Das Sportler-Dorf von 1936

Nach Jahren des Dornröschenschlafs wird ein schwieriges Geschichtsdenkmal wieder zum Leben erweckt: das Olympische Dorf Elstal.

Wirklich komfortabel waren die Olympioniken von 1936 nicht untergebracht. Zwei Betten, ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Schrank – das war alles, was die winzigen Doppelzimmer zu bieten hatten. Bad und Toilette waren über den Flur erreichbar. Doch immerhin gab es, für damalige Zeiten geradezu spektakulär, in jedem Wohnhaus einen Münzfernsprecher.
Einen Eindruck von den Verhältnissen, welche die Sportler im August 1936 in Elstal vorfanden, kann man sich in einem sanierten Gebäude verschaffen. Dort ist ein Zimmer original eingerichtet worden, in dem z. B. Jesse Owens geschlafen haben könnte. Insgesamt stehen auf dem 55 Hektar großen Areal in Elstal noch zwanzig der ursprünglich 141 meist eingeschossigen Unterkunftshäuser. Weitgehend im ursprünglichen Zustand erhalten geblieben ist auch die Sporthalle am heutigen Eingang zum Olympischen Dorf. In einem desolaten Zustand befindet sich dagegen die Schwimmhalle, die seit einem Brand in den neunziger Jahren baupolizeilich gesperrt ist.

Dass man das Gelände allerdings überhaupt betreten und so eine Geschichtsreise in die dreißiger Jahre unternehmen kann, ist alles andere als selbstverständlich. Erst 2006 machte die heutige Eigentümerin, die DKB Stiftung für gesellschaftliches Engagement, das Olympische Dorf wieder dauerhaft zugänglich. Die 70 vorangegangenen Jahre war der Komplex ein Abbild der Wirrnisse der deutschen Geschichte: Nach Ende der Olympischen Spiele diente er der Wehrmacht als Sitz einer Infanterieschule und als Lazarett. Die sowjetischen Streitkräfte nutzten die Anlage nach 1945 für ihre Zwecke; Plattenbauten im südlichen Teil der Anlage zeugen noch immer von dieser Epoche. 1992 zogen die russischen Truppen aus Elstal ab. In der Folge zerschlugen sich Pläne, auf dem Areal Wohnungen in großem Stil zu errichten. Im Jahr 2001 übernahm die Deutsche Kreditbank (DKB) das Areal, um es schließlich 2005 an ihre Stiftung für gesellschaftliches Engagement weiterzureichen.
Die hat seither den Wildwuchs auf dem Gelände beseitigt, die erhaltenen Gebäude gesichert und den Sportplatz so weit hergerichtet, dass er wieder als Veranstaltungsort für Sportkonkurrenzen dient. Selbst eine Freiluft-Aufführung von Verdis Oper „Nabucco“ veranstalteten die Mitarbeiter von Stiftungsvorstand Martin Honerla. Rund 22000 Besucher kamen in der vergangenen Saison auf das Areal – eigentlich recht wenig angesichts der historischen Bedeutung des Olympischen Dorfes.

Dieses entstand nach einem Entwurf des Architekten Werner March, nach dessen Plänen auch das Berliner Olympiastadion gebaut wurde. Dass die Wehrmacht als Bauherrin fungierte, war ein Vorgriff auf die spätere militärische Nutzung des Areals. Um den 4000 ausschließlich männlichen Athleten aus über 50 Nationen – die Frauen waren in der Nähe des Olympiastadions untergebracht – Deutschland nahezubringen, ließen die Planer eine idealtypische deutsche Landschaft mit einer oberen und einer unteren Dorfaue modellieren. Die idyllisch über das Areal verteilten Wohnhäuser erhielten die Namen deutscher Städte.

Auch kulturell wurde den Gästen aus dem Ausland viel geboten. Im großen Saal des Hindenburghauses gab es allabendlich Konzerte, Theateraufführungen und Filmvorstellungen. Zu sehen bekamen die Athleten auch einen Streifen mit dem Titel „Der Neuaufbau des deutschen Heeres“, was zu heftigen Protesten führte. Im ersten Stock des Hindenburghauses befindet sich noch immer ein Relief des Künstlers Walther von Ruckteschell, das marschierende Soldaten mit geschultertem Gewehr zeigt und die Inschrift trägt: „Möge die Wehrmacht ihren Weg immer kraftvoll und in Ehren gehen.“

Diese Verstrickung von olympischem Geist und militärischem Ehrgeiz, von sportlichen Höchstleistungen und nationalsozialistischer Propaganda macht es nicht einfach, für das Olympische Dorf heute eine neue Nutzung zu finden. Erschwerend kommen die schlechte Bausubstanz und der Umstand hinzu, dass es kaum Nachfrage auf dem Immobilienmarkt gibt. Trotzdem bemüht sich die DKB Stiftung, das Ensemble auch baulich weiterzuentwickeln. So suchte sie im vergangenen Jahr mit einem Denkmalschutzwettbewerb für junge Architektinnen und Architekten nach Vorschlägen für ein neues Besucher- und Informationszentrum. Ob tatsächlich eines gebaut wird, bleibt allerdings offen.

Emil Schweizer

 

 

Information

Geöffnet: 1. April bis zum 31. Oktober täglich von 10 bis 16 Uhr

Anfahrt: Mit dem Auto über die B 5 (Abfahrt Olympisches Dorf),
per Bahn mit dem Regionalexpress 2 (Bahnhof Elstal).

 

35 - Sommer 2008