Ein ungleiches Paar

Architektenpaare gibt es viele in Berlin. Eins der erfolgreichsten sind Johanne und Gernot Nalbach. Doch während andere Paare gern ihre enge Zusammenarbeit betonen, unterstreichen der aus Österreich stammende Architekt und seine Frau ihre Unterschiedlichkeit – sowohl in ihrer Architekturauffassung als auch in ihrer Persönlichkeitsstruktur.

Eigentlich ist ja ein gemeinsamer Interviewtermin vereinbart mit Johanne und Gernot Nalbach. Doch daraus werden letztlich zwei Gespräche – Gernot Nalbach hat anfangs noch etwas zu erledigen, und als er dazustößt, muss sich Johanne Nalbach verabschieden, um eine Wettbewerbsarbeit fertigzustellen. Dass sie das Gespräch getrennt führen, ist nur folgerichtig: Zwar sind Johanne und Gernot Nalbach seit Jahrzehnten verheiratet und betreiben seit 1975 ein gemeinsames Architekturbüro doch für ihre jeweiligen Projekte sind sie selbst verantwortlich – und vor allem zeigen sie sich als ganz unterschiedliche Persönlichkeiten.
Da ist zum einen Johanne Nalbach. Die jugendlich wirkende 65-Jährige weiß ihre Bauvorhaben mit wenigen Worten anschaulich zu schildern und macht deutlich, dass sie großen Wert auf Perfektion bis ins Detail legt: „Wenn ich Qualität haben will, muss ich sie selbst einfordern – und zwar stündlich.“ Ihr ein Jahr älterer Mann dagegen zieht es nach eigener Aussage vor, die Richtung vorzugeben und die Ausführung anderen zu überlassen. „Er kann gut delegieren“, formuliert es Johanne Nalbach diplomatisch, „während ich alles kontrollieren will.“ Das bestätigt Gernot Nalbach: „Meine Frau ist kämpferisch und weiß genau, was sie will, während ich eher erzählerisch bin.“ Tatsächlich fällt es nicht leicht, den Redefluss des Baumeisters zu steuern.

Dabei gelingen ihm immer wieder einprägsame Formulierungen. „Ich hatte viel zu früh viel zu viel Glück“, sagt er beispielsweise. Tatsächlich legte der 1942 in Wien geborene Nalbach eine aufsehenerregende Frühkarriere hin. Im zweiten Semester seines Studiums („Ich war wirklich sehr visionär“) entwarf er Häuser aus Stahl, die weltweit den Weg in Fachzeitschriften fanden. Ganze 28 Jahre alt, wurde er auf die Professur für Gestaltung an der Hochschule der Künste in Berlin berufen. Danach entwarf er für die Firma Semperlux Straßenleuchten der Serie Urbi, von deren Lizenzerlösen er nach eigenen Worten bis heute gut leben kann.
Zu den bedeutenden Leistungen Nalbachs zählt ferner die Ausstattung des Grand Hotel Esplanade, die allerdings mittlerweile zu seinem Leidwesen wieder entfernt wurde. In den neunziger Jahren verantwortete der Architekt die Sanierung und die Erweiterung des Ullstein-Gewerbezentrums in Tempelhof, und um die Jahrtausendwende geriet er mit seinem Projekt für die Fischerinsel in Berlin-Mitte in die Schlagzeilen: Im Zusammenhang mit einem von ihm entworfenen Büro- und Hotelkomplex wurde nämlich das sogenannte Ahornblatt, ein markanter DDR-Bau, abgerissen.

Jahre später, 2006, sah sich Nalbach erneut als Zerstörer eines Baudenkmals an den Pranger gestellt. Jetzt war es der Abriss einer 1928 von Ernst Ziesel errichteten Industriehalle, die ihm als Generalplaner für den neuen Campus der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft – ein 110-Millionen-Euro-Projekt auf dem ehemaligen AEG-Gelände in Oberschöneweide – angelastet wurde. Das Denkmal sei nicht zu retten gewesen, argumentiert Nalbach, da es stark kontaminiert und statisch nicht gesichert gewesen sei. Trotzdem sieht er sich „nicht als Abrissarchitekt“ – auch nicht seinerzeit auf der Fischerinsel: Sein ursprüngliches Konzept sah nämlich ein Hochhaus vor, das es ermöglicht hätte, das Ahornblatt zu erhalten. Weil aber die Behörden das Hochhaus ablehnten, bestand der Investor auf dem Abbruch der DDR-Architektur-Ikone, um sein Nutzungskonzept durchzusetzen.

Vergleichsweise bescheiden nehmen sich dagegen die Anfänge von Johanne Nalbach aus. Ihr erstes Projekt in Berlin war der Umbau des Hauses eines Mathematikprofessors, das zu ihrer Freude heute noch so aussieht wie damals. In der Folge bereicherte die Architektin das Berliner Stadtbild um Bauten wie das Art´otel in der City West, das Haus der Bundespressekonferenz im Regierungsviertel und das Wallstreet Hotel in der Wallstraße in Mitte.
Den Ursprung dieser offenkundigen Liebe zu Hotels sieht Johanne Nalbach in ihrer Kindheit in Linz, wo ihre Mutter als Ärztin in einem Arbeiterviertel wirkte. Dieses wenig ansehnliche Umfeld weckte in der kleinen Johanne die Sehnsucht, „die Umgebung zu verändern und zu gestalten“, und ließ sie im Urlaub die schönen Hotels bestaunen, die sich die Familie gar nicht leisten konnte. Ein Hotel hat für die Architektin bis heute etwas von einem Theater: „Für zwei Nächte schlüpft der Gast in ein Ambiente, das er zu Hause nie wählen würde.“

Als einer ihrer wichtigsten Bauten betrachtet Johanne Nalbach indes ein eher kleines Vorhaben: das Café Bravo im Innenhof der Kunst-Werke in der Auguststraße, das sie zusammen mit Dan Graham schuf. Begeistert erzählt sie von der spannenden Zusammenarbeit mit dem als schwierig geltenden Künstler und von der seltenen Möglichkeit, kompromisslos höchste Qualität zu realisieren. Momentan ist sie auf dem Friedrichswerder aktiv, wo sie sieben der viel beachteten Townhouses errichtet. Auch städtebaulich haben die Nalbachs ihre Wahlheimat geprägt: 1992 gewannen sie den Wettbewerb für das Gebiet rund um den Bahnhof Friedrichstraße. Dass sie dort bei keinem einzigen Bauwerk als Architekten zum Zuge kamen, schmerzt sie allerdings schon.

Ein gemeinsames Projekt übrigens haben Johanne und Gernot Nalbach, allen Unterschieden zum Trotz, denn doch: Am Neuklostersee in Mecklenburg-Vorpommern gehört ihnen ein kleines, feines Hotel, das sie natürlich selbst geplant und kontinuierlich erweitert haben. Zuletzt wandelte Gernot Nalbach einen Trafoturm in ein Kinderhotel um – wofür er sogar Lob von seiner Gattin erhält: Endlich habe er sich einmal um die Details gekümmert und so ein hervorragendes Ergebnis erzielt.  

Paul Munzinger
 

36 - Herbst 2008
Stadt