Schön wie nie

Hiroshi Sugimoto in der Berliner Nationalgalerie.

Schon einige Wochen lang hängen die Eisbären im Stadtraum, und die Groß-fotografien von Hiroshi Sugimoto in der Berliner Nationalgalerie lösen Bewunderung aus. Auch dafür, dass sich der Mies-van-der-Rohe-Bau unter der Hand des Fotokünstlers zu seinem eigentlichen Wesen aus Licht und Transparenz rückverwandelt hat. Der sechzigjährige Hiroshi Sugimoto hat seine großartige Retrospektive mit Nationalgaleriechefin Angela Schneider an der Seite selbst kuratiert und die Ausstellung im Untergeschoss des Hauses so komponiert, dass sie eine stille Übereinkunft von Bild- und Raumästhetik ermöglicht. „So schön wie nie!“ wurde geschwärmt, mit Ausblick auf den Skulpturengarten, allein, weil kaum mehr Aufsehenerregenderes passiert ist, als dass die Gardinen weggezogen wurden.

Auch wenn die Schwarz-Weiß-Bilder von stiller Strenge und erhabener Schönheit schon eine Weile hier in Berlin zur Anschauung hängen, spielt das keine Rolle, denn vor allem, um Zeit fühlen, Zeit akzeptieren, Zeit womöglich sogar sehen zu können, geht es dem in Tokio gebürtigen und aufgewachsenen Künstler, der als 24-Jähriger zum Studium nach New York ging. Heute lebt er hier und dort, verbindet seit seiner Kindheit, wie er selbst sagt, westliche und östliche Kultur auf der Suche nach Wesenhaftem, nach Bedeutungsvollem und Wahrhaftigem von Zeit oder Licht, von Wahrnehmung, dem Sehen schlechthin.

Dafür greift Hiroshi Sugimoto allerdings in die Trickkiste, könnte man salopp sagen, wenn man an seine Dioramenbilder und WachsfigurenWiederbelebungsversuche denkt. Mit diesen Serien hat er Weltruhm erlangt. Mit der unbeschreiblichen Präzision seiner Fotografien wie natürlich erst recht auch mit dem Konzeptionellen dieser absurd und surreal anmutenden Fotoambition. Ausgestopfte Tiere und wächserne Wahrheiten werden so abgelichtet, mit einer Detailschärfe ermöglichenden Großbildkamera fotografiert, derart aufwendig und behutsam retuschiert, dass kaum ein verräterisches Korn auf das Foto als Materialität verweist und im Schwarz-Weiß-Licht die toten Seelen und erstarrten Landschaften Lebendigkeit suggerieren, der Fotograf eine falsche Zeitzeugenschaft glauben machen kann. Dieses Spiel mit der fotografisch generierten Auferstehung, mit der Zeitverwischung gibt allerhand Denkübungen und Interpretationen Raum. Auf jeden Fall ist die Faszination an derart irritierenden Wirklichkeitsmanipulationen nachvollziehbar, allein wenn man selbst als Kind im Naturkundemuseum vor der „Echtheit“ nachgestellter Tiergruppen erschrocken war und wenn sich zu dieser Primärerfahrung der Täuschung dann das Nachdenken über Abbild und Wahrnehmung, die ganzen Reflexions- und Re-Reflexionsdebatten zur Kunst hinzufügen. 

Licht und Schönheit stehen in einem ursächlichen Zusammenhang wie Fotografie und Belichtung, und dennoch bedarf es eines so besonderen Könnens und wissenschaftlich-praktischen Erkennens, des Hineinfühlens, wie es der Weltstar Sugimoto sich seit frühester Jugend angeeignet hat, um das Meer in jener Weise zu fotografieren, wie es in der Nationalgalerie erlebbar ist.

Anita Wünschmann

 

 

Ausstellung

Hiroshi Sugimoto – Retrospektive

Noch bis 5. Oktober 2008

Neue Nationalgalerie
Potsdamer Straße 50
10785 Berlin
Kulturforum am Potsdamer Platz

 

36 - Herbst 2008