Blaues Wunder

Ende August werden beim ISTAF im Olympiastadion die Top-Stars der Leichtathletik erwartet. Vorerst verfolgen die Organisatoren mit Sorge die Diskussion um einen Umbau des Stadions in eine reine Fußball-Arena.

„Klar ist das ein Thema, das sie bewegt. Es wird nichts gegen den Willen der Mitglieder entschieden“, versichert Hertha BSC-Präsident Werner Gegenbauer auf der Mitgliederversammlung des Fußballvereins. „Wenn Sie kein Vertrauen in Präsidium und Aufsichtsrat haben, dann haben Sie die Möglichkeit, uns abzuwählen“, wagte sich der Boss des Berliner Fußball-Bundesligisten noch einen Schritt weiter nach vorn. Damit nahm Gegenbauer der hitzigen Diskussion den Wind aus den Segeln, die nach einem Vorschlag des Präsidiums entbrannt war. Darin wurde empfohlen, für den Neubau eines reinen Fußballstadions des Bundesligisten eine Fläche in der Nähe von Ludwigsfelde zu suchen. Doch die Mitglieder gingen gegen diese Option auf die Barrikaden. Der Ur-Berliner Verein sollte keinesfalls seine Punktspiele außerhalb der Stadtgrenzen im Land Brandenburg austragen. Damit war der Kompromiss vom Tisch, den die Hertha-Verantwortlichen mit den anderen Nutzern des Olympiastdions angestrebt hatten. Abgewählt wurde das Präsidium trotzdem nicht. Aber nun steht neben dem Neubau auf einer freien Fläche des weitläufigen Olympiageländes vor allem der Umbau des Olympiastadions in eine reine Fußball-Arena im Raum. Obwohl dieses Vorhaben schon aus Gründen des Denkmalschutzes über der mehr als 80 Jahre alten Betonschüssel scheitern würde, entzünden sich die Geister an der Dreis-tigkeit der Fußball-Gemeinde.„Ich kann ja die Fußballer verstehen“, bemerkt Diskus-Olympiasieger Chris-toph Harting, 27, zu dem brisanten Thema. „Hertha trägt hier 17 Bundesliga-Heimspiele pro Saison aus, dazu kommen Pokal, Europapokal, vielleicht mal ein Länderspiel. Wir müssen seit dem Umbau für die Weltmeisterschaft 2009 bis zur Europameisterschaft im nächsten Jahr auf das zweite Großereignis warten. Ansonsten haben wir nur das ISTAF.“

Das nach der Arena benannte Internationale Stadionfest wird am 27. August zum 76. Mal ausgetragen. Es gilt als ältestes Leichtathletik-Sportfest überhaupt. Die blaue Bahn ist ein markantes Merkmal des Olympiastadions. Deswegen war der Aufschrei groß, als das Ansinnen einer reinen Fußball-Arena publik wurde. „Vielleicht habe ich mich verhört. Ja, das denke ich. Denn diese Bahn ist einzigartig, die sollte Bestandsschutz auf ewig genießen“, erregte sich Usain Bolt im fernen Jamaika. Der Supersprinter war bei der WM 2009 seine heute noch bestehenden Weltrekorde von 9,58 und 19,19 Sekunden über 100 und 200 Meter gelaufen und hat den blauen Kunststoff besonders ins Herz geschlossen. „Mein blaues Wunder“, hatte der achtmalige Olympiasieger damals kurz vor seinem 23. Geburtstag gesagt.

„Diesen Ruf der Bahn wollen wir natürlich bestätigen, und die Athleten werden mit ihren Leistungen dafür werben, dass der Kunststoffbelag erhalten bleibt und der Kelch eines reinen Fußballstadions an dieser Stelle an uns vorübergeht“, sagt Martin Seeber als Chef des ISTAF.

