Blüten im Gewebe

Hippieblütenträume inspirieren Gärtner und Designer. Der Sommer wird duftig.

Die Sommermode ist eine Pracht. Jedenfalls prangt auf fast jedem Titel der Mode- und Frauenzeitschriften des ausgehenden Winters eine Schöne im duftigen Blütengewand. Flower-Power überzieht Organza und Seide. Grünes Ringelgerankel kleidet die feenhaften Mädchenfrauen des kommenden Sommers in wahre Pflanzenträume.

Kein Designer, der nicht einen Garten ausgebreitet hat auf seiner Kleiderkollektion. Wer genau hinschaut, macht im zarten Stoffgespinst alte englische Rosen aus, feuerroten Klatschmohn und purpurfarbene Anemonen. Auf puderweißen Strumpfhosen sprießt munter der blaue Flieder. Rosarotes Kirschblütendessin fällt in Kaskaden aus langen weißen Voileröcken.
Die reiferen unter den Damen schwelgen in Erinnerung und schmachten gleich hingerissen angesichts der köstlichen Liaison, die die sorgsam gehätschelten Pflanzen aus ihrem häuslichen Vorgarten mit den herrlichen Stoffen kommender Saisons eingehen. Sie finden sich glückselig in ihren längst vergangenen Hippieträumen wieder. In den Kleidern ihrer Töchter erkennen sie die Stilblüten ihrer wilden Jugend.

Die wahren Ikonen, die Vorbilder für die pflanzlichen Inspirationen der Textildesigner sprießen im frisch geharkten Vorgarten. Topf an Topf stehen sie vor den Blumenläden der Republik. Der Sommer soll nur kommen. Kaum, dass die unschuldig weißen Schneeglöckchen eine Chance hatten auf dem Balkon, mussten sie schon Platz machen für ganze Batterien zwergenkleiner feuerroter Papageientulpen, die sich vor den Augen der ungeduldigen Gärtnerinnen seitdem zu osmanischen Schönheiten entfalten. Himmelblaue Perlhyazinthen, grün gesäumte weiße Märzenbecher, quietschgelbe Leberblümchen. Sind so kleine Blumen.

Wo man auch hinschaut beim Floristen dieser Tage, alles ist zart und puppenklein, fast so wie das modische Minigemüse, das neuerdings die Supermärkte aufmischt. Fragile Küchenschellen mit pelzigen Köpfchen wackeln im Wind. Ganze Armeen winziger Narzissen mit buttergelbem Kern stehen Stengel an Stengel. Die ersten mattlila Iris aus den florentinischen Hügeln haben sich schon nach Deutschland verirrt. Lauter Schönheiten: Duftveilchen, die wirklich duften, fast so wie die Pastillen in den altmodischen blumenbetupften Schachteln.

Retro auf der ganzen Linie, nicht nur beim Kleidermacher, sondern auch beim Gärtner des Vertrauens. Endlich. Sogar Akeleienbabies sind schon angekommen. All diese Blumen sehen aus wie auf den Stoffen des Engländers William Morris, der im 19. Jahrhundert die Gartenkunst ins textile Ornament einfließen ließ. William Morris war Poet und gleichzeitig der bedeutendste Textilgestalter des viktorianischen Zeitalters. Ein Künstler, von dessen Ideenvielfalt die Mode- und Stoffdesigner heute immer noch zehren.

In den englischen Gärten sieht es ohnehin noch immer so unmodisch liebreizend aus wie in den alten Zeiten. Rosen blüh‘n in Hülle und Fülle, duftende natürlich. Die Liebe der Engländer macht auch vor den Pflanzen nicht halt, und selbst Männer in herausragenden Positionen finden es ganz und gar nicht weichlich, beim beruflichen Get-Together in Gartenträumen zu schwelgen. Ein bisschen davon könnte auch den deutschen Männern nicht schaden. Gärtnern ist schließlich nicht den Frauen vorbehalten.

Wer sich noch nicht traut, kann vom Mai dieses Jahres an bei Gabriella Pape einiges dazulernen. Die Hamburgerin, die Gartenbau studierte und 25 Jahre lang in England mit ihrer Kunst Erfolge einheimste, hat nämlich in Berlin die Königliche Gartenakademie wiedererweckt. Gelehrige Blumenfexe sind bei der Gartenarchitektin in den besten Händen. Sogar Prinz Charles konnte Gabriella Pape auf der letzten Chelsea Flower Show in London beeindrucken. Engländer gärtnern nämlich mit dem Herzen, weiß Gabriella Pape. Die Deutschen dagegen seien eher kopfgesteuert.

Gärtnern mit Herz, was sonst. Volles Gefühl bei der Auswahl der Pflanzen, und bloß nicht ans Praktische denken. Tagetes sind zwar fast unverwüstlich, aber genaugenommen stinken sie ziemlich, und sie wirken recht derbe. Dann schon lieber die barocken (auch stinkenden) prachtvollen gelben und apfelsinenfarbenen Kaiserkronen im Beet versenken. Die halten außerdem die Wühlmäuse fern, heißt es, und sie sind zum Malen schön.

Und vor allem keine fleißigen Lieschen für die Beetbegrenzung nehmen. Die sehen wirklich nur wild wachsend schön aus, so wie im tropischen Brasilien, wo sie ganze Flussauen bewuchern. Am allerfeinsten ist es, man häuft einen kleinen Wall um die Wochenendlaube oder das Traumhaus im Grünen und bepflanzt diesen dicht an dicht mit babyrosafarbenen kurzen Federnelken. Zugegeben, das klingt ein wenig nach Puppenstube, aber es ist ein einziger duftender Traum. Und damit alles nicht so aufgeräumt aussieht, gleich noch mit voller Hand in die Samentüte mit Feuermohn und Scheinmohn gegriffen. Und in die lockere Erde der vielen Maulwurfshaufen ordentlich Futterkleesamen mengen.

Jetzt nur noch abwarten. Das wird ein Sommer. Ein Garten im Hippiegewand, so künstlerisch hingetuscht wie auf den Kollektionen der großen Designer. Roter und blauer Mohn (ja, blauer!) macht sich impressionistisch breit in der Gänseblümchenwiese. Der Futterklee mit seinen spitzen Blüten hat sich zu vielen dunkelroten Seen verdichtet. Danke, ihr Maulwürfe, für die wunderbare Erde.

Inge Ahrens
 

35 - Sommer 2008