Die Königsdisziplin

Lasse Münstermann ist der beste deutsche Snookerspieler. Der Profi spielt in der Bundesliga für Berlin und wirbt unablässig für seinen boomenden Sport.

Als Außenseiter oder gar Exot will sich Lasse Münstermann keinesfalls sehen. Obwohl nur vier Deutsche insgesamt seinem hierzulande extrem seltenen Beruf nachgehen: Snookerprofi. Kann man davon leben? „Ich esse regelmäßig und ausreichend, habe ein Auto und eine Wohnung, für die ich pünktlich Miete bezahle. Manchmal kaufe ich mir neue Sachen, und es bleibt auch etwas zum Sparen übrig“, erwidert der 29-Jährige. Kein Zweifel, Lasse Münstermann kurbelt kräftig an dem Boom in der Königsdisziplin des Billards, der Deutschland seit ein paar Jahren erfasst hat.

Als er mit elf Jahren erstmals mit jenem Sport in Berührung kam, den britische Offiziere vor mehr als 100 Jahren zum Zeitvertreib in Indien erfunden haben sollen, kannte das scheinbar undurchsichtige Spiel kaum jemand zwischen Kiel und Rosenheim. Sehr gut gekleidete Männer, meistens Briten, bewegten sich um einen riesigen Tisch mit vielen bunten Kugeln, die von einem behandschuhten Schiedsrichter nach dem Lochen manchmal wieder aufgesetzt wurden – und manchmal nicht.

„Das Fernsehen hat unsere Sportart in der jüngsten Zeit sehr populär gemacht. Einen riesigen Anteil daran hat natürlich Rolf Kalb“, nennt Münstermann jenen Kommentator, der für die Fans der Szene längst zur Kultfigur geworden ist. Selbst stundenlange Übertragungen von den sogenannten Major-Turnieren, wo die Top-Profis aufeinandertreffen, lässt Kalb zum Erlebnis werden. Wie viele Kinder der betreffende Spieler hat, ob dessen Vater gerade im Gefängnis sitzt, wer für gute Stöße als Kind mit Schokoriegeln belohnt wurde und das Übergewicht seitdem mit sich herumschleppt, wer wo wohnt und sich gerade mit Heiratsabsichten trägt – Kalb weiß alles und lässt es alle wissen. Wie nebenbei erklärt er immer wieder die nur scheinbar komplizierten Regeln. Die Einschaltquoten der Nischensportart im Spartensender erreichen Höhen, von denen etablierte deutsche Vereine nur träumen können.

Während der WM assistierte Münstermann bei Kalb als Fachmann. Lasse Münstermann hat sich mit den Gegebenheiten des Profisnookers abgefunden. Obwohl er – streng genommen – keiner ist. „Ich verdiene mein Geld ausschließlich mit Snooker. Durch Preisgelder bei Turnieren, Trainingsstunden und ähnliches. Bin aber offiziell Amateur“, sagt er. Die Aufklärung: Im Snooker gelten nur die jeweils 96 besten Spieler der Welt als Profis. Der Kreis des Super-Snookers ist beileibe kein Zirkel von Snobs. „Das ist der fairste Sport der Welt. Es gibt keinen Spieler, der ein begangenes Foul nicht selbst anzeigen würde. Gleichzeitig geht alles sehr familiär zu“, beteuert Münstermann, der im Jahr 2000 unter den Profis war und an der sogenannten „Main-Tour“ teilnehmen durfte. Für Experten: Die Bestleistung von Münstermann steht bei 138 (im Training 140) Punkten in Folge. 147, das sogenannte Maximumbreak für einen nonstop abgeräumten Tisch, sind das Nonplusultra im Snooker.

„Drei Stunden Training reichen am Tag, zwei freie Tage müssen sein. Ich spiele nebenbei sehr gern Golf und Tischtennis, fahre Rad, laufe jeden Tag und werde mich demnächst in einem Fitness-Studio anmelden.“
Um nicht ausschließlich auf den flächenmäßig größten Tisch des Billardsports – die Abmessungen sind rein britisch 3556 mal 1778 Millimeter – angewiesen zu sein, hat Lasse Münstermann sein Fachabitur abgelegt und den Beruf des Fachinformatikers gelernt. „Zur Sicherheit. Ich habe auch zwei Semester Mathematik studiert. Aber das war mir zu trocken. Ich brauchte etwas für die Hände.“

Während unseres Gesprächs hat Lasse Münstermann mindestens ein Dutzend Autogramme gegeben. Trotzdem: Im Snooker-Mutterland England ist der Deutsche bekannter als in seiner Heimat.

Hans-Christian Moritz

 

36 - Herbst 2008