„Die Leichtathletik muss entstaubt werden“

Die Leichtathletik will sich bei der Berliner Europameisterschaft im August als moderne Sportart präsentieren. Die innige Abneigung zwischen Bayern und Preußen galt lange als sprichwörtlich. In der heutigen Zeit werden solche Zwistigkeiten nicht mehr wahrgenommen. Vor allem dann nicht, wenn es um Ideen geht, die beiden germanischen Stämmen Pluspunkte versprechen.

„Wir freuen uns einfach auf die Leichtathletik-Europameisterschaft und möchten unseren Beitrag leisten, dass sie zu einem großen Fest wird“, sagt Axel Munz. Er ist Geschäftsführer eines Münchner Labels für Trachtenmode, das für die Titelkämpfe vom 7. bis 12. August in Berlin eine eigene Kollektion entwickelte. „Die EM ist ein internationales Ereignis, und ganz Deutschland sollte mitfeiern. Der Sport und die Tracht vermitteln beide ein Zusammengehörigkeitsgefühl und stehen für Lebensfreude“, sagt er. Um aber die Preußen und ihre Gäste im Hochsommer nicht zu verwirren, stellten die Münchner ihre Kollektion von hochwertigen Stoffen, feinstem Leder und goldenen Stickereien schon einmal vor und kleideten fünf deutsche Spitzenathleten auf Bayerisch. „Mein Dirndl ist sehr schön. Ich freue mich schon darauf, es auch zum Oktoberfest zu tragen“, jubelte Weitspringerin Alexandra Wester.

Die seit über einem Jahr umtriebigen Macher der Europameisterschaft können jedwede Unterstützung brauchen, um ihre ambitionierten Ziele zu verwirklichen. „Unser Traum ist es, das Berliner Olympiastadion jeden Tag vollbesetzt in eine Traumkulisse für die Athleten zu verwandeln“, sagt Organisations-Chef Frank Kowalski. Für diese insgesamt 300 000 Besucher hat sein Team nicht nur beim traditionellen ISTAF im vergangenen Sommer geprobt. Das soll auch ein Fingerzeig in Richtung des Berliner Fußballs sein, wo Bundesligist Hertha BSC damit liebäugelt, seine Heim-Arena in ein reines Fußballstadion ohne die weltweit populäre blaue Kunststoffbahn umzuwandeln.

Und weil die Organisatoren nicht nur innerhalb der Traditions-Arena beim Publikum punkten wollen, transferieren sie das gewaltige Monument vom Stadtteil Charlottenburg als Mini-Ausgabe ins Zentrum der Metropole. Auf dem Breitscheidplatz werden in den Abendstunden des kommenden Hochsommers nicht nur alle Siegerehrungen der Finals vorgenommen. Dort wird auch das Olympiastadion samt seiner prägenden blauen Bahn im Mini-Format errichtet und als Bühne für die Qualifikation der Kugelstoßer dienen.

„Die Leichtathletik ist mit Laufen, Springen und Werfen die Urform des Sports“, erinnert Kowalski. „Dem wollen wir Rechnung tragen.“ Aber seine Mannschaft ist auch bestrebt, mit einem Slogan aufzuräumen, der in den vergangenen Jahren immer wieder einmal aufgekommen ist. „Die Leichtathletik muss entstaubt werden. Wir müssen neue Wege gehen, um unseren Sport einem breiteren Publikum zugängig zu machen und für die Medien interessant zu bleiben“, verkündet die einheimische Diskus-Ikone Robert Harting. Der gebürtige Cottbuser wird bei den Titelkämpfen „in seinem Wohnzimmer“ eine eindrucksvolle Karriere beenden.

Für die Popularisierung einer modernen Sportart nutzen die Veranstalter neben dem Olympiastadion und seiner Mini-Ausgabe am Breitscheidplatz auch weite Teile der Innenstadt, um Marathonläufer und Geher bei deren Wettkämpfen unmittelbar an Tausenden von Zuschauern vorbeizugeleiten. „Ich habe noch die Stimmung der Berliner Weltmeisterschaften 2009 vor Augen. Das war gigantisch. Jetzt versuchen wir, das den Berlinern, ihren Gästen und allen Zuschauern an den Fernsehschirmen erneut zu vermitteln“, so Frank Kowalski.

Um die Stimmung in der Hauptstadt für das Großereignis anzuheizen, ist seit Jahresbeginn ein Magazin auf dem Markt, das die Lust auf die Weltkämpfe der besten europäischen Läufer, Springer und Werfer steigern soll. Auf 132 Seiten und mit schönen Fotos u. a. von Jim Rakete bringen die Veranstalter dem Publikum die deutschen Stars nicht nur auf sportliche Weise nahe. Speerwerfer Thomas Röhler als Angler bis zu den Hüften in der Saale, Sprinterin Rebecca Haase mit der Querflöte vor großem Orchester und ihre Lauf-Kollegin Gina Lückenkemper kuschelnd mit ihrem Pferd Picasso – die Sportler werden auch von einer ganz privaten Seite nahegebracht.

Theatermacher Dieter Hallervorden bricht in einem Vorwort eine Lanze für die Leichtathletik, die auch einmal seine Sportart war und der er in seinem Film „Sein letztes Rennen“ als 77-Jähriger ein Denkmal setzt. „Ich sitze garantiert bei der EM anfeuernd im Stadion“, verspricht der Schauspieler. „In jungen Jahren war ich 400-Meter-Läufer. Ich habe mich ganz gut geschlagen.“ Und setzt ganz komödiantisch hinzu: „Vor allem, wenn kein anderer mitlief.“

Das Heft widmet sich auch den großen Helden vergangener Jahre wie Allrounderin Heike Drechsler und Hochspringer Carlo Thränhardt. Garantiert ist die zweimalige Weitsprung-Olympiasiegerin Drechsler bei der EM hautnah dabei. „Ich werde wohl als Kampfrichterin direkt an der Grube stehen.“

Hans-Christian Moritz

 

74 – Frühjahr 2018
Sport