Sonnen Sitz Plätze

Die Outdoorzeit beginnt und mit einem gewissem Vorlauf haben die Möbelmessen in Köln und Mailand sowie die Sport- und Gartenmesse spoga+gafa Lust auf den kommenden Sommer gemacht. Sechs nasse, graue Monate sind wirklich genug. Sommerideen und Gestaltungslust wollen sich entfalten können, aufplatzen wie Knospen. Winterlinge, Schneeglöckchen und Krokusse haben ihr Bestes getan, um die Stimmung zu heben. Nun aber los! Es locken kräftigere Farbtöne, Vogelgezwitscher und von ganz fern das Lied der Großmutter: „Komm, lieber Mai und mache die Bäume wieder grün!“ Dazu Flieder, Tulpenrot und Storchschnabel – also heraus mit den Stühlen! Und Kissen auf die Bänke! Her mit Tisch und Tellern! Nirgendwo ist es jetzt schöner als auf einer Wiese mit hingetupften Butterblumen. Es genügen eine Decke, etwas fürs Picknick, ein Ball. Auch der Balkon, der Hof, die Terrasse sind begehrte Frühlings- und Sommerplätze. Baumeln in der Hängematte. Plauschen in der Hollywoodschaukel. Mit einem Buch im Lieblingssessel verschwinden. Der Liegestuhl mit seinen bunten Markisenstreifen hat das Stadtbild wieder erobert. In den Parks wird wieder gegrillt und Windlichter stehen abends auf den Tischen der Straßencafés. Und ebenso wie das Sprießen und Wachsen jedes Jahr für Erstaunen sorgt, überraschen Möbeldesigner mit ihren Kreationen. Tavernentische und Bistrostühle, skandinavische Moderne und französische Lattenrostmöbel mit Eisengestell, Plastik, Holz, Edelstahl, italienische Grandezza und Biergartenklassiker – alles geht ein in den Pool der Erfindungen und des Remakes, des bunten lebendigen Mix, zu dem neuerdings auch Möbel aus Beton gehören. 

Erfolgreiche Designikonen werden frisch interpretiert und neu aufgelegt und Indoor-Looks gelten nicht nur für Wohnzimmer und Küche sondern auch für draußen wie die bunten Freischwinger „All Seasons“ von der Firma Thonet.

Ein Berliner Gartenmöbel mit Geschichte ist der Klappstuhl aus Holzlatten und Eisengestell, der in etlichen Vorstadtgärten und Ausflugsgaststätten ein immerwährendes Comeback mit seiner womöglich siebten Lackschicht feiert, ehe alle Farbe heruntergebrannt wird und der Prozess neu beginnt: weiß auf weiß auf weiß. Oder rot, blau, flaschengrün. Seit Jahrzehnten bildet er die Basis für ungezählte Nachkommen in komfortableren ergonomischen Ausführungen mit edlen Hölzern. Die Neuen sind zierlich. Mit einem Gestell aus Aluminium ist der Klappstuhl nicht nur leichter zu transportieren, sondern rostfrei. Er leuchtet blau und zartgrün, orange oder violett. Das Balkonset „Fiori“ mag einer der jüngsten Nachfahren sein. So wenig, so linear und stapelbar. Oder der nahezu gewichtslose Stuhl mit dem sperrigen Namen „Emu Arc Eu Ciel 314“. Für das Forschungsinstitut Emu arbeiten verschiedene Produktdesigner und ein aktueller Forschungsauftrag heißt: etwas für den kleinsten Platz zu kreieren. 

Andere Möbel haben andere Vorfahren. Etwa der „Acapulco-Stuhl“ von OK Design aus Kopenhagen. Er erinnert mit seiner runden Form und der Spaghetti-Schnurbespannung an Designklassiker aus den Fünfzigern. Auch der Engländer Jasper Morrison arbeitet mit dem Mid-Century-Charme bei seinen Teakholz-Stühlen aus der „Riva Collection“ (Kettal). Sie erzählen mit ihren schrägen Lehnen von der kühlen Eleganz des Sitzens in Zeiten der Nachkriegsmoderne. 

