Tempelhofer Freiheit

Allem Widerstand zum Trotz: Ende Oktober dieses Jahres wird der Flughafen Tempelhof geschlossen. Wie das traditionsreiche Verkehrsgelände künftig genutzt werden soll, ist jedoch völlig offen.

Gespenstisch ruhig ist es in der Empfangshalle des Flughafens Tempelhof. Von den in langer Reihe angeordneten Schaltern sind nur gerade deren zwei besetzt, und die wenigen Passagiere verlieren sich in der Weite des Gebäudes. Die meisten Ladenlokale am Rand der Halle stehen leer, umso überraschender, dass zumindest das Café hinten in der Ecke noch in Betrieb ist. Ein Blick auf die Anzeigetafel zeigt genau vier Destinationen: Brüssel, Friedrichshafen, Mannheim und die polnische Stadt Bydgoszcz. Vier Destinationen – nicht innerhalb einer Stunde wohlgemerkt, sondern eines Tages.

Bald wird es hier noch ruhiger zugehen. Denn nachdem das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Anfang 2007 die vom Berliner Senat verfügte Schließung als rechtmäßig bezeichnet hat, sind die Tage des Flughafens Tempelhof gezählt: Ende Oktober dieses Jahres wird zum letzten Mal ein Flugzeug starten.

Daran wird auch der Versuch nichts ändern, mittels eines Volksbegehrens die Offenhaltung Tempelhofs zu erzwingen. Denn der Senat hat klargemacht, dass er sich selbst bei einem Erfolg der Initiative nicht von seinem Vorhaben wird abhalten lassen. Seiner Überzeugung nach wäre sonst die rechtliche Voraussetzung für den Bau des neuen Großflughafens Berlin Brandenburg International (BBI) in Schönefeld hinfällig. Der Planfeststellungsbeschluss legt nämlich fest, dass nach der für 2011 angestrebten Fertigstellung von BBI die beiden anderen Berliner Flughäfen, also Tempelhof und Tegel, nicht mehr weiter existieren dürfen.

Doch die Aussicht, dass Tempelhof bald Geschichte sein wird, erregt die Gemüter. „Der Flughafen Tempelhof ist ein Symbol der Freiheit und der Zukunft unserer Stadt“, sagt Friedbert Pflüger, Fraktionsvorsitzender der CDU im Abgeordnetenhaus. „Er war die Lebensader im Überlebenskampf West-Berlins während der Berlin-Blockade in den Jahren 1948/49.“ Damals versorgten Flugzeuge der Westalliierten, die sogenannten Rosinenbomber, die von der Sowjetunion abgesperrte Teilstadt mit Lebensmitteln und Kohle. Wie prägend diese Rettungsaktion bis heute wirkt, zeigt der Sänger Gunter Gabriel in einem Lied, das er eigens für die Schließungsgegner getextet hat: „Luftbrücke Tempelhof, du bist mein Herz und mein Zuhaus“, singt er darin.

Die Geschichte des Flughafens geht allerdings weiter zurück. 1923 wurde auf dem zuvor als Exerzierplatz genutzten Feld der Flugverkehr aufgenommen. Zwischen 1936 und 1940 entstand nach Plänen des Architekten Ernst Sagebiel das monumentale Flughafengebäude. Ende der sechziger Jahre zählte Tempelhof jährlich 3,5 Millionen Fluggäste. In den letzten Jahren dagegen nahm die Passagierzahl deutlich ab, so dass die Flughafengesellschaft mit Tempelhof erhebliche Verluste einfährt.

Verantwortlich für das Minus ist nicht allein der Flugbetrieb, sondern auch die riesige Flughafenimmobilie. Annähernd 300000 Quadratmeter Geschossfläche weist der lang gestreckte, zu einem erheblichen Teil jetzt schon leer stehende Gebäudekomplex auf. Wie dieser künftig genutzt werden soll, ist völlig offen. Ein einziges ernsthaftes Konzept wurde bisher dafür bekannt: Die US-amerikanischen Unternehmer Fred Langhammer und Ronald S. Lauder wollten darin mit einem Investitionsaufwand von 350 Millionen Euro ein großes Gesundheitszentrum mit Hotel, Büros und Kongressflächen einrichten. Dabei sahen sie vor, Tempelhof als Sonderflughafen weiterzubetreiben. Dann hätten zwar keine Linienflugzeuge mehr starten und landen dürfen, wohl aber Privatflugzeuge wohlhabender Gesundheitstouristen. Weil die Landesregierung jedoch klarmachte, dass sie auch dafür keine Genehmigung erteilen würde, zogen sich die Investoren im vergangenen Jahr grollend zurück.

Nicht einfacher ist die Nachnutzung des 386 Hektar großen Flugfelds. Vor mittlerweile fast neun Jahren legte der Senat ein von den Landschaftsplanern Dieter Kienast und Günther Voigt und dem Architekten Bernd Albers entwickeltes Konzept vor, das die Schaffung eines „Wiesenmeers“ vorsieht. Die Überbauung des gesamten Feldes verbietet sich nach Ansicht der Verantwortlichen – zum einen, weil keine Nachfrage nach so großen Bauflächen besteht, zum anderen, weil dem Tempelhofer Feld laut Fachleuten eine große Bedeutung für das Stadtklima zukommt.

Mittlerweile versucht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das Problem als Chance darzustellen. „Keine andere Metropole Europas steht vor einer vergleichbaren Herausforderung, mitten in der Stadt Freiflächen von dieser Größe zu haben“, erklärt Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer. Die Verwaltung startete unter dem Titel „Tempelhofer Freiheit“ einen Online-Dialog, in dessen Rahmen jeder Interessierte seine Vorstellung kundtun konnte. Das Ergebnis waren Vorschläge wie eine Baseball-Anlage oder ein erlebnisorientierter Jugendspielplatz, aber auch die Idee, eine Europäische Energie-Agentur zur Entwicklung zukunftsfähiger Energieversorgung anzusiedeln.

Hemmend bei all dem wirken sich die komplizierten Eigentumsverhältnisse aus. Die Immobilie gehört nur zu knapp einem Fünftel dem Land Berlin und ansonsten dem Bund; beim Flugfeld sind Bund und Land zu ungefähr gleichen Teilen Eigentümer. Das allerdings soll sich ändern, da sich die beiden Partner im Rahmen des Hauptstadtvertrags darauf geeinigt haben, dass Berlin sämtliche Flächen zu einem noch zu bestimmenden Preis übernehmen wird.

Vielleicht wird es mit einer intensivierten Vermarktung dann auch gelingen, neue Nutzer nach Tempelhof zu bringen. Für das Bundesinnenministerium, das einen neuen Dienstsitz erhalten soll, ist das Flughafengebäude angeblich zu wenig repräsentativ. Aber vielleicht wäre es für andere Behörden geeignet? Das wäre jedenfalls realistischer als die Idee eines Teilnehmers des Online-Dialogs: Der wollte in Tempelhof einen Weltraumbahnhof etablieren.

Emil Schweizer

 

34 - Frühjahr 2008
Stadt