Etwas sarkastisch formuliert es der Berliner Leichtathletik-Macher auf seine Art: „Wir bauen das Olympiastadion selbst um“, sagt er. Als erfahrener Meeting-Direktor weiß Seeber, dass bei den traditionellen Sportarten nichts verwerflicher ist als der Stillstand. Und deswegen hat er mit seinem Team für die 76. Auflage wieder mal eine Weltneuheit ausgeknobelt. In der Ostkurve der historischen Arena laufen die Sprinter durch einen eigens für diesen Tag errichteten Tunnel, auf dem Siegerehrungen stattfinden und auch Zuschauer Platz haben sollen. „Das ist eine richtig coole Idee. Ich bin sicher, dass Fans und Athleten diese Neuerung beide gut finden“, sagt Top-Sprinterin Lisa Mayer. Sie war im April mit der deutschen 4-mal-100-Meter-Staffel in Nassau auf den Bahamas sensationell inoffizielle Weltmeisterin geworden und lächelt in diesem Jahr als Covergirl von allen Plakaten zur Ankündigung des ISTAF.

„Die Leichtathletik braucht ständig Neuerungen, um im Wettlauf mit den anderen Sportarten vor allem um die Gunst des Fernsehens mithalten zu können. Und ganz wichtig ist dabei die Nähe der Wettkämpfer zum Publikum. Das ist mit dieser Bühne oder Brücke, oder wie man das über dem Tunnel eben nennen soll, hundertprozentig gegeben“, zollt auch Christoph Harting der Neuerung seinen Respekt. Der selbst um Innovationen nie verlegene Zwei-Meter-Mann freut sich bei diesem Sportfest besonders auf das medienträchtige Zusammentreffen mit seinem älteren Bruder und Olympiasieger-Vorgänger Robert, das möglicherweise zur Revanche für die zwei Wochen zuvor in London stattfindende Weltmeisterschaft werden kann.

Martin Seeber wird die Wettkämpfe auf der britischen Insel wie immer hautnah verfolgen, um möglichst alle Weltmeister im Vergleich mit der nationalen Elite in Berlin präsentieren zu können. „Wir erleben hierzulande ja eine neue deutsche Welle in der Leichtathletik. Und unsere erfolgreichen Sportler sollen die Gelegenheit bekommen, sich den sicher mehr als 50 000 Zuschauern im Olympia-stadion zu präsentieren“, will der Meeting-Direktor den anfangs 15 geplanten Wettbewerben zwischen 16 und 19 Uhr weitere hinzufügen, vor allem, wenn außerhalb dieser deutsche Athleten WM-Gold holen sollten. „Die Athleten und die Sportler werden Werbung sein für unsere Heimstatt, denn kein Mensch auf der ganzen Welt kann sich das Berliner Olympiastadion ohne die blaue Bahn vorstellen“, ist Seeber überzeugt.

Das kann sich auch Claus Frömming nicht vorstellen, der als Kommunikationsdirektor jetzt schon am Gelingen der Europameisterschaft im August 2018 feilt. „Ich sehe solche Vorschläge für ein Stadion ohne Bahn äußerst kritisch. Dagegen kämpfen die Verantwortlichen wie die Sportler. Ein ausverkauftes Olympiastadion ist das beste Argument, unsere blaue Bahn zu erhalten“, schildert er. Für die EM mit rund 1600 Leichtathleten sind bereits jetzt mehr als 30 000 Eintrittskarten verkauft. Die Bahn wird eigens dafür aufgepeppt, bleibt aber optisch in der gleichen Art erhalten.

Vielleicht hat sich bis dahin der Wirbel um den Umbau des Olympiastadions in Luft aufgelöst. „Es gibt so viele Ideen und Konzepte. Wir sollten uns nicht mit der schlechtesten Variante befassen. Es wird sicher eine Lösung gefunden, die Fußballer und Leichtathleten gemeinsam tragen können“, beschwichtigt Harting. Eine, die das blaue Wunder der Arena erhält.

Hans-Christian Moritz

 

71 - Sommer 2017
Sport