Allein der Name „Hit Remix“ ist Programm! Die Firma Octopus offeriert Sessel, die Geschichte und schöne Farbe zugleich aufleuchten lassen. Das zweifarbige Geflecht von „Hit Remix“ erinnert an Kinderbastelbögen aus Papier. Mit Farben zu spielen, macht Spaß, hat sich offenbar auch der Däne Henrik Pedersen gedacht. Er hat für die Firma Houe Armsessel, Liege und Schaukelstuhl entwickelt. Sein Gag: Die Lamellen gibt es in 12 verschiedenen Farbkombinationen und sie lassen sich mühelos an das Gestell anklicken. 

Einen völlig anderen Weg geht Andreas Ostwald. Sein neuer Hocker ist eine Reverenz an seine Heimatstadt Hamburg und entworfen für alle, die davon träumen, zeitvergessen im Hafen auf einem Poller zu sitzen und dem Einlaufen der großen Pötte zuzuschauen. Und wenn schon Poller, dann auch bitte ein dickes Tau! Das hat Andreas Oswald um den Schaft gewunden. Vielleicht lässt sich auch der Hund dort anbinden? Die Sitzgelegenheit „Philippi Hamburger Hocker“ sei ein Zeichen des Aufbruchs, Neuanfangs, der Neugier, wie auch ein Symbol für das Ankommen, Bleiben, Innehalten. 

Stühle für Balkon, Wiese, Strand und Café, knallbunt, monochrom und linear. Es ließe sich schwelgen in den Schönheiten, die das Lebensgefühl steigern sollen! Auf welchem Stuhl möchte man sitzen? Und noch einmal die Herkunftsgeschichte: Das Designerduo Chaput & Guijarro hat sich den Bistro-Klassiker zum Vorbild für das Aluminiumsesselchen „Cadiz“ genommen, eine Neuheit für 2017, nachdem er auf der Möbelmesse in Mailand 2016 ob seiner Klarheit bereits begeistert hatte. Stühle sollen nicht kippeln. Sie sollen fest stehen und lässiges oder aufrechtes Sitzen ermöglichen. Beim Stuhltanz wird immer einer weggestellt aus der illustren Reihe bunt zusammengewürfelter Sitzgelegenheiten für ein heiteres Gerangel nach Musik. Der Tanz um den Stuhl ist ein Kinderspiel. Im Messemodus eher eine Strategie verbunden mit der Qual der Wahl. Weniger ist kaum möglich! Wer Linien liebt und filigrane Schatten, der mag sich an dem pulverbeschichteten „Bolonia“-Armlehnstuhl oder am Bolonia-Loungesessel von iSimar erfreuen. Die Kurven des mediterranen Möbels sind einer Düne, Sand und Wellen, auf Teneriffa, so heißt es, nachempfunden. Wie ein Insekt stelzen die Stühle auf staksigen Beinen und die 15 hauchdünnen Stäbe der Rückenlehne zaubern Zeichnungen auf den Boden. Diese, man möchte sagen zartbesaiteten Eisenstühlchen gab es in den Endfünfzigern mit orangefarbenen Schaumstoffkissen oder Blümchendruck für die Gartenliebhaberin und Hausfrau der Wirtschaftswunderzeit. Paul Newman, englischer Stardesigner, liebt ebenfalls das Filigrane und reduziert und reduziert: Sein Stuhl „Aero Design“ wirkt wie aus sechs Notenlinien geformt, und wenn nach einem Regen Tropfen haften, scheint eine Partitur auf, die man als Regentropfensinfonie digital umsetzen könnte. Rhythmus in die City käme auch mit dem Holz-Stahl-Sitzmöbel „Tauko“ von Nadine Kümmel. Die junge Mainzer Designerin hat den im vorigen Herbst preisgekrönten Treppen- oder Wandsessel entworfen, ein Zickzack, der sich über Stufen stülpen lässt. Sie sagt, der Sommer ist die schönste Jahreszeit auch in der Stadt mit ihren vielen Open-Air-Veranstaltungen und dem Leben im Freien.

Anita Wünschmann

 

70 - Frühjahr 2017