber die Topografie der Stadt, so Exbausenator Andreas Geisel, ist eben doch auch ein Aspekt. Die Sonne steht ein halbes Jahr schräg und die Schatten sind lang. Es fließt allerdings die Spree. Es existieren einige schlummernde Areale und markante Orte, die ein Hochhinaus nicht nur möglich, sondern auch städtebaulich attraktiv machen würden. Investoren und Architekten jedenfalls lassen nicht locker, auch Berlin eine neue Dimension zu verpassen. Verdichtung als Hauptargument. Stephan Braunfels möchte „Tanzende Türme“ am Checkpoint Charlie. Das Büro Kleihues + Kleihues will einen Wolkenkratzer am Oberverwaltungsgericht. Graft architects wollen nicht nur in China und Las Vegas, sondern auch am Lützowufer Türme errichten. Die Schubladen scheinen voller Ideen: viel Glas, offene Strukturen, vertikale Gärten.

In exponierter Weise haben sich die Architekten Hans Kollhoff und Christoph Langhof der Hochhausfrage zugewandt. Hans Kollhoffs Alex-Masterplan ist legendär. 1993 sah er noch zwölf 150-Meter-Türme als Stadtkrone für den Alexanderplatz vor, dann elf. Seit der Überarbeitung des Planes 2015 ist von neun die Rede. Die Bausenatorin Katrin Lompscher will aber nur Hochhäuser von 120 Metern. Die Neuen müssen Sichtachsen beachten, mit den Höhen der Fernsehturm-Aussichtsplattform (bei 280 Metern), in erster Linie aber auch mit dem denkmalgeschützten Hotel Park Inn im Einklang stehen und außerdem „die soziale Struktur sowie die hohe Verkehrsdynamik in Mitte bedenken“. Christoph Langhof träumte ebenfalls schon in den Neunzigern von Türmen und zwar dort, im neunten Stockwerk des inzwischen abgerissenen Schimmelpfeng-Hauses, wo er jetzt baut. In der Bleibtreustraße errichtet er das Upper West mit gut 118 Metern. Es beherbergt neben dem Motel One auch eine öffentlich zugängige Skybar im 33. Stockwerk. Die Aufbruchstimmung nach oben eröffnete das Waldorf-Astoria-Hotel von Christoph Mäckle. Als „Zoofenster“ tituliert, wurde das Luxus-Hotel längst zum Markenzeichen der aufstrebenden City West, die sich schon mit der Namensgebung als Städtekonkurrentin zum expandierenden London zu erkennen gibt. 

Vision und Wirklichkeit

Lange genug fanden die aufregendsten Hochbauten woanders statt: in Asien, den USA, in Londons und Moskaus City, in Paris, ja und in Frankfurt, wo derzeit nicht mehr nur Banken und Firmensitze sondern auch Wohnbauten zügig hochgezogen werden. Jetzt soll es auch in der Spreestadt losgehen. 2017 gilt schon als „Jahr der Hochhäuser“. Es ist ein Ausdruck des Städtebooms, der Wohnungsknappheit, vor allem aber der wirtschaftlichen Prosperität, die sich mit Exklusivbüros und Luxuswohnungen ihre Selbsterkennung liefert. 

Berlin ist von 2011 bis 2015 um rund 220 000 Einwohner gewachsen. Das sei mehr, so die Senatsverwaltung, als die gesamte Einwohnerzahl von Erfurt oder Lübeck. Wie geht man mit diesem Wachstum um? „Aus Gründen der Nachhaltigkeit muss in die Höhe gebaut werden. Wenn wir es aus gesellschaftlicher Sicht nicht wollen, dass Beschäftigte über kilometerlange, mehrspurige Autobahnen zu ihrem Arbeitsplatz gelangen, dann müssen wir in den Städten in die Höhe bauen. Daran führt kein Weg vorbei“, sagt Christoph Langhof. Es sei die „zentrale Herausforderung“ an die moderne Stadtplanung in den nächsten Jahren. „Dabei“, so der Architekt, „geht es nicht nur darum, Wolkenkratzer, also Gebäude ab 150 Metern zu bauen. Bei der Diskussion geht es vor allem um Hochhäuser, die je nach Lage 30, 40, 50 oder 60 Meter in die Höhe reichen. Sie bieten bezahlbaren Wohnraum.“ Hybridhäuser, also Mischnutzungen aus Wohnen, Büro, Kultur, Hotel, bestimmen, so sagt es Christoph Langhof, die „Generation Hochhaus 2.0“. Sein Entwurf für sein „Hardenberg“ ist mit über 200 Metern allerdings ein echter Quantensprung und wartet noch auf das Senats-Okay. 

Den Quantensprung moderieren

Die Hochhausdebatte war nie abgerissen. Seit Kurzem läuft sie auf Hochtouren. Der Senat will bis 2018 ein Leitbild erarbeiten, worin Standorte und Höhen geregelt werden. Dazu auch Nutzungsaspekte, die wesentlich auf das urbane Lebensgefühl Einfluss haben und städtisches Wohlgefühl stärken. Bislang ist die Planung für Hochhäuser auf wenige Standorte begrenzt. Dazu zählen der Alexanderplatz, die City West, die Europacity. Debattiert werden noch Pankow, das Westkreuz, das Lützowufer, das Spreeufer in Friedrichshain, Alt-Hohenschönhausen, wo der Entwickler Dirk Moritz ein Dreierensemble von Hochhäusern errichten wollte. Zeichensetzende Stadttore an allen Ausfahrtsstraßen, auch das wird in Berlin diskutiert, erinnert an El Lissitzkys (1890–1941) Wolkenbügel-Idee, ein Hochhausring um Moskau. An der Sonnenallee in Neukölln wächst unterdessen der Estrel-Tower auf seine geplanten 175 Meter – das höchste Haus in Berlin.

Katrin Lompscher will „Hochhäuser stadtentwicklungspolitisch begrenzen und nicht immer mehr davon haben“. Die neuen Türme sollen dem Stadtbild und der Bürgerstadt dienlich sein und zwar – ganz wie es auch der Däne Jan Gehl, ein Kritiker der Turmhäuser, wenn sie zu puren Wohn- bzw. Bürosilos werden – geschrieben hat: Das Erdgeschoss muss fußgängerfreundlich und mit öffentlichen Funktionen belebt sein. Ganz konform Christoph Langhof: „Die Erdgeschosszone sollte großzügig dimensioniert sein, mit Geschäften, Bars und Cafés für ein lebendiges öffentliches Leben. Das steigert die Attraktivität der Umgebung und des ganzen Quartiers.“ Auch das Dachgeschoss beziehungsweise eine höhere Ebene sollten mit Restaurants und Aussichtsplattformen der Öffentlichkeit vorbehalten sein. Die Spreestadt als eine große Dachterrasse, so ließe es sich gut leben! 

Es wird visioniert, geplant, beantragt – und gebaut: Das US-Unternehmen Hines baut mit dem Stararchitekten Frank Gehry neben dem Alex-Saturn ein Wohnhochhaus von 150 Metern – das „Alexanderplatz Residential“. Die russische MonArch-Gruppe errichtet mit den Architekten Kortner&Kortner den Wohnturm „Alexander – Berlins Capital Tower“ mit 39 Stockwerken für 475 Appartements hinter dem Alexa-Kaufhaus. 2019 soll damit das zweithöchste Wohnhochhaus in Deutschland für 250 Millionen Euro bezugsfertig sein. 

Anita Wünschmann

 

70 - Frühjahr 2017
Stadt